DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Man getraut sich ja kaum, die Frage auszuformulieren. Wollt Ihr den totalen Krieg? hatte Joseph Goebbels in seiner Sportpalast-Rede in den Saal gebrüllt. Ja! brüllte das verblendete Publikum zurück. Das war am 18. Februar 1943. Die Schlacht um Stalingrad war geschlagen, der Krieg für Deutschland verloren. Also steigerte sich die Propaganda in den vollendeten Wahnsinn und forderte Eskalation, Eskalation, Eskalation. Wo Einsicht und Vernunft geschlagen sind, kann Selbstzerstörung zur Lust werden. Après nous le déluge. Nach uns die Sintflut.
Vergleiche mit der Geschichte des Nationalsozialismus sind immer eine schwierige Sache. Manchmal lassen sie sich trotzdem nicht vermeiden. Dies empfinde ich angesichts der Resolution, die das Europäische Parlament vor einer Woche, am 28. November, unter folgendem Titel verabschiedet hat: „Verstärkung der unerschütterlichen Unterstützung der EU für die Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg und die zunehmende militärische Zusammenarbeit zwischen Nordkorea und Russland“. Angenommen wurde der Aufruf mit einer Mehrheit von Konservativen, Sozialisten, Liberalen und Grünen.
Es ist nichts anderes als ein Appell, den Dritten Weltkrieg zu wagen. Über 13 Seiten wird das Parlament der EU nicht müde zu betonen, die Drohungen Russlands mit nuklearen Vergeltungsschlägen könne die EU nicht abhalten von militärischer Unterstützung der Ukraine. Forderungen nach Kampfjets und Langstrecken-Marschflugkörpern vom Typ Taurus werden gebetsmühlenartig heruntergeleiert, und zwar ohne Einschränkungen bezüglich deren Einsatzradius’. Ganz Russland soll Zielgebiet sein. Frankreich, Grossbritannien und USA, die diesbezüglich mit ihren SCALP-, Storm-Shadow- und ATACMS-Raketen vorangegangen sind, werden lobend erwähnt. Und all dies bei vollem Bewusstsein, dass die hochkomplexen Waffensysteme ohne die Programmierarbeit ihrer Herkunftsländer unbrauchbar sind. Wir wollen den totalen Krieg gegen Russland nicht unbedingt, aber wir nehmen ihn in Kauf. (Und dieser EU wollen sich in der Schweiz die SP, die FDP, die Mitte, die Grünliberalen an den Hals werfen…)
Dass uns all dies millimeternah an den Ausbruch eines Dritten Weltkriegs heranschiebt, davon sagen Europas Abgeordnete nichts. Das würde die Menschen nur unnötig stutzig machen. Ebenso, dass, selbstverständlich, Mitteleuropa zur Austragungsregion des nuklearen Infernos würde. Diplomatische Lösungen sind innerhalb des ganzen 13seitigen Papiers inexistent. Das Europäische Parlament hat sich in seiner ideologischen Besessenheit, Kriegsblindheit, Russlandphobie, Putin-Verteufelung, aber auch in seiner Machtgeilheit den Tunnelblick angeeignet. Man ist realitätsenthoben, wie gedopt. Es gibt nur eine Richtung: noch mehr Geld, noch mehr Waffen. Russland muss zerstört werden, und zwar so schnell, wie dies das kurze Zeitfenster bis zum Amtsantritt von Donald Trump gebietet. Denn Trump könnte das ganze Gebäude zum Einsturz bringen.
Das ist jetzt der Grundtenor der westlichen Allianz. Unterfüttert mit dem Narrativ, dass dem Totalitarismus der Riegel geschoben werden müsse, weil er sich sonst immer mehr und noch mehr aneigne, labert man von Demokratie, von Menschenrechten und von westlichen Werten. Die europäischen Abgeordneten in Brüssel sind so ideologiebesoffen, dass sie es wohl selbst langsam glauben. Fraglich ist nur, ob es nach der Eskalation noch eine Welt geben wird, auf der diese Werte zur Geltung kommen können.
Ja, um westliche Werte geht es. Aber nicht um die ideellen – es geht um die wirklichen westlichen Werte, nämlich die materiellen. Es geht um Billionen von Dollars in Form von Seltenen Erden, von Lithium, Uran, Titan, Quecksilber und was es an Bodenschätzen mehr gibt in der Ukraine. Ganz abgesehen vom Potential der ukrainischen Landwirtschaft, der Kornkammer der Welt. BlackRock, Vanguard, City Group etc. kaufen auf, was sie kriegen können. Und weil jede Investition – notfalls militärisch – geschützt werden muss, ist jede Investition eine weitere Eskalation.
Seit Zbigniew Brzezinskis Buch von 1997 “The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives” (“Das große Schachbrett. Die amerikanische Vorherrschaft und was daraus an geostrategischen Verhaltensweisen abzuleiten ist”) arbeiten die USA in ihrer Osteuropa-Politik an nichts anderem als daran, die Ukraine ins westliche Lager zu ziehen (dasselbe gilt für Georgien – warten wir die nächsten Monate ab…). Denn mit dem grossen Schachbrett ist die Ukraine mit ihren Bodenschätzen gemeint. Mit Zugriff darauf sei Russland eine Welt-, ohne sie nur eine «Regionalmacht»… Der Spott, den Obama 2014 auf Russland ausbrachte, ist Ausdruck dieser Strategie.
Zur deren Umsetzung benötigten die USA dreierlei: einen proamerikanischen Putsch in Kiew, die Kriegseröffnung Putins gegen die Ukraine und die Abkoppelung Deutschlands von russischer Energie. All dies wurde fein säuberlich von der Aussenpolitik und von der CIA vorbereitet und in die Wege geleitet. Der Plan schien aufzugehen, nachdem die deutsche Ampelregierung die Sprengung von Nordstream geschluckt hatte. Aber dann schlichen sich Fehleinstellungen ein, und zwar auf beiden Seiten. Die NATO hat zu wenig bedacht (wie war das möglich?), dass die westlichen Sanktionen Russland an die Seite Chinas treiben würden. Jetzt ist zu gewärtigen, dass Russland die ukrainischen Bodenschätze nicht allein abschöpft, sondern im Verbund mit China, dem Erzfeind. Und Putin, der von einer «militärischen Spezialoperation», also einer kurzzeitigen Operation, gesprochen hatte, täuschte sich in der Bereitschaft des gesamten Westens, die Sache in den Rang eines Kreuzzugs zu erheben.
Die genannten Erze und Minerale sind, mit Blick auf die fortschreitende Dekarbonisierung der Industriegesellschaften, für die Supermächte essentiell. Sie fürchten tatsächlich den Abstieg in die Regionalliga, deswegen der Krieg. Eine andere Möglichkeit wäre es, den Austausch zu pflegen und Handel zu treiben. Das würde aber den Verzicht auf das globale Machtmonopol bedeuten. Und das fällt offenbar niemandem so schwer wie dem Westen.
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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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