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Die Zeit der Monster: Trumps Rückkehr und die Krise der Weltordnung

DMZ – BILDUNG ¦ Tony Lax ¦                    

KOMMENTAR

 

Noch bevor es de facto tatsächlich soweit ist, mag man es eigentlich schon gar nicht mehr hören:

 

Heute, am 20. Januar 2025, wird Donald Trump als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika seine 2. Amtszeit in dieser Rolle antreten und, so wird behauptet oder befürchtet, ein neues, schreckliches Zeitalter wird seinen Anfang nehmen.

 

Doch die Ränder solcher Aussagen sind unscharf:

 

So, wie Trump schon bereits seit Monaten vor seiner eigentlichen Amtseinsetzung politisch wirkungsvoller zu agieren schien als der noch amtierende Joe Biden, so kann auch der vermeintliche Beginn einer vermeintlichen neuen Weltordnung nicht mit dem heutigen Tag datiert werden. Mit solchen Markierungen versperrt man sich den Blick auf das Wesentliche.

 

Trump ist nicht der Macher dieser sogenannten neuen Weltordnung, von der so viel die Rede ist, er ist vielmehr deren Produkt. Die Welt, wie wir sie kannten oder zumindest zu kennen glaubten, ist schon seit langem eine andere, wie Claus Leggewie und Harald Welzer bereits vor fünfzehn Jahren in ihrem gemeinsamen Buch konstatierten (Leggewie/Welzer: "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten", 2009). Und als solche ist sie zunehmend in eine Un-Ordnung geraten, die wir schon seit längerem wahrnehmen und vage in Worte zu fassen versuchen, wenn wir hilflos davon stammeln, dass heute so vieles einfach nicht mehr normal sei. Und uns in die fatale Denkkonstruktion flüchten, es sei früher eben doch fast alles besser gewesen. Aber was heisst "normal"? Und von welchem besseren Früher sprechen wir?

 

Hand aufs Herz - nicht erst seit heute beunruhigt nicht wenige von uns der Gedanke, dass die Zukunft möglicherweise nicht mehr der mental hell beleuchtete Hort einer kommenden besseren Gegenwart sei, also eine Utopie, sondern ein zunehmend bedrohlicher, dunkler, lebensgefährlicher Ort: Die Dystopie dräut grauschwarz am Horizont.

 

Ich selbst höre aus meinem Umfeld immer wieder das Bekenntnis Gleichaltriger, aber auch Jüngerer, man sei froh, kein Teenager oder gar Kind mehr zu sein und all das erleben zu müssen, was da auf uns zukommen wird.

 

Als ob nicht das, worauf wir zusteuern, in engster Weise damit zusammenhängt, WIE wir darauf – auf was auch immer – zusteuern.

 

Das von Leggewie und Welzer konstatierte "Nachhinken unserer Wahrnehmung hinter die Veränderungsgeschwindigkeit einer 'globalisierten Welt'" (S. 11) war allerdings bereits Mitte der 1950er-Jahre vom deutschen "Gelegenheitsphilosophen" Günter Anders thematisiert worden. Im 1. Band seines Hauptwerks "Die Antiquiertheit des Menschen" (1956) vertrat er die These, dass wir mehr herstellen als uns vorstellen können und wir dem, was wir herstellen, weder physisch noch moralisch gewachsen seien. Die normative Kraft des Erschaffenen wirke, so Anders, fatal auf uns zurück, "die Experimente des 'Human Engineering'" hielt er gar für "die Initiationsriten des Roboterzeitalters" (S. 41). Damit scheint er leider nicht unrecht zu behalten.

 

Was aber hat das mit Trump und der beschworenen neuen Weltordnung zu tun?

 

Die gestrige Ausgabe der NZZ am Sonntag zeigt auf der Frontseite das Bild von einem Globus, von dem die Kontinente abblättern und titelte: "Das ist das Ende der Weltordnung, wie wir sie kennen". Sowohl im damit angesprochenen Leitartikel von Gordana Mijuk (Sn. 2, 3) als auch im themenverwandten Debattenartikel von Markus Städeli (S. 17) ist vom Zerfall der liberalen Weltordnung, der Demokratie und der bislang friedensstiftenden Allianzen, z. B. zwischen Europa und der USA sowie von der (hoffentlich) kompromissstiftenden Kraft wirtschaftlicher Interessen die Rede. Von nun an werde, so der Tenor, noch viel offensiver als bisher die Macht des Stärkeren gelten.

 

Doch was autokratische Herrscherfiguren wie Trump, Putin, Xi Jinping und andere eint, scheint mir nicht nur diese - alles andere als neue - Vorstellung zu sein, dass allein Macht(gebaren) die Weltordnung und deren territorialen Grenzverläufe bestimme, sondern vielmehr auch die Überzeugung, dass innerhalb der autokratisch beherrschten Menschenmasse zwingend klare Ordnungsvorstellungen herrschen müssen. Nicht zuletzt auch hinsichtlich der Geschlechter- und Sprachgrenzen. Platt verkürzt: Man darf zwar alles sein und werden, nur nicht non-binär; man soll zwar alles sagen dürfen, nur nicht gendern.

