Der ewige Faschismus: Umberto Ecos Warnung vor einem schleichenden Phänomen

Umberto Eco (CC BY-SA 2.0)
Umberto Eco (CC BY-SA 2.0)

DMZ – GESELLSCHAFT ¦ Lena WallnerUmberto Eco (CC BY-SA 2.0)

 

In einer Zeit, in der politische Polarisierung und autoritäre Tendenzen weltweit wieder zunehmen, erscheint Umberto Ecos Konzept des "Ur-Faschismus" von erschreckender Aktualität. Der italienische Schriftsteller und Philosoph hielt 1995 eine bahnbrechende Vorlesung, in der er die Elemente eines universellen Faschismus beschrieb – nicht als spezifische historische Ideologie, sondern als ein immerwährendes Phänomen, das in verschiedenen Formen und zu unterschiedlichen Zeiten wieder auftauchen kann. Seine Analyse liefert einen unverzichtbaren Rahmen, um heutige politische Entwicklungen kritisch zu betrachten und autoritäre Tendenzen zu erkennen, bevor sie sich verfestigen.

 

Der "Ur-Faschismus": Eine Sammlung von Elementen

Eco warnt vor der Gefahr, Faschismus als fest umrissenes Phänomen zu betrachten, das ausschließlich in spezifischen historischen Kontexten wie dem Italien Mussolinis oder dem Deutschland Hitlers zu finden sei. Stattdessen sei der Faschismus ein Set von Elementen, die auch in Demokratien oder anderen Regimen auftreten könnten, wenn die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen es zulassen. Diese Elemente müssen nicht alle gleichzeitig vorhanden sein, aber schon das Auftreten mehrerer von ihnen könne alarmierend sein.

Eines der zentralen Merkmale des "Ur-Faschismus" ist der Kult der Tradition. Faschistische Bewegungen berufen sich auf eine idealisierte Vergangenheit und stellen diese als unantastbare Wahrheit dar, ohne Raum für kritische Reflexion oder Modernisierung zu lassen. Damit verbunden ist eine Ablehnung der Moderne, insbesondere der Aufklärung, deren Prinzipien von Vernunft und Fortschritt als Bedrohung empfunden werden.

 

Handeln ohne Reflexion und die Angst vor Unterschieden

Ein weiteres Kennzeichen ist der Kult der Handlung um der Handlung willen. Im faschistischen Denken wird Handeln um seiner selbst willen glorifiziert, ungeachtet dessen, ob es sinnvoll oder gut durchdacht ist. Diese Haltung führt oft zu einem anti-intellektuellen Klima, in dem kritisches Denken und Debatten als Zeichen von Schwäche oder Verrat gewertet werden.

 

Eng verknüpft damit ist die Angst vor Unterschieden. Faschistische Ideologien neigen dazu, Diversität – sei es ethnisch, kulturell oder ideologisch – als Bedrohung darzustellen. Minderheiten oder Andersdenkende werden zu Sündenböcken gemacht, was in einer Atmosphäre der Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit mündet.

 

Populismus und Verschwörungstheorien

Faschistische Regime haben laut Eco oft eine große Anziehungskraft auf eine frustrierte Mittelklasse, die wirtschaftliche oder soziale Unsicherheiten empfindet und Angst vor Statusverlust hat. Durch eine Besessenheit von Verschwörungstheorien schaffen sie das Bild eines Feindes – oft extern oder intern – der angeblich für die Probleme der Gesellschaft verantwortlich ist. Dies fördert das Gefühl einer permanenten Bedrohung, die nur durch entschlossenes Handeln unter Führung eines starken Führers abgewendet werden kann.

 

Ein weiteres zentrales Element des Ur-Faschismus ist der Elitismus. Diese Ideologie erhebt eine kleine Gruppe, meist den Führer und seine engsten Vertrauten, zu einer vermeintlich überlegenen Elite, die über die vermeintlich minderwertige Masse herrschen darf. Dies geht oft mit einem Kult der Männlichkeit einher, der Stärke und Aggression glorifiziert und Sanftheit oder Mitgefühl als Schwäche verachtet.

 

Faschismus in der Gegenwart: Warnzeichen erkennen

Ecos Konzept des Ur-Faschismus ist besonders relevant, um heutige politische Entwicklungen kritisch zu betrachten. Der Aufstieg populistischer Bewegungen in verschiedenen Teilen der Welt zeigt beunruhigende Parallelen zu den von Eco beschriebenen Mustern. Populismus, insbesondere in seiner selektiven Form, stellt den Führer als den alleinigen Repräsentanten des "wahren Volkswillens" dar, während demokratische Institutionen als korrupt oder ineffektiv abgetan werden. Diese Entwicklung wird häufig von einer Manipulation der Sprache begleitet, die Eco als Neusprech beschreibt: Komplexe Sachverhalte werden vereinfacht und zu emotional aufgeladenen Parolen verdichtet, um kritisches Denken zu erschweren.

 

Die Rolle der Medien und der Zivilgesellschaft

Angesichts dieser Entwicklungen kommt den Medien und der Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle zu. Sie müssen wachsam sein und autoritäre Tendenzen frühzeitig erkennen und benennen. Doch dies erfordert Mut und Unabhängigkeit, denn faschistische Bewegungen sind oft geschickt darin, Kritik zu diffamieren und Kritiker mundtot zu machen. Die Stärkung demokratischer Werte und die Förderung eines offenen, differenzierten Diskurses sind wesentliche Mittel, um den Ur-Faschismus in seinen verschiedenen Formen zu bekämpfen.

 

Ecos Analyse zeigt, dass Faschismus keine historische Anomalie war, sondern ein immer wiederkehrendes Phänomen, das in verschiedenen Gewändern auftreten kann. Es liegt an uns, die Warnzeichen zu erkennen und unsere demokratischen Institutionen und Werte zu verteidigen, bevor es zu spät ist.

 

Fazit: Wachsamkeit als Schutz vor autoritären Tendenzen

Umberto Ecos Konzept des Ur-Faschismus bietet ein wertvolles Werkzeug, um die politischen Dynamiken der Gegenwart zu analysieren und autoritäre Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Die Stärkung von Demokratie, Toleranz und der freien Meinungsäußerung sind entscheidende Mittel, um diese Tendenzen einzudämmen. Denn wie Eco betonte: "Der ewige Faschismus kann wiederkommen, in den unschuldigsten Gewändern." Es liegt an uns, diese Gefahr zu erkennen und zu bekämpfen, bevor sie unsere Demokratien erodiert.


 

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