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Zum Tod von Faraz Fallahi (1982-2025)

Ein bewundernswerter „bettlägeriger Aufklärer“, der viel zu früh gehen musste: Faraz Fallahi ist am 24. Februar im Alter von 42 Jahren verstorben.
Ein bewundernswerter „bettlägeriger Aufklärer“, der viel zu früh gehen musste: Faraz Fallahi ist am 24. Februar im Alter von 42 Jahren verstorben.

DMZ – NACHRUF ¦ Stefan Hemler ¦   Ein bewundernswerter „bettlägeriger Aufklärer“, der viel zu früh gehen musste: Faraz Fallahi ist am 24. Februar im Alter von 42 Jahren verstorben.

 

Nachruf auf einen tapferen ME/CFS-Aufklärer und mutigen Kämpfer gegen Rechts

 

Faraz Fallahi, einer der bekanntesten ME/CFS-Patienten in Deutschland, ist tot. Das hat am Montag Abend seine Familie auf Social Media-Kanälen bekannt gegeben und zugleich darum gebeten, in Ruhe trauern zu dürfen (https://x.com/derhorizontale/status/1894070893761937858).

 

Am Mittwoch ist ein großer Nachruf auf Faraz in der Regionalzeitung „Südkurier“ aus seiner schwäbischen Heimatregion erschienen (https://www.suedkurier.de/baden-wuerttemberg/faraz-fallahi-ist-verstorben-er-kaempfte-gegen-mecfs-erkrankung;art417930,12321084), am Donnerstag hat ihn zu seinem Tod auch die „Südwest Presse“ gewürdigt (https://www.swp.de/lokales/tuebingen/mecfs-patient-aus-tuebingen-starb-der-horizontale-77881064.html#google_vignette). In den sozialen Medien brachten während der letzten Tage viele Trauernde mit berührenden Postings ihre Anteilnahme zum Ausdruck.

 

Eine migrantische Erfolgsgeschichte – jäh gestoppt

Eigentlich hätte das Leben von Faraz Fallahi ein Bilderbuchbeispiel für eine migrantische Erfolgsgeschichte der zweiten Generation werden können: Als Sohn iranischer Eltern 1982 in Deutschland geboren, wächst Faraz im Raum Stuttgart auf, studiert nach dem Abitur in Tübingen Informatik und arbeitet danach als Teamleiter in der Software-Entwicklung. Doch 2018, kurze Zeit nach seiner Hochzeit, ereilt Faraz unerwartet ein schwerer Schicksalsschlag: Mit 36 Jahren erkrankt er nach einer zunächst unauffällig verlaufenden Atemwegsinfektion postviral.

 

Den aktiven, weitgereisten, sportlichen jungen Mann, der für Halbmarathonläufe trainiert, beginnen auf einmal die Kräfte zu verlassen. Doch von Ärzt:innen wird seine ihn mehr und mehr schwächende Erkrankung als psychosomatisch fehldiagnostiziert. So verschlechtert sich sein Zustand binnen zwei Jahren immer weiter aufgrund von falschen Behandlungsversuchen. Zuletzt ruiniert eine Aktivierungstherapie in einer Reha-Klinik seine Gesundheit so sehr, dass er 2020 als ME/CFS-Schwersterkrankter bettlägerig wird.

 

Kämpfernatur als Pflegefall

Doch Faraz ist eine Kämpfernatur und gibt auch als Pflegefall, der nun von seiner Familie in seinem Elternhaus versorgt werden muss, nicht auf. Auf dem Wege der Selbsthilfe gelingt es ihm durch Unterstützung von Ärzt:innen aus dem Bekanntenkreis, seinen Zustand wenigstens so weit zu stabilisieren, dass er vom Bett aus über sein Handy ein wenig am öffentlichen Leben wieder teilnehmen kann. Er beginnt, sich als selbst Schwerstbetroffener zusammen mit anderen Unterstützer:innen für die Belange von ME/CFS-Patient:innen auf Social Media einzusetzen.