 

Exklusion statt Inklusion.

 

Die Unordnung bekommt ein Gesicht, das Unbehagen einen bekämpfbaren Feind. Das kann politisch erfolgreich bewirtschaftet werden. Und schon hat das Leben derer, die das glauben, wieder Struktur.

 

Wenn nun aber ein Hi-Tech-Bald-Billionär, der ab heute inoffizielle Vizepräsident der USA sein wird, sich medienwirksam in seinen Anti-Woke-Furor steigert, unterschlägt er und vergessen alle, die ihm applaudieren, dass dem verpönten Aufbrechen von Geschlechtergrenzen ein mentales Auflösen von menschlichen Körpergrenzen vorangeht, welches seit der Jahrtausendwende von nichts anderem derart vorangetrieben wurde, als von der Durchdigitalisierung des Lebens und einem damit einhergehenden Diffundieren menschlicher Identitäten im Algorithmennebel des sozialmedialen Cyberraums.

 

Nie hätte man sich vorstellen können, was im Hergestellten alles vorstellbar wird.

 

Und so, wie unsere Sicht auf die Welt, oder das, was wir für sie halten, mehr und mehr durch die Auswüchse einer 0/1-Technologie (deren bislang konstitutive Grenze zwischen 0 und 1 sich inzwischen mittels Quantencomputertechnologie auflöst) konstruiert wird, ist auch ein Präsident Trump zu einem grossen Teil ihr Produkt und nicht zuletzt ein Effekt unser aller aktiven oder passiv-konsumierenden Agierens auf den Sozialen Medien.

 

Kein Wunder, wird die erste Amtshandlung des schon bald amtenden Präsidenten die (vorläufige) Rettung von TikTok sein. Freilich auch mit strategischem Blick auf China.

 

Kein Wunder, ist Trumps reichster Ratgeber unter anderem auch Besitzer der Plattform X, auf dem die freie Meinungsäusserung proklamiert und gleichzeitig zensiert wird, was dem X-Chef nicht passt.

 

Kein Wunder, ist der eigentliche Vize, J. D. Vance, aus demselben Hi-Tech-Stall wie Musk: ein Silicon-Valley-Boy, dessen Agenda nicht unmassgeblich vom Silicon-Valley-Guru Peter Thiel bestimmt wird.

 

Es wird vielleicht monströs.

 

Gordana Mijuk zitiert am Ende ihres oben erwähnten Artikels einen Satz des italienischen Schriftstellers, Politikers und Philosophen Antonio Gramsci, den er um 1930, als er im Gefängnis des faschistischen Italiens sass, schrieb: "Die alte Welt stirbt, die neue Welt hat Mühe, geboren zu werden: Es ist die Zeit der Monster."

 

Der Satz erinnert mich an ein Bild von Goya aus dem Jahre 1799, dem er den langen Titel gab: "El sueño de la razón produce monstruos": Der Schlaf der Vernunft gebiert Monstren.

 

Die Monstrositäten, die jene Zeit der europäischen Faschismen, in denen Gramsci seine "Gefängnishefte" schrieb, produzierte, haben nach dem Krieg Adorno und Horkheimer in ihrem 1947 veröffentlichten Werk "Dialektik der Aufklärung" analysiert. Sie sahen die Aufklärung und den Mythos als zwei Seiten derselben Medaille. Im Schatten einer allzu grell leuchtenden Aufklärung wirken aber vom mentalen Untergrund her zunehmend wieder die Mythen. Und so kann einer mythologisch durchtränkten Vernunft im technisch durchorganisierten Weltgeschehen unter Kriegsbedingungen sogar der perfekt verwaltetet Massenmord als vernünftig gelten.

 

Darüber schütteln wir heute vielleicht den Kopf – und laufen aktuell Gefahr, politisch genau wieder dorthin zuzusteuern.

 

Mythen oder Narrative wie z. B. solche vom Glanz der unerschrockenen politischen Führungspersönlichkeit, vom heldischen Mann, von der aufopferungswilligen Tradwife, vom nationalen Grossreich und vom "reinen" Volk; aber auch die vom "anything goes" oder dem (bedrohten) Schlaraffenland generieren Wunschvorstellungen, die ihr Realisat gewaltsam heraufbeschwören. Sie köcheln, für uns selbst mehr oder weniger sichtbar, im Topf unserer emotionalen Chemie und leiten unser Denken und Handeln. Und bestimmen zu oft die Geister, die wir rufen.

 

Manchmal sind es Monster

 

In wenigen Stunden wird in den USA ein Mensch wie Donald Trump zum zweiten Mal eines der mächtigsten Ämter der Welt übernehmen.

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