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Eine kurze (!) Einordnung der neuen Schuldenbremse

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦   

KOMMENTAR

 

Zur Schuldenbremse einige kurze erste Gedanken und auch einige Korrekturen von Desinformationen.

 

I) Zunächst wurde der Begriff der „Verteidigung“ sehr breit gefasst, insofern er auch kritische Infrastrukturen, Sicherheitsdienste, Cyberabwehr etc. umfasst. Das ist also mehr als „Bundeswehr“ und das ist auch vollkommen richtig so, denn im modernen Sinne der „Verteidigung“ sind alle Sektoren einer hybriden Kriegsführung zu berücksichtigen. Für diese Themen existiert keine Schuldengrenze mehr.

 

II) Für „Infrastruktur“ wird ein „Sondervermögen“ von 500 Milliarden von der Schuldenbremse ausgenommen. Besser wäre die Formulierung, dass die Schuldenbremse entsprechend erhöht, aber existent bleibt. Davon sollen 100 Milliarden in den „Klimatranformationsfonds“ fließen, weitere 100 Milliarden an die Länder, 300 Milliarden verbleiben beim Bund.

 

III) Ansonsten gilt die Schuldenbremse unverändert.

 

Die jetzt im Rahmen dieses Pakets geplanten Budgets, die je nach Quelle von insgesamt 900 Milliarden oder inklusive der innerhalb der Schuldenbremse möglichen Neuverschuldung auch bis zu 1,2 Billionen beziffert werden, entsprechen nur den aktuellen Planungen. Für „Verteidigung“ wäre auch mehr möglich, ohne die Verfassung erneut zu ändern, für die anderen Zwecke je nach Konjunktur auch weniger – falls man nicht neue Ausnahmen nutzen möchte. Die konkreten Budget-Entscheidungen trifft der Bundestag mit einfacher Mehrheit, über die 100 Milliarden die Ländern sowie die Kommunen. Nebenbemerkung: Auch die Länder können zukünftig höhere, aber weiter begrenzte Schulden aufnehmen, das ist insgesamt aber kein signifikantes Volumen.

 

Was daraus NICHT abzuleiten ist:

 

I) Ein „Staatsziel“ Klimaneutralität mit unbegrenzten Mitteln. Korrekt ist, dass dieses Ziel formuliert wurde, nicht korrekt ist, dass es dafür unbegrenzte Mittel gibt. Ganz im Gegenteil darf man aus dem Ziel und der Mittelzuwendung für den KTF einen Widerspruch erkennen.

 

II) Eine außergewöhnliche Schuldenpolitik. Im Gegenteil ist das faktisch eine Annährung an vergleichbare Schuldenstände mit weitem Abstand von unten. Man mag das trotzdem kritisch sehen (was ich nicht tue), aber die Behauptung, das sei nun eine Abweichung des bisherigen Normalfalls, ist sachlich falsch. Es ist vielmehr nicht mal die Auflösung einer Anomalie.

 

III) Eine kritische Lage bei der Refinanzierung. Auch hier ist das Gegenteil korrekt, denn der Kapitalmarkt für Staatsschulden Deutschlands ist ausgetrocknet. Die Bundesbank und die großen Finanzinvestoren, die hier selbst kaum genug Material finden, dominieren. Die Aufnahmefähigkeit für diese neuen Mittel steht außer Zweifel.

 

Wie die Mittel nun verwendet werden:

 

I) Die wesentlichen Volumina im Bereich „Verteidigung“ treffen auf eine dysfunktionale Mittelverwendung in allen angesprochenen Sektoren. Die Bundeswehr ist technisch veraltet und arbeitet sehr ineffizient beim Mitteleinsatz. Große Lücken bestehen zudem bei modernsten Technologien in der europäischen Industrie. Bei den weiteren Sektoren ist das noch düsterer, denn die wurden kaputt gespart und konnten daher die knappen Mittel überwiegend nur einsetzen, um insbesondere US-Technologien zu beschaffen oder sich gleich auf die Leistungen der US-Dienste zu stützen. Das ist also ein Vakuum wie bereits beim letzten Sondervermögen, weshalb das zu 2/3 in die USA abgeflossen ist. Es dürfte ganz entscheidend sein, ob und wie diese Diaspora nun aufgelöst wird. Die Mittel sind da, die Instrumente nicht und leider existiert auch auf Anbieterseite wenig. Die Hauptverantwortung liegt zukünftig in den Ministerien Verteidigung, Kanzleramt und Inneres.

