
DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Spekulationen darüber, welcher Begriff nach Ablauf des Jahres 2025 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres erhoben werden könnte, kämen nach erst acht verstrichenen Wochen wohl etwas früh. Einen Vorschlag für den Monat Februar kann ich hingegen zuversichtlich einreichen: Katzentisch. Landauf, landab greifen die Medien dieser Tage die Metapher von den herzigen Büsis auf und jagen sie durch alle zur Verfügung stehenden Netze.
Es geht um die Rolle von Europa im Verhältnis zu den USA. Seit Trump herrscht, sind die Machtverhältnisse geklärt. Trump ist der Elefant im Porzellanladen; er zerschlägt, was er kann. Innenpolitisch in den USA, in der Weltwirtschaft und im Bereich aller grossen sozialen und ökologischen Verpflichtungen. Er ist eine Katastrophe für die demokratische Staatsform (die jedoch mitnichten nur in den USA in Gefahr ist). Aber in Sachen Ukraine ist Trumps Machtwort die einzige Möglichkeit, das Gemetzel zu beenden, ehe die Europäer durch ihre verantwortungslose Eskalationstreiberei den irreversiblen Schaden angerichtet haben werden.
Die Zukunft der Ukraine wird Trump mit Putin allein aushandeln. Ein Vorausdetachement, bestehend aus den beiden Aussenministern Rubio und Lawrow, ist bereits am Werk, die Sache zu Faden zu schlagen. Der ukrainische Präsident Selenski wird beigezogen, sobald ein unterschriftsreifes Papier vorliegt. Europa dagegen sitzt am Katzentisch. Exakt dort, wo die Vertreter des alten Kontinents auch hingehören.
Man muss die Tatsachen in Ruhe rekapitulieren und durchdenken, um sie fassen zu können. Exakt vor zehn Jahren, am 12. Februar 2015, kamen im weissrussischen Minsk die Herren Putin und Poroschenko – damals seit einem Jahr als ukrainischer Präsident von Amerikas Gnaden installiert – mit den westlichen Europäern zusammen. Zugegen waren der französische Staatspräsidenten Hollande und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Ziel war die Vereinbarung eines Waffenstillstandes. Dieser war ebenso schnell unterzeichnet wie nach wenigen Tagen bereits wieder Makulatur. Sieben Jahre später sagte Frau Merkel frank und frei, es sei damals eh nur darum gegangen, der Ukraine Zeit für die Aufrüstung zu verschaffen.
Noch einmal sieben Jahre danach, im April 2022, wenige Wochen nach Kriegsausbruch, wurde in Istanbul auf Initiative des türkischen Präsidenten Erdogan erneut ein Waffenstillstand unterschriftsreif vereinbart. Das Papier fand die Zustimmung sowohl Russlands wie auch der Ukraine. Selensiki wollte unterschreiben, und zwar zu Bedingungen, von welchen man heute nur träumen kann. Aber Hals über Kopf rannte Boris Johnson nach Kiew und konnte auf den letzten Drücker gerade noch verhindern, was aus sicher Sicht das Schlimmste gewesen wäre: nämlich den Krieg bereits so früh abzuwürgen. Man stelle sich vor: Hunderte von Milliarden Dollar, Pfund und Euro wären statt an die Waffenindustrie in die Irrwege von Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und soziale Projekte geflossen. Um Gottes Willen! Bewahre uns vor dem Hühnervogel!
Seither haben die führenden Mächte der EU nichts anderes getan, als dieses Feuer am Brennen zu erhalten. Die Milliarden sind ausgegeben, eine Viertelmillion Menschen ist gestorben, Land ist verwüstet, Städte sind zerstört, und nicht ein einziges Mal in drei Jahren haben die Chefpolitiker Europas daran gedacht, den diplomatischen Weg zu beschreiten. Stattdessen haben sie Waffen nach Kiew geschickt, noch mehr Waffen, immer grössere Waffen, immer gefährlichere. Man hat Sanktionen ausgeheckt, die nur dem Westen selbst schaden und nicht Russland. Um für ihre Kriegsgeilheit Zustimmung zu schaffen, haben sie die Russen dämonisiert, zu Untermenschen stilisiert wie zu den schlimmsten Zeiten des letzten Jahrhunderts. Sie haben die Medien monopolisiert und solchermassen die veröffentlichte Meinung zur öffentlichen, alleingültigen gemacht. Wehe dem, der sich getraute zu widersprechen! Und sie wurden nicht müde, dieses ganze Interessensgeschacher mit Parolen und Narrativen von Demokratie, Freiheit und westlichen Werten zu unterlegen. Ausgerechnet. Die Opfer sind ihnen egal, es sind ja nur Ukrainer und Russen. Mehr Menschenverachtung geht nicht. Mehr Schande für den alten Kontinent auch nicht.
Und dieselben Europäer wundern sich jetzt, dass sie am Katzentisch sitzen. Dass Putin die Nase voll hat und dass Donald Trump, der Putin von den Lippen liest, keine weiteren Mitbewerber um die ukrainischen Bodenschätze mit am (grossen) Tisch haben möchte. Eilends hat Emanuel Macron seine Spezis nach Paris eingeladen, wo sie unter Heulen und Zähneklappern debattieren, wie der Krieg vielleicht doch noch verlängert werden könnte. Und weshalb plötzlich nicht mehr die grossen alten Kulturhauptstädte – London, Paris, Berlin – als Verhandlungsorte zum Handkuss kommen, sondern Saudiarabien. Letzteres gilt auch für die Schweiz, die ihre Neutralität weitgehend verspielt hat und Gefahr läuft, den Verhandlungsort Genf einmotten zu müssen.
Die europäischen Staaten und die EU sind selber schuld. Man hat sich von den Obama-Biden-Administrationen in die Falle der einseitigen Abhängigkeit hineinmanövrieren lassen ohne Sinn und Verstand, ohne jede Fähigkeit zur politischen Voraussicht und ohne jede Empathie dafür, was der amerikanische Turbokapitalismus für ein Haifischbecken ist. Weil man die transatlantischen Beziehungen mit einem Freundschaftsverhältnis verwechselt hat und gerne geregelte Verhältnisse hätte (ähnlich wie gegenwärtig die Schweiz im Verhältnis zur EU… bloss nicht!). Die Konsequenz ist der Platz am Katzentisch.
Bestenfalls.
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Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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