 

Als sich die Szene der ME/CFS-Betroffenen im Zuge der Corona-Pandemie mit Long Covid-Selbsthilfegruppen vernetzt und 2022 erste größere Aufklärungskampagnen lanciert, werde auch ich im Rahmen meines Engagement für die Initiative #ProtectTheKids auf Faraz aufmerksam – zunächst nur durch seinen Twitteraccount (https://x.com/derhorizontale). Als einer seiner über 10.000 Follower:innen nehme ich wachsenden Anteil an seinem mit der Öffentlichkeit geteilten schweren Patienten-Schicksal. Im Verlauf des Jahres 2022 gelingt es ME/CFS Betroffenen-Initiativen und Unterstützergruppen nicht zuletzt auch durch das bewundernswerte Engagement von Faraz, die jahrzehntelang totgeschwiegene Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom endlich mehr ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

 

Vorbereitet auf den Tod – und dann quasi wiederauferstanden

Durch ebenso traurige wie dramatische Umstände wird Faraz selbst Anfang 2023 dann der breiteren deutschen Öffentlichkeit bekannt. Denn der Spiegel berichtet am 4. Februar in einer großen Story über das Auf und Ab seiner Leidensgeschichte, das einer Achterbahnfahrt gleicht (https://archive.ph/iR01O): Im Herbst 2022 hat eine gravierende Zustandsverschlechterung Faraz dazu gebracht, sich bei einem Sterbehilfeverein anzumelden. Doch als er sich schon auf seinen baldigen Tod vorbereitet, wird Faraz nach einem verzweifelten Hilferuf auf Twitter schließlich durch das außergewöhnliche Engagement einer Internistin aus Filderstadt und den Behandlungserfolg mit einer Immunadsorption in einer Klinik in Schleswig-Holstein noch gerettet.

 

Und so bringt das Jahr 2023 noch einmal Hoffnung in Faraz‘ Leben, denn in den ersten Monaten nach seiner Klinikbehandlung scheint es auch dank neuer Medikation langsam, aber stetig aufwärts mit ihm zu gehen. Faraz bleibt zwar Pflegefall, aber er macht kleine Fortschritte aus der Bettlägerigkeit heraus und zieht schließlich wieder zurück nach Tübingen in die Wohnung seiner Frau, wo er mit Unterstützung eines Pflegedienstes versorgt werden kann. Der „Spiegel“ bringt im September, kurz vor seinem Umzug, nochmals ein großes Interview mit ihm (https://archive.ph/HUT5t). Sogar einen elektrischen Rollstuhl bekommt er 2023 bewilligt. Doch als der am Jahresende endlich eintrifft, beginnt sich für Faraz das Blatt leider schon wieder zu wenden.

 

„I want to live, not just survive” 

I want to live, not just survive“ ist auf einer Kreidetafel zu lesen, die Faraz, sichtbar unter Schmerzen, auf dem Titelbild seines Facebook-Accounts in den Händen hält (https://www.facebook.com/derhorizontale). Das Jahr 2023, in dem während ein paar Monaten der Zustandsverbesserung Faraz‘ Lebens- und Kommunikationsmöglichkeiten sich endlich erweitern, bringt ihn im Sommer auch mit mir näher in Kontakt. Im September hosten wir gemeinsam einen Space auf Twitter und schmieden weitere Pläne für Social Media Events – inzwischen hat Faraz sogar einen eigenen Podcast auf Spotify gestartet (https://open.spotify.com/show/7qp4qDyAsT0RcLk3obB6C5).

 

Wir chatten regelmäßig und ausgiebig auf WhatsApp und hoffen, dass es so bleibt oder sogar weiter aufwärts mit ihm geht. Vielleicht kann er im nächsten Jahr ja wieder Besuch in Tübingen empfangen? Doch all solche Zukunftsträume zerplatzen rasch, weil schon bald darauf Faraz die Kräfte wieder zu schwinden beginnen. „Bumblebee“, wie er den E-Rollstuhl voller Vorfreude getauft hat, gibt er 2024 wieder unbenutzt zurück.

 

Ich lerne Faraz in dieser kurzen letzten Phase seines „Lebens statt Überlebens“ als hochintelligenten Kommunikationspartner schätzen, dessen wacher Geist trotz seiner schweren Krankheit kaum zu bremsen ist. Als bisweilen sogar impulsive Kämpfernatur ist Faraz freilich auch ein streitbarer Mensch, der in seiner konsequenten Art zu denken öfter auch mal aneckt.