 

II) Die 300 Milliarden für „Infrastruktur“ beim Bund liegen zukünftig leider i.W. in Ministerien (Verkehr, Wirtschaft), die sich in den letzten Jahrzehnten nicht durch Dinge wie Effektivität und Effizienz ausgezeichnet haben. Sinnvoll eingesetzt ist das die Chance für den Aufbau einer Digitalinfrastruktur, eine moderne Bahn, die Sanierung maroder Verkehrsinfrastrukturen etc. Wie bisher eingesetzt könnten aus diesen Resorts von Mautprojekten über Milliardenlöcher für Bauprojekte bis zu E-Fuel und Wasserstoff-Blasen auch viele Quatschmilliarden versickern.

 

III) Die 100 Milliarden für den KTF könnten sinnvoll investiert in einer moderne Energieinfrastruktur fließen, ohne die dysfunktionalen Finanzvehikel wie Netzentgelte etc. zu bedienen. Dazu müssten aber ganze Markt- und Planungsstrukturen des Energiesystems umgebaut werden. Richtig wäre wie in anderen Bereichen die Basisinfrastruktur mit ihren unvermeidlichen Monopolfunktionen als staatliche (gerne auch effiziente) Aufgabe, um für die Produktion, Bereitstellung und Belieferung von Energie die Grundlage für einen freien Markt zu schaffen. Nach bisheriger Planung soll aber das bestehende System mit Preissubventionen weiter laufen, damit die Endpreise für Energie optisch sinken. Sollte tatsächlich Jens Spahn der verantwortliche Minister werden, wird das genauso umgesetzt und ganz sicher ohne jeden Durchblick des Ministers selbst.

 

IV) Die 100 Milliarden an die Länder werden vermutlich nach dem „Königsteiner Schlüssel“ verteilt, also i.W. nach Einwohnerzahl. Das ist schlicht eine Gießkanne mit einem unspezifischen breiten Konjunkturimpuls. An der Stelle dürfte die angebliche Zweckbindung für Infrastruktur endgültig ein leeres Etikett sein. Man würde sich viel mehr Strukturpolitik wünschen, aber in der Höhe ist so ein breiter Stimulus, der die Chance hat, bis auf die kommunale Ebene zu wirken, nach der jahrzehntelangen Austrocknungspolitik durchaus angemessen.

 

V) Da diese Sondermittel über die bisherige Haushaltsplanung hinaus möglich werden, können dort die vielen zurecht diskutierten Geschenke von Mütterrente bis Agrardiesel unterbracht werden, ohne mit der Schuldenbremse in Konflikt zu kommen. Ausgerechnet die Grünen haben an der Stelle zumindest eine kleine Barriere durchgesetzt, denn es gilt zumindest theoretisch, dass die Mittel für „Sondervermögen Infrastruktur“ tatsächlich über die normale Planung hinaus „zusätzlich“ notwendig werden müssen. Grundsätzlich soll also der normale Haushalt seine Aufgaben zunächst erfüllen. Wie haltbar diese Formulierung ist – die immerhin im Grundgesetz stehen wird und daher in Karlsruhe jenseits der einfachen Mehrheit im Bundestag prüfbar ist – wird wohl erst die Praxis zeigen.

