DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Es ist sehr bedauerlich, wie oft sich in den Medien Ökonomen zitieren lassen, die Strompreise mit basalen Modellen von Angebot und Nachfrage erklären sowie den unwissenschaftlichen Begriff der „Dunkelflaute“ nutzen. Teilweise führen selbst direkte Diskussionen mit denen zu keinem Ergebnis. Man kann so manchem BWL- oder VWL-Professor sogar öffentlich nachweisen, dass eklatante Widersprüche und Mängel in der Argumentation vorliegen. Hilft nicht, es kommt wie eine Wand irgendwas von Verknappung, Wohlstandsverlusten, Zufallsstrom etc. Wer in einem Markt künstlich verknappt, löst solche Preise aus, Punkt. Es ist wirklich anstrengend!
Zur Datenlage und den wissenschaftlichen Begriffen: Die Rede ist von der Residuallast. Das ist die nach der volatilen Last (also dem bereits stark schwankenden Verbrauch) und den volatilen Erzeugern (primär Wind, PV) erforderliche „Reserveproduktion“. Der Verlauf der Residuallast ist ein tiefes Thema. Das reicht von sehr kurzfristiger und agil erforderlicher Menge, was es als „Spitzenlastproduktion“ schon immer gegeben hat. Dieser Bereich ist übrigens der einzige technisch wirklich schwierige, da hier wegen der Netzstabilität sehr präzise und hoch agile Produktion – oder auch Abregelung – notwendig ist. Darüber hinaus gibt es typische, fast tägliche Muster, beispielsweise zu den Abendstunden und über Nacht, bei denen die Residuallast regelmäßig für einige Stunden anspringt. Fachleute sprechen von einer „Entenkurve“, weil das typische Muster so ähnlich aussieht. Diese beiden ganz primären, weil täglichen Anforderungen werden global mit exponentieller Geschwindigkeit durch Batteriespeichersysteme gelöst und es ist absehbar, dass dies ökonomisch und technisch damit hoch optimal abschließend erledigt wird.
Damit sind die teuren „Redispatch-Maßnahmen“, die angeblich so gefährdete „Netzstabilität“, die angeblich seit Jahrzehnten immer gefährdeter wird, zugleich aber immer seltener gefährdet ist und nichts geringeres als der täglich Einsatz aller Arten von Kraftwerken: Geschichte. Das wird von Kalifornien über China bis Südaustralien schnell gehen. Betrachtet man die Debatten in Deutschland wird das hier: Nicht schnell gehen.
Ein Grund: Während man global ganz nach Pareto daran arbeitet, zuerst mal 80% der Problems zu lösen, weil das sehr schnell geht, sehr effizient Gewinne für die eingesetzten Ressourcen bringt und am schnellsten CO2 spart, redet man in Deutschland bis zur täglichen Grundlastversorgung an Erregung, Empörung, Angst und Deindustrialisierungsdystopien über: Dunkelflauten. Nebenbefund: Die Dunkelflaute unter allen Dunkelflautedebatten ist die über: Stromimporte.
Tatsächlich ist die Residuallast, also die erforderliche Reserve, in sehr seltenen Phasen über die täglichen „Enten“-Muster hinaus für mehr als einige Stunden andauernd hoch. Das reicht von einem halben bis zu mehreren Tagen. Vielleicht prägt sich dafür mal ein eigener Fachbegriff, vielleicht ist es die „Dunkelflaute“, vielleicht werden dafür aber mehrere unterschiedliche Muster mit besseren Begriffen definiert. Die Lösung dieser Reserveleistung besteht heute im Hochfahren von Kraftwerksleistung. Global wird das eher entspannt gesehen, denn: Die Lösung ist ja da. Anders in Deutschland, denn hier wird diskutiert, wie das funktionieren soll, wenn in 20 Jahren diese Lösung nicht mehr da sein sollte, obwohl sogar der aktuelle Plan vorsieht, dass sie da bleiben soll, was vielleicht aber gar nicht klug ist, weil das global nämlich alles zuerst mal erforscht werden soll, denn: Die Lösung ist verdammt noch mal da und welche Lösung in 20 Jahren vielleicht die bessere der heute existierenden ist, klärt man global: Im Verlauf der nächsten 20 Jahre.
