
DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Können Wörter die Geschichte prägen? Ziemlich exakt vor drei Jahren hat Olaf Scholz die „Zeitenwende“ ausgerufen, aus Anlass des russischen Angriffs auf die Ukraine. Und ziemlich exakt vor drei Wochen haben unsere Medien begonnen, die „neue Weltordnung“ zu verkünden, die auf die zweite Inauguration von Donald Trump datiert wurde. In beiden Fällen ist es schwer einzuschätzen, was Sache ist und was Schall und Rauch.
Worin die neue Ordnung bestehen soll, konnte bis jetzt niemand genau sagen. Aber dieser Tage lichtet sich der Nebel. Konturen der Absichten von Donald Trump werden erkennbar, und tatsächlich ist mindestens ein Aspekt neu. War Scholz‘ Zeitenwende veranlasst durch einen Autokraten ausserhalb der westlichen Welt, so liegt der Impuls zur neuen Weltordnung innerhalb. Sie ist hausgemacht. Kein Feind des Abendlandes hat sie ausgerufen, sondern dessen Häuptling. Europa muss seinen Gegner nicht mehr in Moskau suchen, Washington tut’s auch. Alle wissen es, aber keiner getraut sich, es auszusprechen.
Diese Leisetreterei ist lächerlich. Donald Trump waltet, wirkt und wütet, wie es ihm passt. Seine Denkschablone fragt nicht nach Ost oder West, sondern: Kann ich aus einer Sache Profit herausschlagen, wie und wieviel? Vielleicht wird die Ukraine russisch, hat er letzthin getönt, vielleicht auch nicht, egal. Nicht egal ist ihm, dass unter dem Boden der Ukraine Seltene Erden und Erze und Mineralien lagern. Sein vor der Wahl vollmundig abgegebenes Versprechen, er würde innerhalb eines Tages Frieden schaffen, hat sich verwandelt in die Frage, ob er in Krieg oder Frieden mehr aus der Ukraine herauspressen kann.
Das verheisst für die EU, die auch an den ukrainischen Bodenschätzen teilhaben möchte, nichts Gutes. Trump ist kein Freund Europas wie seine Vorgänger der Nachkriegszeit, er ist nicht einmal ein Freundschaftsheuchler wie Joe Biden. Er ist einer, der nicht weiss, was Freunde sind äh. Überdies ist er als 47. Präsident der USA nicht mehr der Chaot, der er als 45. war; diesmal ist er vorbereitet. Er hat sich mit wohl sortierten Figuren seiner Gesinnung umgeben, ein Kabinett von Milliardären ausgerufen. Gemeinsam haben sie sich zwei Ziele auf die Fahne geschrieben, eines öffentlich, das andere klandestin – obwohl letzteres, messen wir die Täter an ihren Taten, gar nicht verheimlicht werden kann. Das öffentliche Ziel heisst Make America Great Again. Dafür wurde Trump gewählt. Kein Zweifel, dass es ihm ernst ist.
Das verborgene Ziel aber lautet: Lasst uns eine Herrschaft der Milliardäre begründen. Wären wir so reich, wenn wir nicht die Schlausten wären? Der Begriff Demokratie, der in Europa die Massen mobilisiert, ist in Trumps Kampfrhetorik kaum präsent. Er überlässt ihn denjenigen seiner Anhänger, die nicht im Ansatz verstanden haben, wie und was mit ihnen gespielt wird. Farewell, amerikanische Demokratie. Ihre Maske wird noch gebraucht, um in der Öffentlichkeit den Schein zu waren. Aber es ist eine Totenmaske. Neu gilt: Oligarchie, Plutokratie. Bitte ankreuzen, was besser gefällt. Beides trifft zu.
Mit Trump tritt das Verhältnis zwischen den USA und Europa in eine neue Qualität. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts – die überall wüteten, ausser in Amerika – wurden von den USA genutzt, die Herrschaft über den alten Kontinent zu übernehmen. Die Dummheit Europas, sich selbst zu zerfleischen, gab den USA zweimal Gelegenheit, kurz vor Ende der Blutbäder auf den Plan zu treten, Siegermacht zu sein und den Wiederaufbau Europas mit Krediten zu finanzieren. Als Gläubigermacht hatte man Westeuropa ab der zweiten Jahrhunderthälfte fest im Würgegriff.
Dass man dennoch freundschaftlich verbunden blieb, war dem gemeinsamen Feind hinter dem Eisernen Vorhang geschuldet. Aber die Bestandsgarantie der Freundschaft war abgelaufen, als der Kalte Krieg zu Ende war. In ihrer Hybris riefen die USA das Ende der Geschichte aus und wollten die Weltherrschaft. Aber ihre Think-tanks dachten doppelt falsch. Erstens: Die jetzt einsetzende Turbo-Globalisierung der Weltwirtschaft machte nicht nur die Konzerne mächtig, sondern auch China. Zweitens: Um Russland niederzuhalten, lockte man die Ukraine ins westliche Lager. Konsequenz (nebst dem Krieg) war der Umstand, dass Russland sich an die starke Schulter Chinas flüchtete. Die westliche Gier war es, die China in den Rang einer Supermacht hievte.
In diesem Spannungsfeld hat die EU, die gerne der vierte Player wäre, unter Ursula von der Leyen falsch gemacht, was sie falsch machen konnte. Dass sich das Europa der Nachkriegszeit einst an den Rockzipfel Amerikas geklammert hatte, ist verständlich. Dass sich aber die EU seither kein bisschen mündiger machte, ist fatal. In Sachen Ukrainekrieg schwor man Biden Gefolgschaftstreue durch dick und dünn, liess sich von ihm die Energieversorgung kappen und – statt sich endlich zu emanzipieren – küsste ihm zum Dank die Füsse.
Bei Trump bringt solcher Schmus gar nichts; seine Wahl ist für die EU der Super-Gau. Man hat die Abhängigkeit vom Energielieferanten Putin, der günstig und zuverlässig lieferte, gegen die Abhängigkeit von einem unzuverlässigen, teuren und schamlosen Geschäftsmann getauscht. Trump lässt die Staaten Europas zappeln wie ein Fischer die Fische im Netz. Da nützt es gar nix, dass die EU jetzt plötzlich mutig sein, gemeinsam auftreten und mit einer Stimme sprechen will (was sie eh nicht schafft). Weil die EU in die Falle der Energiepreise getappt ist, sind ihre Staaten nicht mehr konkurrenzfähig.
Es gäbe einen Weg aus dieser Zwickmühle, den Weg zurück zum russischen Gas. Aber dieser Weg würde die Regierungen der EU (mit Ausnahme von Orban) die Glaubwürdigkeit und ihre eigenen Köpfe kosten. Sie haben die Wahl, stur zu bleiben und wirtschaftlich zu sterben oder klug zu werden und politisch unterzugehen. Aber Klugheit ist in der EU ein so rares Gut wie Mut. Wenn sie ihre Regierungssitze retten können, reissen die Herren Scholz, Habeck, Merz, Macron, Starmer und Frau von der Leyen viel lieber uns alle mit in den Abgrund.
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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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