DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Wer mit etwas parteipolitischer Distanz auf die letzten Dekaden blickt, braucht keine größere Fachkenntnis, um die strukturellen Defizite der diversen GroKo-Phasen zu erkennen. Es gibt immer noch global sehr erfolgreich agierende deutsche Unternehmen, die das aber nicht wegen, sondern trotz der politischen Führung sind und das auch nur, weil sie global agieren. Zwei zentrale Trends, Digitalisierung und exzessiv ausgeweitete Finanzierungsgrundlagen, hat Deutschland verpasst.
Nun droht sogar Rückstand in einem Bereich, den Deutschland ausnahmsweise mal begonnen hatte: Moderne Energieversorgung und Elektrifizierung. Ausgerechnet dieses Projekt wurde unter der GroKo ausgebremst und zuletzt massiv öffentlich beschädigt. Statt zu erkennen, dass global längst ein Standortwettbewerb um den schnellsten und konsequentesten Ausstieg aus fossilen Energien in allen Sektoren läuft, setzt sich bei uns die Meinung durch, das sei überteuerte und ideologische Klimapolitik.
In dieser politischen Mengenlehre sind zwei Parteien essentiell: Eine konsequent ökologisch denkende und eine modernen geoökonomischen Anforderungen gerecht werdende Wirtschafts- und vor allem Finanzpolitik entwickelnde liberale Partei. Die Wahlergebnisse der letzten Dekaden signalisierten durch die Erosion der ehemals überwältigende Mehrheiten vereinenden GroKo durchaus diesen Bedarf. Es war daher sogar ein Hoffnungswert, dass eine geschwächte SPD durch zwei starke Partner ergänzt wird, die genau diese beiden Rollen vertreten und deren Mit-, aber auch explizit Gegeneinander sogar so wichtiges Lösungspotenzial entwickeln könnte. Das wäre übrigens mit einer geschwächten Union genauso denkbar.
Das ist jetzt Geschichte. Die eine Partei wurde öffentlich demontiert, weil sie ihren Job machte und schlicht ihr Mandat umsetzte. Die andere wurde okkupiert von einem inkompetenten und wie nun ausreichend belegt charakterlich ungeeigneten Laienschauspieler.
Mir wurde oft vorgeworfen, mich einseitig mit Lindner zu beschäftigen, was dann in aktueller Debattenkultur zum Prädikat des Linksgrünen führt. Der Grund für meine Fokussierung ist ein ganz anderer: Die starke Macht des Finanzministers im deutschen bis zum europäischen System und die Rolle des einzigen ein (hüstel, alterndes) bürgerlich/konservatives Lager erreichenden Regierungsmitglieds, der zugleich als Vorsitzender eben jene wichtige Partei nahezu dominiert, hat ausgerechnet Lindner eine Schlüsselrolle zugewiesen, in der er viel hätte gestalten können, weshalb sein umfassend vollständiges Versagen auf allen Ebenen so verheerend ist.
Er hat als Finanzminister eine veraltete ordoliberale Denkschule verbalisiert, die er selbst nicht Mal einhielt. Eine seiner ersten realen Handlungen war ausgerechnet die erste ineffiziente, den Ordoliberalismus verletzende Gießkanne namens „Tankrabatt“, die ich nebenbei bemerkt hier nebst allen folgenden Ideen von Scholz und Habeck heftig kritisierte. Auch da war Lindner im Boot. Er war mit Scholz Architekt des Unterlaufens der Schuldenbremse, was ich hier ebenfalls ein Jahr bevor das mit dem Urteil aus Karlsruhe platzte, kritisierte.
Dabei ging es mir gar nicht um die Schuldenbremse, die in der Form jeder wissenschaftlichen Grundlage und auch nur einigermaßen haltbarer Begründung entbehrt, sondern um diese gewaltige Mittelverschwendung für ineffiziente bis kontraproduktive Eingriffe in Preismechanismen von Märkten. Wenn der 80er Ordoliberalismus nämlich heute noch etwas bedeutet, dann ausgerechnet an der Stelle, an der niemand anders als Lindner selbst diesen nebst der Schuldenbremse mit Füßen trat, um dreistellige Milliardenvolumina zu heben, die tatsächlich komplett konsumiert wurden – und dies letztlich für Importe fossiler Energien sowie ein Aufblasen von Bilanzen gesamtökonomisch irrelevanter Energiekonzerne. Da ist mal so richtig Geld drauf gegangen!