In Deutschland klärt man so: Gar nichts. Aber die Versorgung sowohl mit Strom und Erregung ist weiter sichergestellt.
Bezogen auf die letzten beiden Wintermonate, die angeblich immer so besonders „gefährdet“, „dunkelflautig“, „kritisch“, „importbettelnd“ und „teuer“ sind, anbei die nüchternen Daten: Die Residuallast in Charts 1+2 (obere Kurve Last, untere Residuallast, also „Reserve“) schwankt derzeit typischerweise zwischen Null (sie wird zunehmend auch negativ werden) und ca. 40GW in kurzen Spitzen. Gelegentlich erreicht sie auch mal knapp 70 GW. Meist ist das nur für ein paar Stunden der Fall. Im Dezember gab es zwei Mal Phasen von einigen Tagen. Das mag man vielleicht irgendwann mal „Dunkelflaute“ nennen.
Mit den Preisen hat das: Nichts zu tun. Jedenfalls in der Höhe nicht.
Wir sehen in Chart 3+4, dass es entlang der Residuallast wegen der dann erforderlichen teuren Kraftwerke Preisschwankungen gibt. Die verlaufen normalerweise zwischen Null und 100 EUR, wobei bereits diese 100 Euro gar nichts mehr mit den Kosten für ein Kraftwerk, sondern mit spieltheoretischen Börsenmechanismen zu tun haben. Da diese – und nur diese! – die Preise in der Höhe erzeugen, sehen wir Mitte Dezember die besonders heiß diskutierte „Dunkelflaute“ mit den Preisexzessen bis zu fast 1.000 EUR und gelegentlich auch mal Spitzen von 200 EUR. Wir sehen aber immer wieder, dass bei sehr ähnlichen Mustern der Residuallast komplett unterschiedliche Preise zustande kommen, das kann bis zu Faktor 10 ausmachen. Ausdrücklich möchte ich auf die zweite „Dunkelflaute“ im Dezember hinweisen, denn da passierte bei den Preisen bei ansonsten vergleichbaren Anforderungen: Nichts. Das haben Bild et al. irgendwie verpasst.
Dabei ist anzumerken, dass von den Planungs- und Produktionskosten her, eher längere Phasen von Kraftwerkseinsätzen betriebswirtschaftlich erhebliche Vorteile bringen. Das heißt sehr deutlich gesagt: An den Stellen, wo die Preise so besonders eskalierten, konnten die Kraftwerke viel günstiger produzieren, als zu den anderen Phasen mit sehr kurzen Einsätzen.
Hier sind die Folgen von Börsenmechanismen und Marktdesign zu sehen, mit „Dunkelflauten“ oder „Zappelstrom“ hat das nichts zu tun. Importe und Exporte mildern das sogar, haben aber tatsächlich für alle in Europa Folgen, über die ebenfalls zu reden ist: Was da Mitte Dezember passierte, als in Deutschland phasenweise bis zur Hälfte der Kapazitäten ungenutzt blieb, wodurch ausgehend von unserem Markt in ganz Westeuropa bis in die unteren Strompreiszonen Norwegens und Schwedens die Preise sinnfrei eskalierten, ist ein Fall für das Kartellamt. So etwas passiert viel zu oft, es passiert überall, aber das war besonders extrem und der Ärger einiger anderer Europäer ist berechtigt. Die schwedische Populistin Busch, die das auf den Verzicht auf Kernenergie zurück führte, ausdrücklich ausgenommen.
Mit dem Modellchen von Gleichgewichtspreisen über Angebots- und Nachfragefunktionen ist das alles nicht erklärbar. Mit „Dunkelflauten“ hat das auch nichts zu tun und die sollten endlich ein Thema für die letzte Phase der Transformation sein. Wir müssen Netze und Batterien ausbauen, wir brauchen Marktanreize, die dafür Geschäftsmodelle ermöglichen (haben wir nicht!) und die erforderlichen, aber vorhandenen Kraftwerksreserven müssen endlich zu Preisen abrufbar sein, die eine faire Marge und kein Erpressungspotenzial für ganze Regionen Europas bedeuten.
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