Die IEA berichtet nicht über ein „Comeback“ der Kernenergie, sondern über deren Marginalisierung – gegen die mehr staatliches Geld gefordert wird

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦  

KOMMENTAR

 

Parallel zu dem gestern kommentierten Bericht des französischen Rechnungshofs, der die Aussetzung aller laufenden Kernenergiepläne fordert, trat der IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol vor die Presse, um einmal mehr ein „Comeback“ der Kernenergie zu verkünden. Dazu legte er einen – sehr guten! – Bericht vor, den die meisten Journalisten wie immer wohl gar nicht gelesen haben. Zitiert wird nur Birols Pressekonferenz. Erbärmlich!

 

Was ist die „IEA“?

 

Die IEA ist inzwischen eine der relevantesten Quellen zur globalen Energiepolitik. Man muss aber wissen, dass ihre Wurzeln im Lobbyismus der Kernenergiebranche liegen und bei Birol persönlich darf man diese Aufgabe bis heute erkennen. Seine Institution ist jedoch viel weiter und deren Berichte sind immer lesenswert. Es fällt nur zunehmend eine Diskrepanz zwischen den Berichten und der Pressearbeit von Birol auf. Es wäre mal an der Zeit, mit journalistischen Standards, statt mit schnellen Berichten, die natürlich schnelle Klicks versprechen, einfach nur dessen Aussagen zu verbreiten.

 

Die IEA-Berichte zeichnen sich meist durch eine sehr gute Datenrecherche aus. Ich nutze diese Quelle häufig. Auch die Erhebungen zum Status quo der globalen Energiewirtschaft sowie der energiepolitischen Entwicklungen sind meist sehr gut. Die IEA gehört in den Bereichen zu den relevanten Quellen weltweit. Schwächer fallen die Prognosen aus, da Trends meist linearisiert werden und die Dynamik von Ausbauprozessen massiv unterschätzt wird. Das wurde von vielen Autoren kritisiert, ich hatte das regelmäßig aufgegriffen. Ob das ein absichtlicher oder versehentlicher methodischer Fehler ist, sei dahingestellt. Die IEA räumt inzwischen selbst ein, insbesondere den Ausbau von PV, WKA, Speichern nebst der Preisdegression stets zu unterschätzen, die Methodik wurde aber immer noch nicht angepasst.

 

Entsprechend zeigen diese Berichte Licht und Schatten, weshalb man sie korrekt einordnen muss. Ich will das ausdrücklich nicht als Mangel bezeichnen, denn solche methodischen „Besonderheiten“ gibt es immer und aus gutem Grund ist es in der Wissenschaft erforderlich, jedes Paper kritisch zu prüfen und einzuordnen – insbesondere statt nur Pressearbeit zu zitieren.

 

Was steht im vorliegenden Bericht?

 

Kommen wir damit zum vorliegenden Bericht, der erneut sehr lesenswert und gut gemacht ist. Ich verstehe nicht, weshalb niemand dieses exzellente Material nutzt! Analysiert man den korrekt, so ist dessen Aussage nämlich vollkommen klar: Es gibt in den westlichen Industrieländern explizit und im Bericht sogar nachgewiesen kein Comeback der Kernenergie! Es ist sogar Auslegungssache, ob es das global gibt. Hier ist in absoluten Leistungswerten allenfalls im optimistischen Szenario überhaupt ein Zubau zu erwarten, die relative Quote dieser Energieerzeugung wird aber deutlich sinken.

 

Das alles zusammenfassende, unten folgende Chart 1 des Berichts sei besonders hervorgehoben: Hier wird deutlich, dass nur bei Umsetzung aller politisch und von Start-Ups geplanten zukünftigen Kapazitäten von 2010 bis 2050 global eine Verdopplung der Kapazität stattfindet, was für 40 Jahre eine jährliche Rate von knapp 1,8% bedeutet. Zum Vergleich: Im Bereich Erneuerbarer ist diese Verdopplung seit 2010 bereits erfolgt und der Trend beschleunigt sich seit 2015 deutlich, hier wird sogar nach der chronisch unterschätzenden IEA-Prognose eine Verdreifachung erfolgen, bis 2028!

 

Dabei wird die Kapazität in den westlichen Industrieländern zunächst sinken und dann wieder auf das 2010er Niveau kommen. Der erwartete absolute Zubau findet nur durch China und Russland statt, womit China nebenbei bemerkt laut Bericht nur auf etwa die Hälfte der westlichen Quote aufholen wird.

