DMZ – WISSEN / GESELLSCHAFT ¦ Marko Kovic ¦
GASTKOMMENTAR
Ich weiß nicht, wie es euch geht: Die (Online-)Debatte zu Israel und Hamas / Gaza / Palästina macht mich fertig.
Einen derart entgleisten Diskurs, der wie ein wachsendes schwarzes Loch jede halbwegs rationale Auseinandersetzung im Keim erstickt, habe ich noch nie erlebt.
Es ist normal, dass in Ausnahmesituationen Meinungen unmittelbar hochkochen - mit der Zeit kühlen sie wieder ab. Zu Israel / Palästina passiert das Gegenteil: Die Meinungen werden immer krasser; die Empörungsspirale dreht immer schneller. Eine zentrifugale Dynamik.
Einerseits Leute, die immer unverblümter Israels Existenzrecht verneinen, Hamas verniedlichen und antisemitische Parolen mittragen. An alle, die es ja nur "gut meinen": Wenn man z.B. an Pro-Palästina-Demos mit hasserfüllten Islamisten marschiert, meint man es eben nicht "gut".
Zahlreiche linke Gruppierungen zeigen, wie gleichermassen lächerlich und gefährlich ihr schablonenhaftes, eindimensionales Weltbild ist. Ad nauseam Schlagworte wie "Kolonialismus" und "Befreiung" wiederholen und genozidale Islamisten verteidigen, ist verrückte Realsatire.
Auf der anderen Seite Leute, die jede noch so begründete Kritik an israelischer Regierungspolitik mit Antisemitismus gleichsetzen. Hier fallen dann irrwitzige Argumente wie "Hat man denn die USA nach 9/11 kritisiert?". Ja, hat man man, und hätte man noch viel mehr müssen.
Viele Stimmen im Diskurs sind offenbar einzig darauf bedacht, mit gleichermassen zugespitzten wie unreflektierten Takes maximale Aufmerksamkeit zu generieren. Das ist eine weitere Eskalationsstufe einer andauernden Zerfallserscheinung: Der Brutalisierung der Öffentlichkeit.
Ich will nicht die Fiktion einer Vergangenheit, in der wir alle sachlich miteinander gestritten haben, romantisieren. Das gab es nie. Die Infrastruktur der heutigen Öffentlichkeit - maßgeblich Social Media - fördert aber systematisch unterkomplexe, emotionalisierende Takes.
Überall geht nur noch die Empörungs-Post ab - und viral geht dabei vor allem, was maximal schwarz-weiße Narrative bedient. Und ich meine überall. Das Problem ist bei Weitem nicht nur Twitter / X. TikTok beispielsweise ist ein einziger Brutalisierungs-Schleudergang.
Der öffentliche Diskurs funktioniert zunehmend wie 4chan: Meinungen, die es im Ozean der kommunikativen Reizüberflutung sichtbar sein wollen, müssen immer krasser, einseitiger, zugespitzter sein. Der Race to the Top der Aufmerksamkeit ist ein Race to the Bottom der Argumente.
tl;dr: Die Debatte zu Israel und Hamas / Gaza / Palästina ist ein Symptom eines kollabierenden öffentlichen Diskurses. Der Wettbewerb um Argumente weicht dem Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Gehört wird, wer maximal eindimensionale, krasse, wütend machende Takes liefert.
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