DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Wer seine digitalen Plattformen oft für ökonomische oder finanzielle Interessen nutzt, hat die Algorithmen auf entsprechende Inhalte trainiert. Mit dem Wahlkampf ist es unübersehbar, wie viele neue Profile oder Kanäle von angeblichen Finanzexperten, Ökonomen, Investoren, Unternehmern auftauchen, die letztlich immer dieselbe Botschaft vermitteln: Der Euro als „Weichwährung“, begründet mit Schuldenpolitik, Inflation, ausufernden Staatsfinanzen, fahrlässigen Notenbanken. Folgen sind Wohlstandsverluste, fehlende Wettbewerbsfähigkeit, Verarmung. Teil der Dexit-Kampagne der AfD. Neben den typischen Protagonisten wie Krall, Otte, Tichy, Friedrich, diversen Portalen aus dem Kapp-Verlag, dubiose Quellen wie Finanzmarktwelt kommen täglich komplett neue Kanäle und Profile hinzu, die solche Narrative meist in sehr seriösem Äußeren verbreiten. Das Prinzip „viel hilft viel“ funktioniert an der Stelle leider bestens. Hat man einen Kanal davon gesperrt, tauchen drei neue auf. Trolle, Bots, Echokammern – wobei die genannten Protagonisten dabei oft zitiert werden oder längliche Video-Vorträge zeigen. Man kann dem gar nicht entgehen.
Teilweise widerspreche ich in Kommentaren, um wenigstens die Algorithmen etwas zu stören. Dankenswerterweise folgen mir oft einige Leser, die diese Kommentare bestätigen, sonst wäre das komplett wirkungslos. Antworten gibt es in diesen Foren selten, von den Betreibern nie, gelegentlich von anderen Lesern dort. Das hat übrigens System, denn professionelle Echokammern funktionieren am besten, indem man Widerspruch dort möglichst unbeantwortet lässt oder gleich löscht. Gibt man dem Aufmerksamkeit, was ich selbst auf meinen Profilen übrigens genau deshalb tue, weil ich keine Echokammer züchten möchte, bricht man die Abschottung auf. Die ehemals als Inkarnation der Meinungsfreiheit erhofften Plattformen verkommen immer mehr zu einem Zerrbild derselben. Am schlimmsten ist es in den tiefen Kammern, die von Systemmedien und Staatszensur plärren – und sich sofort bis zu Sperren und Ausschluss erregen, wenn man dem widerspricht.
Einmal mehr ist also mühsame Aufklärung notwendig, weil die Behauptungen zum Euro entweder gar nicht oder durch verzerrte Darstellung wie beispielsweise ein steigender Goldpreis (widersprüchlicher Quatsch!) oder ein Chart über den kurzen Zeitraum des jüngsten Dollar-Anstiegs belegt wird (Window-Dressing ist der Fachbegriff). Hier kurz die Datenlage: Die angeblich so stabile gute alte Deutsche Mark, zu der die AfD unbedingt zurück will, damit wir schneller in die ökonomische Steinzeit finden, war keineswegs so stabil, wie behauptet, sie war allenfalls „releativ“ stabil. Seit 1980 hat sie zum Dollar zunächst deutlich abgewertet, dann wieder aufgeholt, um Ende der 90er dann wieder auf das Niveau der 80er zu kommen (Chart2). Zurück gerechnet hat der Euro eine sehr ähnliche Entwicklung gezeigt, dessen Verlauf weicht also zur D-Mark gar nicht grundsätzlich ab. Anderes wird gerne behauptet, stimmt aber schlicht nicht!
Nun ist das ferne Geschichte und hoffentlich erhält niemand ein politisches Mandat, uns dahin zurück zu entwickeln. In der etwas jüngeren Geschichte des Euro (Chart1) ist zu erkennen, dass der zum Dollar nach seiner Einführung ab Ende der 90er zunächst stark aufwertete, um dann mit der Finanzkrise wieder abzuwerten. Tatsächlich liegt er noch über dem Niveau seiner Einführung. Was zugenommen hat, ist seine Schwankung, aber die ist nach oben viel stärker gewesen, als zu früheren Zeiten. Das kann und sollte man alles klug bewerten, aber eine „Weichwährung“ ist das erkennbar nicht, zumindest bisher.
Was in vielen Kommentaren derzeit bemüht wird, ist die jüngste Abwertung zum Dollar. Die kann man in Chart3 besser bewerten. Hier ist blau der Euro-Index gegen den Dollar-Index in rot aufgetragen. Das sind jeweils Indizes, die den Euro bzw. Dollar im Vergleich zu einem Mix der wichtigsten globalen Handelswährungen bewerten. Man erkennt, dass es sich nicht um eine Euro-Schwäche, sondern um eine Dollar-Stärke handelt. Der Euro hat gegenüber den meisten Währungen nämlich aufgewertet, zum Dollar aber stark verloren, der also seinerseits ganz erheblich gegen alle Währungen gewonnen hat – gegen den Euro jedoch am geringsten. Korrekt ist also von einer Dollar-Stärke zu sprechen, die gegenüber dem Euro ebenfalls, jedoch schwächer als gegen alle anderen wirkt. Auch das ist kein Indikator für eine „Weichwährung“.