 

Das ist aber bereits der maximal erkennbar optimistische Plan. Wenn man diese Berechnung auf die konkret beschlossenen Kapazitäten (STEPS-Szenario) reduziert, wird die Kapazität global bis 2050 nur um 50% steigen, also knapp 0,9% pro Jahr. In den westlichen Industrieländern wird sie sogar deutlich sinken – und man darf wegen der ökonomischen Situation, siehe unten, davon ausgehen, dass diese Entwicklung die wahrscheinlichere ist. Damit ist klar: Die Quote von Kernenergie im globalen Energiemix wird weiter sinken und zwar demnach sogar noch schneller als in den letzten zehn Jahren!

 

Was sagt der Bericht zur Wirtschaftlichkeit?

 

Zur ökonomischen Bewertung ist der Bericht keinerlei Widerspruch zu den lange bekannten aus der seriöseren Ecke: Er dokumentiert sehr klar, dass der Neubau von Kernkraftwerken unwirtschaftlich bei sogar weiter wachsenden Risiken ist. Er passt damit unmittelbar zum Bericht des französischen Rechnungshofs. Ich finde es bemerkenswert, wie oberflächlich das gerne als Widerspruch bezeichnet wird. Die IEA kommt diesbezüglich nämlich zu denselben Ergebnissen. Das wird in dem Bericht übrigens über Frankreich hinaus deutlich, denn der listet zunächst die weiter steigenden Investments in die Projekte, was auszugsweise gerne verfälscht in der Öffentlichkeit singulär verbreitet wird, kommt dann aber schonungslos zu der Erkenntnis, dass der Output dieser wachsenden Investments nicht hinterher kommt. Erwähnenswert und auch das wird gerne unterschlagen: Der Bericht macht klar, dass der Betrieb von Altanlagen ökonomisch sehr lukrativ ist. – für die Betreiber.

 

Was sagt der Bericht zur Zukunft der Kernenergie?

 

Zur Zukunft der Kernenergie wird die Aussage belegt, die auch ich neben vielen anderen schon länger so formuliere: Die hängt nämlich mittelfristig vom Erfolg der SMR-Projekte ab. Besonders erwähnenswert ist dabei: Kernfusion spielt in dem kompletten Bericht keinerlei Rolle. Die IEA hält das bezüglich der Energieszenarien bis 2050 also keinerlei Erwähnung für würdig. Das ist aus meiner Sicht übrigens vollkommen richtig so, aber ich überlasse diese Bewertung gerne der IEA selbst. Den diversen SMR-Projekten werden mehrere Seiten gewidmet, aus denen ebenso deutlich wird: Es gibt keinen einzigen SMR, der konkret irgendetwas relevantes liefert. Die IEA listet hier für die nächsten 25 Jahre geplante Energiemengen, die ausschließlich auf Basis von Forschungsprojekten und daraus projizierten Planungen stammen, für die es also keinerlei reale Erfahrungswerte gibt. Das sollte jeder, der damit konkrete Energieplanung vornimmt, gerne zur Kenntnis nehmen: Kernenergie ist eine Wette auf die Idee, sie durch SMRs wirtschaftlich und planbar zu machen. Nicht mehr, nicht weniger.

 

Was will der Bericht eigentlich aussagen?

 

Damit zur Intention des Papiers: Die IEA formuliert hier nämlich das Gegenteil der öffentlichen Wahrnehmung und zwar ein Gap zwischen der notwendigen und der realen Planung. Kurz: Sie hätte nämlich gerne ein Comeback und das wird bereits beim Titel des Papiers klar, der bezeichnenderweise „Weg zu einer neuen Ära“ lautet. Wenn die dies kommentierenden Journalisten wenigstens mal aufmerksam nur den Titel der Studie bemerkt hätten!

 

Die eigentliche Intention des Berichts ist schlicht die Forderung nach umfassender staatlicher Unterstützung für die Kernenergie: Rechtlich, durch Infrastruktur, durch Garantien, durch Subventionen. Adressat sind die westlichen Regierungen und deren Öffentlichkeit. Das erklärt auch die Auftritte von Birol.

 

Zur Begründung für das laut IEA anzustrebende, aber eben nicht feststellbare Comeback, werden der Energiebedarf von KI-Rechenzentren, der in bisherigen Planungen nicht berücksichtigt wurde und die Pläne zur Klimaneutralität angeführt. Das ist nicht neu und leicht erklärbar: Es geht hier im Hintergrund vor allem um die Diskussion, ob Mittel für den Klimaschutz für die Kernenergie umgewidmet werden können. Das ist schon lange die Intention der IEA und die politische Debatte vor allem in Europa. Die fraglichen Instrumente bis zu Green-Bonds werden im zweiten Teil des Papiers ausführlich diskutiert. Man darf diesen zweiten Teil als den relevanten bewerten, denn hier werden über dutzende Seiten Finanzinstrumente und staatliche Unterstützungsmaßnahmen aufgelistet, die erforderlich sind, um das gewünschte Comeback zu erreichen.

