DMZ – GESUNDHEIT ¦ A. Aeberhard ¦
KOMMENTAR
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie wurden die akuten Gefahren des Virus weitgehend bekannt und gemindert, doch die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen stellen weiterhin eine erhebliche Herausforderung für die Gesellschaft dar. Wie der norwegische Forscher und Biostatistiker Dr. Richard Aubrey White zusammen mit seinen Kollegen aufzeigt, entwickeln immer mehr Menschen sogenannte Long-COVID-Symptome, auch nach milden Infektionsverläufen. Die Erkenntnisse der norwegischen Studie lassen sich auch auf Deutschland übertragen, wo steigende Langzeitfolgen eine wachsende Belastung für das Gesundheitssystem darstellen.
Im Folgenden beleuchten wir die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und diskutieren mögliche Maßnahmen.
Ein globales Virus – eine multiorganische Krankheit
COVID-19 gilt seit seiner Entdeckung nicht mehr nur als respiratorische Erkrankung, sondern als systemische Infektion, die verschiedene Organsysteme befallen kann. Deutsche und internationale Studien bestätigen, dass das Virus besonders Gefäß- und Nervenzellen angreift und damit langfristige Schäden verursacht. „Es ist nachgewiesen, dass SARS-CoV-2 das zentrale Nervensystem betreffen kann, was bei vielen Betroffenen kognitive Beeinträchtigungen, wie die sogenannte Hirnnebel-Symptomatik, auslöst“, erläutert der Neurologe Dr. Jürgen Huber von der Charité in Berlin. Die Symptome, die oft Monate nach der Infektion auftreten, reichen von Gedächtnisproblemen und Konzentrationsschwächen bis hin zu verminderter psychischer Belastbarkeit.
Long-COVID: eine unterschätzte Belastung für die Gesellschaft
In Deutschland schätzt das Robert Koch-Institut, dass etwa 10 % der COVID-19-Erkrankten Langzeitfolgen entwickeln, die über Wochen oder Monate andauern können. Besonders beunruhigend sind die neuen Erkenntnisse, dass Langzeitfolgen auch nach milden Verläufen auftreten können. Eine norwegische Langzeitstudie zeigte, dass auch Menschen, die nur leichte Symptome hatten, häufig Langzeitfolgen erleiden, darunter Atemnot, Erschöpfung und neurologische Einschränkungen.
Prof. Dr. Katja Heike, die in Deutschland eine Studie zur COVID-Nachbetreuung an der Uniklinik Freiburg leitet, betont: „Long COVID betrifft Menschen aller Altersgruppen und ist nicht auf bestimmte Risikogruppen beschränkt.“ Die vielfältigen Symptome betreffen laut Heike neben dem Herz-Kreislauf-System auch das Immunsystem und führen bei Betroffenen zu einer erhöhten Anfälligkeit für Folgeerkrankungen.
Langzeitrisiken – Ein Gesundheitsproblem für alle Altersgruppen
COVID-19 kann das Risiko für verschiedene chronische Erkrankungen wie Diabetes, kardiovaskuläre Probleme und neurologische Defizite erhöhen. Eine deutsche Metaanalyse bestätigt, dass COVID-19 als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Diabetes mellitus gelten muss. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass Langzeitfolgen nicht nur ältere Patienten treffen. Auch Kinder und Jugendliche zeigen teils schwere Langzeitfolgen, was Prof. Dr. Markus Bacher vom Universitätsklinikum Tübingen als „alarmierendes Signal“ bezeichnet. „Wir sehen, dass Kinder, die nur eine milde COVID-19-Erkrankung durchgemacht haben, später unter Symptomen wie Konzentrationsproblemen und Gedächtnisverlust leiden“, so Bacher.
Folgen für das Gesundheitssystem – Kosten und Personalbelastung
Die wachsende Zahl an Long-COVID-Fällen wirkt sich auch wirtschaftlich und strukturell auf das deutsche Gesundheitssystem aus. Laut der Barmer-Krankenkasse nahm die Zahl der Long-COVID-Diagnosen seit Ende 2021 kontinuierlich zu. Mehr Langzeiterkrankungen bedeuten nicht nur höhere Kosten für das Gesundheitssystem, sondern auch eine steigende Belastung des medizinischen Personals.
In Norwegen wie auch in Deutschland wird die Krankheit oft falsch oder gar nicht diagnostiziert, da symptomatische Ähnlichkeiten mit anderen Erkrankungen zu Fehleinschätzungen führen. Prof. Dr. Katharina Lehmann von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin fordert daher eine bessere Kodierung und Erkennung von Long COVID, um eine gezielte Behandlung sicherzustellen.
Prävention und Schutzmaßnahmen
Angesichts dieser Fakten ist es essenziell, Präventionsstrategien weiter zu fördern und auf neue Forschungsergebnisse zu reagieren. Die norwegischen Autoren betonen, dass das Testen und Isolieren infizierter Personen weiterhin eine wichtige Rolle spielt. Auch in Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) regelmäßige Auffrischimpfungen für Risikogruppen und weist auf die Schutzwirkung der Impfung hin. Dr. Anne Falkenberg, Epidemiologin aus München, erklärt: „Die Impfung schützt nicht nur vor schweren Verläufen, sondern mindert auch das Risiko von Langzeitfolgen erheblich.“
Zur Verbesserung der Luftqualität in Innenräumen und zur Reduzierung des Infektionsrisikos könnten Maßnahmen wie Luftfilter und CO₂-Ampeln in Schulen, Büros und öffentlichen Räumen in Deutschland verstärkt werden. Studien haben gezeigt, dass solche Maßnahmen die Viruslast in der Luft reduzieren und Infektionswellen abflachen können. Der Deutsche Gewerkschaftsbund unterstützt mittlerweile die Forderung nach flächendeckenden Maßnahmen zur Luftreinigung und Verbesserung des Innenraumklimas.
Fazit: Langfristige Strategie erforderlich
COVID-19 hat sich als Herausforderung mit langfristigen Folgen für die Gesellschaft erwiesen. Sowohl die norwegischen Studien als auch deutsche Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass Langzeitfolgen eine ernsthafte Gesundheitsbelastung darstellen. Während die akute COVID-19-Infektion durch Impfungen weniger lebensbedrohlich ist, benötigen wir dringend eine ganzheitliche Strategie, die nicht nur Prävention und Akutversorgung, sondern auch die Langzeitversorgung umfasst. Ohne gezielte Maßnahmen könnte sich Long COVID als stille Epidemie in der Pandemie entpuppen und das Gesundheitswesen auch in Deutschland langfristig belasten.
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