Damit zu der Bewertung von möglichen Ursachen und Folgen dieser Währungsbilder. Zunächst darf man dem Mythos widersprechen, eine stabile Währung und eine gute Grundlage für die eigene Volkswirtschaft sei eine, die stetig aufwertet. Es gibt so manche These aus sehr frühen D-Mark Zeiten, die das behauptet. Dass eine Währung nach einer Zerstörung durch einen Weltkrieg aufwertet, weil die Wirtschaft wieder ins Laufen kommt, sollte nicht Ausgangspunkt einer These für „Normalität“ sein. Es ist tatsächlich anzustreben, dass eine Währung in stabilen Wettbewerbsumfeldern weder groß steigt, noch fällt, sondern in geringen Schwankungen „atmet“, um kurzfristige Ungleichgewichte der Konjunktur, Zinsen, Geldpolitik, Handelsströme etc. auszugleichen. Leider funktioniert das oft nicht. Strukturelle Defizite von Volkswirtschaften können Abwertungen erzeugen, die zugleich – wenn temporär – sogar unterstützend wirken. Im globalen Wettbewerb sehr dynamische Entwicklungen können auch Aufwertungen erzeugen, was wir derzeit bei den USA sehen. Das bringt aber für solche Volkswirtschaften auch wiederum Probleme mit sich, die unerwünscht sein können. Hinzu kommt, dass es Länder gibt, die mit verschiedenen Methoden ihre Währung systematisch abwerten, um im globalen Handel wettbewerbsfähiger zu werden. Das ist bei China und Japan zu beobachten.
Solche Währungsentwicklungen sind über längere Zeit sehr gefährlich. Ökonomen warnen vor allem vor „Währungskriegen“, bei denen so etwas sich schnell unkontrolliert beschleunigen kann. Es kann sowohl innerhalb von Volkswirtschaften, wie auch im Welthandel sich beschleunigende Effekte geben, die schnell außer Kontrolle geraten können. Daher wird die Währungspolitik Chinas derzeit kritisch bewertet und die USA freut sich über die Dollar-Aufwertung umgekehrt auch nicht. Dasselbe Problem haben seit Jahren aufgrund von Sondereffekten die Schweizer. Nebenbei bemerkt macht der gerne als besonders freier Marktwirtschaftler gefeierte argentinische Präsident Milei das mit der Abwertung so aggressiv wie niemand zuvor. Nun ist dessen Volkswirtschaft zu klein, um damit global irgendetwas zu bewirken, aber was da zwischen Chinesen und Amerikanern läuft, wird uns Europäer auf sehr vielen Ebenen beschäftigen. Je nach Entwicklung kann man die eigene Währungspolitik gar nicht so frei gestalten, wie man will. Das kann zu Abwertungswettläufen führen, zu Eingriffen in die Währungsmärkte (macht Milei übrigens ebenfalls besonders aggressiv) oder wozu auch immer.
Zurück zum Euro ist festzustellen, dass der entgegen der Behauptungen dergleichen als eine der großen Ausnahmen nicht zeigt. Man kann ihn sogar als die stabilste Währung der letzten Dekade bewerten. Ob das dauerhaft so bleibt, bleiben kann oder auch nur bleiben soll, ist eine ganz andere Frage. Ebenso ist kritisch zu erkennen, dass die Ungleichgewichte zu den USA bei Innovationen, Kapitaleinsatz, Produktivität, Digitalisierung etc. hier sichtbar werden. Es gibt also tiefere Ursachen für die Diskrepanz EUR/USD, also für die Tatsache, dass der Dollar auch gegenüber dem Euro aufwertet. Darüber ist zu reden, aber der Euro als Währung ist weder instabil, noch ist er gar Ursache für diese Ungleichgewichte. Er ist im Gegenteil bisher der beste Schutz dagegen, dass die voll durchschlagen! Wir sollten gerade wegen der zuvor genannten kommenden Herausforderungen sowohl angesichts der wachsenden Ungleichgewichte als auch der drohenden Währungskriege sehr froh sein, so eine stabile, weil – Achtung! – sehr große (!!) Währung als Schutz zu haben.
Ein Schutz, der nicht überstrapaziert werden darf, der aber erkennbar da ist. Nimmt man die wichtigsten Handelspartner Deutschlands, so sind dies bekanntlich als Nationen die USA und China. Hier hat der Euro ab- bzw. aufgewertet, aber wie gesagt moderater als alle anderen Währungen. Er war also das stabilste Instrument, das es gab. Insgesamt sind unsere wichtigsten Handelspartner mit großen Abstand aber die Europäer und hier der Euro-Raum. Das wird in diesen Statistiken immer übersehen, das Rückgrat aller europäischen Volkswirtschaften ist immer noch Europa selbst. In genau dem Handelsraum haben wir naturgemäß die stabilste Währung, die möglich ist, da die gar nicht schwankt und wir haben rechtlich zumindest die wesentlichen Grundlagen für einen gemeinsamen Handelsraum geschaffen.
Die Kritik am Eurosystem, an der EU, an den Folgen einer gemeinsamen Währung über so unterschiedliche Volkswirtschaften, die Überregulierung und vieles mehr, ist wichtig. Die Vorteile darf man aber auch nennen und da ist der Euro vor allem für die stärkeren Volkswirtschaften der EU sowohl in Europa als auch im Welthandel ein ganz großer Pluspunkt!
Wir sollten dieses System also sehr wohl kritisch würdigen, aber nicht, um es zu verlassen, sondern um es zu verbessern. Der Grund ist, dass es ein Segen für die Europäer ist, die sonst längst global marginalisiert worden wären. Das kann immer noch passieren, das sagen die jüngsten strukturellen Trends. Die Lösung gegen diesen Abstieg ist aber im Euro und in der EU zu finden, nicht außerhalb.
Die AfD hat auf allen Ebenen nur gefährliche Rückschritte im Programm, das sie mit vielen Falschdarstellungen und Lügen begründet bzw. begründen muss, sonst würde jeder Stammtisch verstehen, was das für ein fatal gefährlicher Kurs ist. Dagegen ist der Brexit ein Kindergeburtstag, weil Deutschland mit so einem Irrsinn noch viel stärker getroffen wäre, als die Briten!
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