­

Mathieus Eleganz des Verzichts

DMZ - KURZ ¦ Matthias Walter

GESCHICHTEN

Meine Herren, nehmen Sie Platz, stellen Sie die Teetassen sorgsam auf den Tisch, und hören Sie meinen Bericht an. Ah, wie ich den Ernst in Ihren Gesichtern schätze, diese betonte Anteilnahme, die so meisterhaft gespielt ist, dass selbst ich beinahe daran glauben könnte. „Mathieu,“ murmeln Sie wohl in Gedanken, „dieser arme Tropf, dieses kleine Gröbchen Mensch, das nicht den Mut hat, das letzte Tor zu durchschreiten.“ Und ich? Ich nicke Ihnen zu, ja, ich erkenne Ihre Verachtung, die Sie in seidenen Tüchern aus Mitleid und höflicher Besorgnis verhüllen.

 

Nein, keine Sorge, ich erhebe keinen Anspruch auf Ihre Hochachtung – ich habe längst verstanden, dass ich nicht viel mehr als eine Fußnote in Ihrer Aufmerksamkeit bin, eine beiläufige Erwähnung in Ihrer inneren Liste von Mitleidsfällen. Aber heute, meine Herren, möchte ich Ihnen etwas über mein jüngstes Scheitern erzählen. Ein Scheitern, so herrlich lächerlich, dass selbst die Sterne am Firmament wohl den Kopf schütteln würden, wenn sie denn Köpfe hätten.

 

Die Nacht der Entscheidung

Dort stand ich also, auf der morschen Brücke über dem tiefen Fluss des Vergessens, die Hände in den Taschen meines abgetragenen Mantels, der in dieser kühlen Nacht wie ein Symbol meiner Existenz war: zerschlissen, doch irgendwie noch intakt. Der Fluss unter mir, meine Herren, flüsterte mir zu, lockte mit seiner ewigen Ruhe. Oh, wie süß die Einladung klang, wie verheißungsvoll! „Mathieu,“ säuselte er, „komm, nimm ein Bad in der Ewigkeit.“

 

Doch bevor ich meinen Fuß heben konnte, schoss mir ein Gedanke in den Kopf – Nietzsche! Ach, dieser Schalk, der uns immer wieder mit seiner gnadenlosen Weisheit neckt. Er schrieb einmal, dass die Idee des Selbstmords schon über viele schlechte Nächte hinweggeholfen habe. Und so lachte ich leise vor mich hin. Es war wahr: allein die Möglichkeit zu gehen, gab mir Trost. Wie absurd, dass der Gedanke an den Tod mich in diesem Moment lebendig hielt.

Aber dann hob ich den Blick, und da waren sie: die Sterne, diese funkelnden Nadeln im schwarzen Stoff des Universums. Sie glitzerten, wie ein Spott über meinen elenden Plan. Ich musste lachen, ja, wirklich lachen. Was für eine Ironie! Diese Welt, die mich so oft enttäuschte, rechtfertigte sich plötzlich in ihrer Ästhetik. Wie konnte ich ihr den Rücken kehren, wenn doch allein der Blick in den Nachthimmel mich mit einer Demut erfüllte, die ich in keinem Buch gefunden hatte?

 

Die Ästhetik des Widerstands

Vielleicht, so dachte ich, sind wir Menschen nichts anderes als Ästhetiker, die sich in der Wildnis der Liebe und der Verzweiflung verirren. Was ist denn die Liebe anderes als eine ästhetische Erfahrung, ein Feuerwerk von Formen, Farben und Gefühlen? Und was ist der Tod, wenn nicht die endgültige Abkehr von aller Schönheit, die uns diese Existenz bietet?

„Mathieu,“ flüsterte ich mir zu, „was, wenn der Sinn des Lebens tatsächlich in seiner Ästhetik liegt? In den Sternen, im Fluss, ja, sogar in diesem lächerlich morschen Geländer, an dem du dich gerade festhältst?“

 

Die Rückkehr zur Lächerlichkeit

Und so ließ ich die Brücke hinter mir, meine Herren. Ich wanderte zurück in die Stadt, wo die Laternen ihr warmes Licht über die nassen Pflastersteine gossen. Es war, als ob die Welt mich willkommen hieß, als ob sie wusste, dass ich zu feige, zu ästhetisch orientiert war, um ihrem bitteren Ende den Vorzug zu geben.

 

„Meine Herren,“ sage ich nun zu Ihnen, „verachten Sie mich ruhig. Aber ich, ich habe die Sterne gesehen – und das war mir Grund genug zu bleiben.“

Kommentar schreiben

Kommentare: 0