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Gegen Bürokratie und Überregulierung braucht man keinen Milei, sondern kompetente Digitalisierung

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦     

KOMMENTAR

 

Die Polarisierung der öffentlichen Debatte kann ich nicht selten mit kleinen persönlichen Experimenten nachweisen. Als ich kürzlich einen zornigen Gastbeitrag beim „Pragmaticus“ über die Folgen von Bürokratie und Überregulierung veröffentlichte, kamen Zuschriften, so einen „rechten Kanal“ dürfe man nicht unterstützen und die Regulierungskritik sei ohnehin nur neoliberale Agenda mit antidemokratischen Zielen. Die letzten Beiträge zu Milei und die Kritik an dem plötzlich so disruptiven Lindner, der im Amt selbst gerne bereits moderate Reformen blockierte, erzeugten die typischen Gegenstimmen von Freunden irgendwelcher libertärer Zerstörungsphantasien ohne jede Struktur, Zielsetzung oder auch nur näherungsweise tiefere gedankliche Grundlage.

 

Dabei ist die Sache gar kein Hexenwerk, denn tausende besser aufgestellte Unternehmen haben das vorgemacht und methodisch ist daran nichts neu: Das beste Mittel gegen dysfunktionale, teure und langsame Prozesse heißt schlicht Digitalisierung. Wenn man die richtig macht, was keineswegs nur durch ein Projekt dieses Namens erreichbar ist, wird man folgendes feststellen:

 

i) Man muss die Prozesse zuerst mal präzise definieren, was man als einfach vermutet, in den kompetent aufgestellten Projekten aber sehr schwer fällt. Das nenne ich die Phase der Selbstfindung, die zur näheren und oft eher komplett neuen Erkenntnis führt, was man so ganz genau seit Jahren eigentlich wirklich tut.

 

ii) Ein kluges Management wird anschließend nicht dazu übergehen, diese Prozesse zu digitalisieren, sondern sie komplett in Frage stellen. Der Spruch, wer einen scheiß Prozess digitalisiert, erntet einen scheiß digitalen Prozess, wird mehreren zugeschrieben, er sollte zum Standard werden.

 

iii) Was also folgt ist ein Re-Design der Prozesse, welches wiederum kompetent gemacht mit großen Abstand zum Status quo mit der Frage beginnt, was das Ziel ist, welcher Input dafür notwendig ist und was der Output sein soll. Je nach Situation kann das durchaus disruptiven Charakter erreichen, der dann aber konstruktiv und zielgerichtet ist. Es kann insbesondere dazu führen, ganze Prozesse als obsolet zu identifizieren und ersatzlos zu streichen. Andere werden zusammengeführt, weitgehend neu organisiert und vor allem müssen die menschlichen Interaktionen/Eingriffe reduziert werden, sonst ist es schnell vorbei mit der Option auf Digitalisierung.

 

iv) Die höhere Kunst der Digitalisierung liegt darin, das nicht isoliert im Sinne einer existierenden Organisation zu tun, sondern als Teil des digitalen Gesamtuniversums zu denken, wie es das Schaubild aus dem Lehrbuch anbei zeigt. Man sollte also die eigene Struktur als Akteur im Gesamtsystem planen, sonst hat man Digitalisierungsprojekte, die viel zu kurz greifen.

 

Die Idee, staatliche Verwaltungen zu digitalisieren, wird schon lange gefordert und sie ist in vielen Ländern eklatant dilettantisch gescheitert, so auch in Deutschland. Der Grund liegt in der Unfähigkeit der Politik, das Thema kompetent zu bewerten, in den vielen Fehlern, Verwaltungen selbst damit zu mandatieren und am politischen Unwillen des Wählers, das endlich zu fordern.

 

So lässt sich eben dieser Wähler gerade von einem Ex-Finanzminister Sprechblasen über Disruption widerspruchsfrei vortragen, der bei der Energiekrise vor die Presse trat und den Journalisten höchst arrogant vortrug, sie hätten keine Ahnung von Verwaltung, da die Finanzverwaltung gar nicht in der Lage sei, so viele IBANs zu verwalten oder gar Zahlungsvorgänge auszulösen, um irgendwelche Direktzahlungen an die betroffenen Bürger zu leisten. Daher sei es zwingend, Hilfen bei nicht stemmbaren Energiekosten mit der Gießkanne durch breite Preissubventionen zu verteilen.

 

Diese vom Kanzler mit „Wumserei“ gar nicht falsch benannte Politik hat übrigens einen deutlichen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet, aber der Sparbürger streitet heute gerne über Radwege in Peru oder das Bürgergeld. Dabei übersieht er, dass so manche Verwaltung für Altersvorsorge, Gesundheitswesen oder Arbeitslosigkeit heute für die eigenen Kosten so viel benötigt, wie in den 80ern als Gesamtetat für die Leistungen angefallen war. Seitdem hätte Digitalisierung aber zu einer Senkung der Kosten beitragen müssen.

 

Dabei geht es nicht um die Kosten für die Verwaltung, denn die größte Dividende einer kompetenten Digitalisierung ist ein exzellenter Filter für überflüssige Vorschriften, Vorgänge und Arbeitsabläufe. Wir brauchen keinen Milei, wir brauchen keine libertäre Disruption, wir müssen unsere Ordnungssysteme nicht in Frage stellen, wir müssen auch nicht plötzlich negieren, dass gut funktionierende Institutionen essentiell für einen modernen Staat sind, wir sollten als Wähler ein klares Mandat zur Digitalisierung erteilen.

 

Seit Jahrzehnten lassen wir uns damit abspeisen, dass bereits die Vorgaben dafür komplett inkompetent sind, denn der Staat definiert eine digitale Verwaltung dadurch, dass diese digitalem Input verarbeiten kann. Bereits der Output muss es nicht mehr sein. Wer als Wähler Digitalisierung im Sinne digitaler Formulare akzeptiert, sollte sich keine Disruption wünschen – und Politiker, die irgendwas fordern, aber bei jeder nachprüfbaren konkreten Handlung nur sofort über die eigenen Forderungen stolpern, brauchen wir auch nicht.

 

Es geht um Moderne und zwar auf allen Ebenen. Bei unseren ökonomischen und gesellschaftlichen Modellen, bei der Planung und Verwaltung unserer Finanzen, bei den Technologien, die wir einsetzen wollen und an deren Fortschritt wir global partizipieren wollen, bei unserem Staat, der sich gefälligst endlich einigermaßen zeitgemäß selbst zu organisieren hat.


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