 

Das ist also eine rein politische Diskussion, keine technische, keine ökonomische. Selbstverständlich darf die geführt werden, aber die verlogenen Argumente bezüglich technischer Erfordernisse oder ökonomischer Vorteile beschädigen diese nur. Es ist herauszuheben, dass die IEA solche Argumente in diesem Papier ausdrücklich nicht erhebt, sondern sogar widerlegt.

 

Was kann man sonst noch darin finden?

 

Abschließend finden sich hier auszugsweise diverse Daten aus dem Bericht, die alle sehr erwähnenswert sind und teilweise auch weitere Details umfassen, welche ich hier nur grob zusammenfassen kann. Das alles zusammenfassende Chart1 hatte ich erwähnt, es dokumentiert glasklar, dass es gar keinen Ausbau gibt und zeigt sogar, dass in den Ländern, die beginnend mit den 70ern ausgebaut haben, ein Rückbau sehr wahrscheinlich ist.

 

Chart 1: Ausbau 2010 bis 2050, davon alleine „STEPS“ gesichert, NZE ist Forderung IEA

Chart2 zeigt, worum es geht: Eine ganze Maßnahmenpalette staatlicher Unterstützung, um die schwierige Finanzierung zu erreichen. Dabei zeigt Chart3, dass selbst diese vielen Garantien und Unterstützungen, teilweise auch Subventionen bei Preisen oder Sachleistungen (Entsorgung) in den entwickelten Ländern nicht ausreichen, sondern dass hier 50% der Finanzierung direkt von den Staaten zu erbringen ist.

Chart4 ist interessant, da hier die relative Bedeutung von Kernenergie je Land aufgelistet ist. Markiert sind die größeren Industrienationen, deren Energiebedarf also gesondert zu bewerten ist. Hier erkennt man, dass der große Exot unter den Industrieländern nämlich nicht Deutschland, sondern Frankreich ist. Allenfalls Korea, das aber eine besondere geografische Lage ohne Nachbarn und mit begrenzter Fläche aufweist, wäre noch vergleichbar, liegt aber bereits bei der Hälfte. Selbst Japan, mit vergleichbaren Herausforderungen wie Korea liegt nur bei 8%. Die Deutsche Null kann man natürlich ewig diskutieren, vor allem hinsichtlich der vorzeitigen Abschaltung, aber die ist viel näher am Mittelwert als Frankreich.

Chart5 setzt die Bewertung von Chart4 und auch Chart1 fort, denn hier wird ersichtlich, wie die Altersstruktur der bestehenden Anlagen aussieht. Die sind nämlich in den westlichen Ländern sehr alt und die belastbaren Ausbaupläne können das keineswegs kompensieren, das ist offensichtlich also gar nicht gewollt. Wie Chart1 dokumentiert, lässt sich ein Rückgang in den nächsten Jahrzehnten gar nicht verhindern, der kann allenfalls durch die SMR-Vorhaben bis 2025 kompensiert werden. Die jüngere Flotte ist in China zu erkennen, die aber wie erwähnt auch nur auf das halbe Niveau des heutigen Durchschnitts aufholen wollen. Ebenfalls ist der Exot Frankreich zu nennen, da hier die hohe Quote aus Chart4 mit dem Alter des Parks nicht vereinbar ist.

Chart6 ist im Kontext zum gestrigen Bericht des französischen Rechnungshofs sehr interessant. Es zeigt nämlich, dass an belastbaren, weil über politische Absichten hinaus gehenden Projekten, in Europa nur Frankreich aktiv ist, die auch die UK-Projekte führen. In den USA übrigens niemand. Wenn die Finanzlage in Frankreich die Stützung dieser Milliardenlöcher nicht weiter erlaubt, werden selbst die STEPS-Szenarien der IEA aus Chart1 noch untertroffen und in Europa gar nichts laufen. In den USA ist es erkennbar die zitierte Wette auf die SMRs. Anderes ist dort nicht in Sicht.

Chart7 ist mehrfach bemerkenswert. Hier ist einer der Gründe zu erkennen, weshalb die in den westlichen Ländern so wenig neue Anlagen geplant werden und das vermutlich eher noch weiter zurückkommt: Die eklatanten Laufzeiten der Projekte im Vergleich zu Alternativen. Ein viel ernsteres Problem ist dem auch zu entnehmen, nämlich die fürchterlichen Laufzeiten für den Ausbau von Netzinfrastrukturen. Wenn wir über Wettbewerb und Energie reden, sollte dieses Thema in den Fokus und der Streit um die bessere Erzeugung mal enden. In Chart8 wird das eindrucksvoll für die aktuell laufenden Projekte visualisiert, auch bezüglich der Kosten. Das ist in den Daten von Chart7 gar nicht enthalten, die werden sich also alle weiter verschlechtern – so übrigens auch der französische Rechnungshof gestern.


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