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Straumanns Fokus am Wochenende - Gigantisches Affentheater

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Wie berechtigt die in Deutschland weitherum grassierende Angst vor dem Untergang der Demokratie ist, kann jeder nachvollziehen, der am vergangenen Freitag (31. Januar 2025) auf «Phoenix» die Debatte um das «Zustrombegrenzungsgesetz» verfolgte. Allerdings genau gegenteilig zur Art und Weise, wie die selbsternannten Wächter der Demokratie den Teufel an die Wand malten. Nie wurde dem staunenden Publikum deutlicher vor Augen geführt, dass nicht die dämonisierte AfD das Problem ist, sondern das Kartell der Bürgerlichen, das sich gefunden hat, um den Wählerwillen auszubremsen. Aber die Sache lief aus dem Ruder. Was stattgefunden hat, war keine Parlamentsdebatte, sondern eine tragikomische Posse der Selbsterniedrigung, ein Lehrstück des demokratischen Abgesangs, dem wir mit ernsthaften sprachlichen Kategorien zu viel Ehre antäten. Stattdessen halten wir im Jargon von RTL fest: Die sind nicht mehr dicht, die haben nicht mehr alle Latten am Zaun. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre.

 

Worum geht es? Die Unionsparteien, die ihren Wahlkampf ursprünglich um wirtschaftliche Themen herum aufbauen wollten, haben angesichts vielfacher terroristischer Attacken umgeschwenkt und konzentrieren sich neuerdings auf das, was den Menschen unter den Nägeln brennt: auf die Migration. Die Mordfälle an einem zweijährigen Baby und einem erwachsenen Mann in Aschaffenburg, der das Kleinkind retten wollte, haben das Fass zum Überlaufen gebracht.

 

Alle wissen, dass Migration ein Problem ist, nur die Politik hat so getan, als sei sie keines. Der Grund dafür liegt darin, dass Migration die Politik in eine Zwickmühle gebracht hat: Deutschland braucht Zuwanderung (wie alle westeuropäischen Staaten), aber die Menschen, die ankommen, sind nicht die versprochenen und erwünschten Fachkräfte. Denn nicht Recht und Gesetz bestimmen, wer Asyl erhält, sondern – mehrheitlich – kriminelle Schlepperbanden. Weil die staatstragende Politik diesem Zwiespalt ratlos gegenüber steht, tun die Politiker so, als seien die Morde nichts als Kollateralschäden der Zuwanderung, also quasi ganz normal. Auf diese Weise hat die politische Mitte geradezu heraufbeschworen, dass extremere Kräfte sich der Problematik annahmen, solche, die unsensibel damit umgehen. Weitsichtige Autoren – Thilo Sarrazin, Sarah Wagenknecht – haben das Fiasko längst kommen sehen und davor gewarnt. Statt dass die in der Regierungsverantwortung stehende Ampel (und zuvor: Angela Merkel) das erkannt hätten, wählten sie den dümmstmöglichen Weg und behandelten die Warner wie Aussätzige.

 

Bis jetzt, in der heissesten Phase des Wahlkampfs, Friedrich Merz die Reissleine ziehen wollte. Er hat ein «Zustrombegrenzungsgesetz» vorgeschlagen (und ist damit in der Schlussabstimmung gescheitert), das im Wesentlichen Zurückweisungen an der Grenze vorsah, den Familiennachzug von Migranten aussetzen und die Kompetenzen der Bundespolizei vermehren wollte. Aber Merz steckte in einem Dilemma. Es lag darin, dass er sich damit inhaltlich auf die Seite der AfD geschlagen und abgekupfert hat, was aus dieser Ecke längst gefordert wurde. Dazu konnte er sich aber nicht bekennen (und kann es bis heute nicht), weil er viel zu lange mit den Wölfen heulte, die AfD sei des Teufels.

 

Dementsprechend war denn auch das Echo aus dem Lager der rotgrünen Restampel. Rolf Mützenich, Fraktionssprecher der SPD, verstieg sich zum Aufschrei, jetzt öffne sich das «Tor zur Hölle». Der Kanzler sprach von einem «beispiellosen Tabubruch». Die Aussenministerin geiferte von einer «Schande», brachte wie üblich Kraut und Rüben durcheinander und zielte im Seriefeuer auf Personen. Die Linke hetzte in heiligem Zorn, jenseits jeglichen Realitätsbezugs. Alles, was nicht AfD und BSW hiess, spielte sich gegenseitig den panischen Schrecken vor, jetzt käme gleich der weiland Gröfaz um die Ecke (der «Grösste Feldherr aller Zeiten»…). Dass es an der Richtigkeit einer Sache keinen Abbruch tut, wenn auch die Falschen das Richtige als richtig erachten, dieser Gedanke war verboten. Nie verstellt Ideologie die freie Sicht vollständiger als im Wahlkampf. Mehr Brett vor dem Kopf geht nicht.

 

Es ist unbestritten, dass es in der AfD Figuren gibt, denen nicht über den Weg zu trauen ist. Aber ihre Wählerschaft insgesamt – in derselben Woche, in der man der Befreiung von Auschwitz gedachte – mit der NSDAP gleichzusetzen, ist lächerlich. Die AfD ist, was sie wurde, weil sich die Menschen von den etablierten Parteien nicht ernst genommen fühlen. Es ging um tausend Dinge in diesem unsäglichen Palaver, aber um zweierlei nicht: um die Sache und um die Angst um die Demokratie. Stattdessen ging es um wahltaktische Manöver, nämlich um die Ausschaltung eines Mitbewerbers mit unlauteren Mitteln. Der gemeinsame Nenner von ganz links bis ganz rechts war die Frage, wer aus den Morden von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg den grössten populistischen Nutzen ziehen kann. Einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Deutschland immer vorbehaltlos den USA hoffierte, welche die Kriege anzettelten, die erst die grossen Flüchtlingswellen auslösten, das überlässt man dem kundigen Publikum. Wohlwissend, wie dünn dieses gesät ist.

 

Je länger die Zeit voranschreitet, je näher das Datum der vorgezogenen Wahl rückt (23. Februar), desto häufiger finden sich in den sozialen Medien und in den Statements der Kanzlerkandidaten (Merz, Scholz, Habeck – die Kandidatin Weidel kann man davon ausnehmen) offene oder versteckte Hinweise, dass, dem öffentlichen Gezeter zum Trotz, die Tastorgane betreffend Koalitionsverhandlungen allseits bereits ausgefahren seien. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln – mit Blick auf den Terminkalender ist etwas anderes gar nicht möglich. Umso deutlicher entlarvt sich das ganze Schauspiel der Neuwahl als riesiges Medienspektakel einerseits und gigantisches Affentheater andererseits. Welche Funktion dem Wahlakt des einzelnen Bürgers, der einzelnen Bürgerin dabei zukommt, bleibt offen. Zumindest, wenn die Stimme einer von jenen Parteien gilt, von denen wir mit Sicherheit wissen, was sie nach der Wahl verändern werden: gar nichts.

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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