 

Was nicht zu erwarten ist:

 

I) Eine strukturelle Wirtschafts- oder Industriepolitik wie China sie macht und zumindest im IRA der Biden-Regierung angelegt war, deren Fortsetzung durch Trump noch offen ist, wird sich kaum ergeben. Es gibt viele Initiativen, diese Mittel bereit zu stellen und seitens der etablierten Kanäle zu verwenden. Soweit keine Überraschung. Strukturelle Maßnahmen wie neue Investmentvehikel, ein professionell und politikfern besetzter Staatsfonds wie in Norwegen oder Singapur, Konzepte wie in den USA, die mit strukturierten Steuer- und Investitionsanreizen arbeiten, um die staatlichen Mittel durch private zu multiplizieren, sind in der Debatte bisher nicht mal Thema. Vielleicht folgt das noch, wenn man erkennt, wie schwach die Strukturen zur Mittelverwendung aufgestellt sind, aber es lässt wenig Hoffnung zu, dass die üblichen Mechanismen dabei sind, die Mittel zu verteilen, statt genau das in Frage zu stellen.

 

II) Wie der Bildungssektor oder die Grundlagenforschung davon profitieren sollen, ist leider nicht ersichtlich. Diese Bereiche sind auf keinem Fokus gewesen und die dürften weiter unter Budgetengpässen leiden. Auch hier mag sich das ändern, wenn man über den Mitteleinsatz konkreter nachdenkt, aber die Hoffnung ist ebenfalls gering, dass ein Thema, welches zu Beginn nicht gleich auf dem Tisch liegt, nachträglich noch dahin gelangt.

 

Fazit: Die Maßnahme ist überfällig, diese Form der Schuldenbremse musste weg. Vermutlich sind wir sogar inzwischen in einer Situation, bei der Underinvestments so eklatant waren, dass selbst Investments per Gießkanne und – ja, richtig gelesen – auch konsumptive Ausgaben in Form eines weiteren Gießkannenimpulses besser sind, als so fortzusetzen, wie in den letzten 20 Jahren. Das ist keinesfalls eine optimale Lösung, aber es ist eine Schritt, der aus dieser Schockstarre herausführen dürfte. Geostrategisch ist die Frage, wie die der „Verteidigung“ gewidmeten Mittel eingesetzt werden, ganz relevant. Wenn das in teure und tonnenschwere Metalltechnologien der militärischen Panzerromantik fließt, ist weder sicherheitstechnisch, noch ökonomisch etwas gewonnen. Wenn es Lücken in Digitalisierung, AI, Chips, Rechenzentrums- und Cloudinfrastrukturen sowie Drohnen füllt, könnten sowohl der Verteidigungssektor als auch die Ökonomie profitieren.

 

Das liegt nun in der Hand des Bundestags sowie der Schlüsselministerien, die über die konkrete Mittelvergabe in den nächsten Jahren entscheiden. Kontrolle seitens der Öffentlichkeit ist nicht zu erwarten, denn hier gibt es primär die beiden Lager, die mit der Mittelbereitstellung ihre Aufmerksamkeit verlieren sowie der anderen Seite, die nicht aufhören wird, sich über eben diese zu empören und daraus mit allen politisch/gesellschaftlichen Folgen Untergangsfantasieren zu ernähren. Die größte Hoffnung habe ich im Sektor der Unternehmen, die nun vielleicht aufbrechen können, Mittel hoffentlich auch von Privatinvestoren erhalten und diese nicht einfach nur konsumieren wollen, sondern unter Wahrung von Begriffen wie Effektivität und Effizienz in reale Lösungen überführen, die der geostrategischen und geoökonomischen Rolle Europas dienlich sind.

 

In dem Sektor werde ich persönlich mich weiter engagieren und mein Appell gilt den Start-Ups, Unternehmerpersönlichkeiten und den über ihren Bonus hinaus interessierten Spitzenmanagern, dem zu folgen. Macht was draus und das ist weit mehr als die Optimierung der gängigen Geschäftszahlen oder gar die Sanierung von aus der Zeit gefallenen Technologien bzw. Geschäftsmodellen.


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