
DMZ – KULTUR ¦ Prof. Astrid van Nahl
Jetzt, da ich diese Rezension schreibe, ist es fast auf den Tag genau fünf Jahre her, dass ich den ersten Kontakt mit dem mir damals unbekannten Peter Biro hatte. Er hatte mir über Alliteratus eine ungewohnt intelligent-witzige Mail geschrieben, weil er unbedingt ein Buch schreiben wollte und nicht wusste, wie man das eigentlich macht, damit es eines Tages auch ein echtes Buch und womöglich sogar gelesen würde. Das „Unwissen“ war nicht so verwunderlich, schrieb mir da doch ein Arzt, Professor der Medizin am Universitätsklinikum Zürich, die ja bekanntlich nur wenig mit Literatur zu tun haben, es sei denn, es handelt sich um medizinische, vorzugsweise anästhesiologische Fachpublikationen.
Aber schon aus Peter Biros durchaus ungewöhnlichen Mail war herauszulesen, dass da einer war, der zu schreiben verstand, mit einem unterschwelligen, aber deutlich sichtbaren Humor, der mich die folgenden Jahre mit seiner Absurdität noch öfter zum tiefen Luftholen bewegen und mir dabei viele heitere Stunden bescheren sollte. Und dann haben wir sehr schnell ein Interview auf Alliteratus geführt … und seitdem hat sich viel in Peter Biros Leben getan. Wer mehr darüber wissen will, der kann schon mal Grundlegendes bei Wikipedia nachlesen.
Nach einer Reihe von Kurzgeschichten in diversen anspruchsvollen Zeitschriften sowie seiner Autobiografie „Vom Taumeln zwischen den Kulturen. Eine Kindheit in Transsylvanien“ im schweizerischen Weber Verlag ist nun im KaMeRu Verlag sein bislang letztes Werk erschienen, „Alles außer Rand und Band“, eine Sammlung von fünfzig skurrilen und absurden Kurzgeschichten. Drei Seiten nimmt allein das in sieben Großkapitel gegliederte Inhaltsverzeichnis ein, und hier ziehe ich einen halben Stern ab, weil sich mir die Zuordnung der Geschichten nicht immer ganz erschließt; es sind die Großkapitel „Reine Ansichtssache“, „Schreibstau und andere größere Kleinigkeiten“, „Fährnisse des Alltags“, „Elementares zu Gesellschaft, Paarbildung und Freizeitgestaltung“, „Nebenschauplatz in Politik, Ökonomie und Ökologie“, „Neues aus Medizin, Werbung und Farbenlehre“ und schließlich „Hommage an tote Bürsten und Lobgesang auf Teppiche“, teils also genauso absurd, wie sich auch die meisten der schönen Geschichten erweisen werden.
Ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Inhaltsverzeichnis allein für sich schon fast ein eigenes Kapitel bildet, weil es nämlich genau von jener Absurdität zeugt, die das gesamte Buch prägen, wie es ja auch beabsichtigt war. In meinen Augen hätten die 50 Geschichten ohne jede Gliederung, sozusagen wild durcheinander geworfen, die bessere Buchvariante ergeben, die dem Leser einer-
seits etwas mehr, andererseits etwas weniger abverlangt hätte. Mehr, weil man wie der Autor extrem flexibel sein muss, um nicht nur vom Thema einer Geschichte zum nächsten zu springen und dabei keinesfalls versuchen sollte herauszufinden, inwieweit und warum es gerade in dieses Kapitel aufgenommen wurde und wie es zu dessen Überschrift passt.
Weniger, weil man (oder jedenfalls ich) sich dann völlig unvoreingenommen auf die jeweilige Geschichte hätte eingelassen können und auf Gedankensprünge noch besser vorbereitet gewesen wäre, ohne eben den Bezug zur übergreifenden Thematik zu suchen und womöglich sogar finden zu wollen. Denn eines ist klar: Die Geschichten stehen allein, jede einzelne für sich, mit einem ganz eigenen Thema und mit ganz eigenen und oft wunderbar absurden Gedankengängen, die keinerlei Klassifizierung der Zugehörigkeit brauchen. Die Geschichten sind allesamt und ausnahmslos so originell, dass man jede einzelne als kleines „Kunstwerk“ mit einer ganz eigenen Absurdität genießen sollte.
Und das führt bei mir zu einem zweiten Gedanken. Kann man überhaupt so viele so kontroverse Geschichten in einem Buch zusammenbinden? Ja, man kann es tun, aber es erfordert einen literarisch sehr bewussten und erfahrenen Leser. Einen, der sich nicht des Abends oder am Wochenende hinsetzt und sich dann durch eines der sieben Großkapitel liest, sozusagen als ein abgeschlossenes, „abgearbeitetes“ Thema. Das erschlägt einen, das hat auch mich erschlagen, und ich habe noch im zweiten Kapitel damit aufgehört und das Buch dann
endlich, endlich so genießen können wie in den Jahren zuvor die hier und da verstreut erschienenen Geschichten. Und das ist vielleicht generell das Besondere der Biro’schen Geschichten, das von einem extremen Schreibtalent zeugt: aus einer Lappalie, einem Gedanken, der einem durchs Gehirn zuckt, einem noch so kleinen Missgeschick des ganz normalen Alltags, den der Leser selbst nur zu gut kennt, eine unglaubliche absurde Geschichte zu machen, eine „unerhörte Begebenheit“, die von einem realistischen, fantastischen,
unglaublichen, unglaubwürdigen Vorfall oder Sachverhalt oder Erlebnis erzählt. Diese dann einzuordnen ist allein Sache des Lesers, und jeder wird es nach seinem Leben, seinen (Vor)Kenntnissen und Erfahrungen als Person und als Leser selbst einordnen.
Als ich das erkannt hatte, schien mir, dass Peter Biro genau der richtige Autor wäre, um in einer anspruchsvollen (!) Zeitschrift, die in regelmäßigem Turnus erscheint, die literarische „Seite für den Leser“ zu schreiben.
Eine solche Geschichte von ihm hat nämlich das Potenzial, lange zu wirken und immer wieder gelesen werden zu können, weil der Reiz nur zu einem Teil im Absurden liegt – zum anderen in der intelligenten und völlig ungewohnten, unerwarteten Sicht auf „die Dinge des Lebens“. Vielleicht sind es seine eigenen Erfahrungen, die er im Laufe seiner ungewöhnlichen Kindheit und Jugend durchgemacht und zum Glück nie vergessen hat. Verbunden mit seinem ganz eigenen Erzähltalent kommt dabei etwas ganz Tolles raus, wenn man sich als Leser darauf einlassen kann.
Dieses Buch zeugt im Übermaß davon.
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Zur Rezensentin:
Prof. Astrid van Nahl
Lehrbeauftragte für Isländische Sprache und Sprachgeschichte an der Universität Bonn, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Uppsala und Chefredakteurin und Mitbegründerin des Online-Magazins Alliteratus.
Ursprünglich veröffentlicht auf www.alliteratus.com.
-> https://www.alliteratus.com/pdf/mod_randundband.pdf

KaMeRu Verlag 2024 ⋅ 332 S. ⋅ 39.00 ⋅ 978-3-906082-96-7
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