Als Lindner das auf die Füße fiel, verengte er sich zum Hardliner der Schuldenbremse, fiel nur noch durch immer unwissenschaftlichere Quatschwirtschaft auf, machte sich als Finanzminister zum Sprachrohr eines Chors, der behauptete, Haushaltskürzungen im Sozialbereich könnten die gewaltigen verdeckten Defizite von Infrastrukturen über Bürokratie bis zur Verteidigung finanzieren – ohne auch nur eine einzige valide Finanzplanung zu versuchen, die das belegen könnte. Er, der qua seines Amts sogar in der Pflicht wäre, dafür einen konkreten Plan vorzulegen, das gar voranzutreiben, flüchtet sich in die tiefsten, unglaubwürdigsten und plattesten Stammtischparolen!
Sein dazu vorgelegtes „Scheidungspapier“, das bis heute von nicht wenigen gefeiert wird, das im analytischen Teil ein zugleich richtiger, wie bewusst lückenhafter kleiner Schatten weit substanzieller Analysen wie dem Draghi-Bericht ist, war ansonsten im Lösungsteil ein fachlich unhaltbares Pamphlet mit bewusst kreiertem Spaltmaterial für die Ampelpartner – dem einzigen Ziel dieses Papiers.
Nun hat die Zeit einen Bericht veröffentlicht, der glasklar dokumentiert, welches Drehbuch hier inszeniert wurde. Ein Bericht, der jeden mit offenen Augen kaum überraschen kann, der allenfalls bezüglich der Charaktere, der Wortwahl, der mentalen und intellektuellen Verfassung der Akteure so etwas wie Neuigkeitswert hat. Für mich übrigens nicht, ich hatte vor allem bei Lindners Auslandsreden beispielsweise in der Schweiz oder in den USA, wo er sich wohl unbeobachteter wähnte, solche Ausfälle schon länger dokumentiert.
Nun sollte man meinen, dass dieser Bericht endlich zu einem Schlussstrich führt, zu dem politischen Tod eines inhaltlich/charakterlich schon lange für dessen Ämter Toten. Zugleich eine Chance, für eine wichtige Partei, sich zu entledigen, zu reformieren, zu modernisieren. Ihre DNA wieder zu finden und in die Moderne zu übersetzen, Kräften, die in dieser Partei vorhanden sind, die Entfaltung zu erlauben.
Hoffnung für so eine Entwicklung habe ich nicht. Die Polarisierung ist zu stark, diese Lindner-FDP ist rechtspopulistisch abgebogen und auf libertärem postpubertärem Stammtischniveau angekommen. Das ist ein „way of no return“ und eine Sackgasse zugleich. Schon länger zeichnet sich ab, dass man diese fürchterliche Klientel, die die einzig verbliebene ist, immer verzweifelter einfach nur weiter bedienen kann, um nicht raus zu fliegen.
Also sitzen da Berufspolitiker, die nur noch eint, dass allenfalls noch mehr dieser unerträglichen Latrinenparolen das nächste Mandat noch erhalten können. Die das nicht mehr ertragenden werden aussortiert. Entsprechend sind auch die Reaktionen in den Kommentaren zu diesem Zeit-Artikel. Empörung überwiegt, aber eine Quote bleibt stoisch bei der Feststellung, das sei so notwendig gewesen, gar überfällig, in der Art sogar angemessen und wie immer kommt, „die anderen“ würden so was auch machen.
Sollte Lindners Macht intern so groß sein, dass die Partei ihn nicht los wird, kann man explizit wegen des Bedarfs an einer modernen liberalen Partei nur hoffen, dass die Lindner-FDP nicht genug Latrinenanhänger findet, um zu überleben.
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