 

Das trägt leider in der Bubble der ME/CFS-Betroffenen und ihrer Unterstützergruppen zu wachsenden Konflikten bei, wegen derer schließlich ein Teil der Aktivisten- und Supportinitiativen-Bubble im Herbst 2023 mit ihm bricht. Die unerbittliche, ja fast gnadenlose Härte, mit der gegen ihn als immer noch schwerkranken Menschen dabei vorgegangen wird, ist eine sehr bittere Erfahrung für jemand, der all seine eingeschränkte Lebensenergie für das gemeinsame Anliegen so sehr eingesetzt und auch für andere so viel erreicht hat.

 

„Wenn ich nun Heimweh sage, dann sage ich Schmerz“

Obwohl seine Kraft eigentlich wieder spürbar schwindet, engagiert sich Faraz Anfang 2024 trotzdem noch einmal für ein Thema, das ihm ganz besonders am Herzen liegt: der Kampf gegen den Rechtsradikalismus und die AfD. Er nutzt dafür seine Social Media-Reichweite auf X wie auch auf Instagram (https://www.instagram.com/derhorizontale/) und unternimmt sogar einen Ausflug auf Tiktok.

 

Fast täglich setzt er sich mehr als sieben Monate lang mit den politischen Statements der extremen Rechten aufklärerisch-kritisch bis ironisch-spöttisch auseinander. In einem bemerkenswerten Postings aus dieser letzten aktiven Phase seiner Teilnahme am öffentlichen Leben versucht Faraz sich am 14. Juli 2024 aber auch einmal im Genre der Rapper-Lyrik gegen Rechts. Auf seine ganz persönliche, sehr berührende Weise spricht er dabei über seine Gefühle, die er als Sohn einer Migrantenfamilie in unserer sich verdüsternden Gegenwart empfindet:

 

Wenn ich nun Heimweh sage, dann sage ich Schmerz.
Deutschland, gebrochen hast du mein Herz.
Ich bleibe bei dir, aber nun fühle ich mich allein.
Nicht mehr willkommen, nicht mehr daheim.
Von einigen ignoriert, von anderen bedroht,
wünschen mir manche sogar den Tod.“

(https://x.com/derhorizontale/status/1812432809753002133; https://www.instagram.com/p/C9Zf33Usucm/)

 

Zerbrochene letzte Hoffnungen

Schon sechs Wochen später zwingt ihn sein sich immer mehr verschlechternder Gesundheitszustand, seine Präsenz auf Social Media stark zu reduzieren. Sein kleines Fenster zur Welt schließt sich im Herbst 2024 wieder, wie schon zuvor 2020 und 2022. Faraz‘ Leben wird erneut zum bloßen Kampf ums Überleben unter wachsendem Leidensdruck. Dennoch bleiben wir auf WhatsApp weiter in Kontakt, auch wenn seine Nachrichten immer kürzer werden und das Sprechen auf Voicenachrichten ihm immer mehr Mühe bereitet.

 

Wie Faraz mir auf WhatsApp Anfang des neuen Jahres mitteilt, hat er noch ein klein wenig Hoffnung, dass sich vielleicht doch ein Weg aus der Abwärtsspirale, vielleicht sogar zurück zu einer Zustandsverbesserung finden lässt. Dazu müsste es gelingen, mit veränderter Medikation die immer unerträglicher werdenden Schmerzen und die zermürbenden Schlafstörungen, durch die er kaum noch Regenerationszeiten hat, endlich wieder besser unter Kontrolle zu bekommen. Doch die Suche nach einer geeigneten medizinischen Einrichtung, die bereit wäre, ihn als ME/CFS-Schwerstkranken adäquat zu behandeln, bleibt leider erfolglos.

 

So schließt sich der Kreis auf eine bittere Weise und Faraz ist Ende Januar 2025 wieder da angelangt, wo er im Herbst 2022 schon einmal stand – diesmal gibt es aber leider keine zweite Behandlungschance für ihn. So bleibt für Faraz nur das Aufgeben und der Abschied – ein letzter, schwerer Weg im Kreise seiner Liebsten, den er bewundernswert tapfer und gefasst bis zu seinem Lebensende am 24. Februar gegangen ist.

 

Als „bettlägeriger Aufklärer“ hat sich Faraz Fallahi auf Social Media selbst bezeichnet. Viel zu früh, im Alter von nur 42 Jahren, ist er nach jahrelanger Krankheit und monatelangem schweren Leiden nun am 24. Februar verstorben.
Bildquelle: https://x.com/derhorizontale/status/1894070893761937858

 


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