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Dübendorf - Der Bau eines Endlagers für hochradioaktiven Abfall stellt eine der größten Herausforderungen für die Nuklearindustrie dar. Mit der nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) arbeitet die Schweiz seit Jahrzehnten an Lösungen, um die Endlagerung für Zeithorizonte von über einer Million Jahren sicherzustellen. Das jüngste Forschungsprojekt der Nagra, in Zusammenarbeit mit dem Wasserforschungsinstitut Eawag, der ETH Zürich sowie den Universitäten Basel und Bern, zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit möglicher Endlagerstandorte auch unter Bedingungen zukünftiger Kaltzeiten zu überprüfen. Hierfür untersuchten die Forscher uralte Sedimentschichten aus einem See, der in der Nähe von Bülach im Zürcher Unterland existierte. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die darunterliegenden Gesteinsschichten seit über 600.000 Jahren intakt sind und selbst die letzte Eiszeit unbeschadet überstanden haben.
Geologische Untersuchungen als Grundlage
Der zentrale Bohrkern, den die Forscher analysierten, reicht bis in das Quartär vor rund 2,6 Millionen Jahren zurück. Die Schichten offenbaren eine geologische Geschichte des Gebiets, das einst von einem Ur-Greifensee bedeckt war und später durch Gletschervorstöße beeinflusst wurde. Mit Hilfe eines innovativen Analyseverfahrens bestimmten die Forscher das Alter der Sedimente durch Messung der Helium-4-Konzentration im Porenwasser. Dieser Ansatz ermöglichte ihnen zu zeigen, dass die Schichten etwa 600.000 Jahre alt sind und seit der Entstehung ungestört blieben.
Die Herausforderung der Endlagerung
Mit diesen Ergebnissen möchten die Forscher der Öffentlichkeit und der Politik Vertrauen in die Eignung des Opalinustons als geologische Barriere vermitteln. Die Sicherheit eines solchen Endlagers müsste gewährleisten, dass kein radioaktives Material in die Umwelt gelangt – auch dann nicht, wenn in tausenden Jahren erneut eine Eiszeit beginnt und massive Gletschervorstöße das Gebiet bedecken könnten. Hier zeigen die Studienergebnisse: Die Gesteinsschichten, die das Endlager umgeben, scheinen stabil genug, selbst extreme klimatische und geologische Veränderungen zu überstehen.
Kritik und offene Fragen
Während das Forschungsergebnis das Potenzial des Opalinustons als Barriere hervorhebt, bleibt der Ansatz langfristig umstritten. Kritiker führen an, dass sich geologische Prognosen über Zeiträume von Millionen Jahren nur schwer verifizieren lassen. Die Eiszeiten sind nur eine mögliche Bedrohung; tektonische Aktivitäten, unvorhersehbare Erosion oder sogar menschliche Einflüsse könnten künftige Risiken bergen, die selbst mit den besten Modellierungen nur unzureichend erfasst werden können. Kritiker bemängeln, dass keine Forschungsmethoden existieren, die ein Szenario über mehrere hunderttausend Jahre verlässlich abbilden könnten. Hinzu kommen ethische Bedenken: Kann eine Generation eine Entscheidung über die Endlagerung radioaktiven Materials treffen, deren Konsequenzen noch auf künftige Generationen lasten?
Risiken der Nukleartechnologie
Der Plan, radioaktive Abfälle dauerhaft zu isolieren, zeigt die grundsätzlichen Schwierigkeiten der Nuklearindustrie auf. Die Sicherheit von Endlagern ist eine zentrale Voraussetzung, um den Betrieb von Atomkraftwerken verantworten zu können. Doch selbst die sichersten geologischen Lösungen bieten keine Garantie für die Ewigkeit. In einem Kontext, in dem der Ausbau erneuerbarer Energien zunehmend erschwinglicher wird, stellt sich daher die Frage, ob der kostspielige und riskante Weg der Atomkraft noch gerechtfertigt ist. Viele Länder, darunter auch die Schweiz, suchen bereits nach alternativen Energiestrategien, die diese langfristigen Risiken reduzieren.
Die Zukunft der Endlagerung in der Schweiz
Das Forschungsprojekt der Nagra unterstreicht die Komplexität des Themas und weist auf die Notwendigkeit transparenter Kommunikation hin. Die Resultate bieten wertvolle Einblicke in die Stabilität potenzieller Endlagerstätten, doch letztlich bleibt ein Unsicherheitsfaktor bestehen. Die Nagra setzt weiterhin auf Opalinuston, und die Stabilität dieses Gesteins scheint nach aktuellem Kenntnisstand vielversprechend. Eine vollständige Risikofreiheit bleibt jedoch unerreichbar, was in der Debatte um die Zukunft der Atomenergie verstärkt bedacht werden muss. Die Notwendigkeit eines langfristig sicheren Endlagersystems bleibt dringend, aber der Preis und die Unsicherheit, die damit verbunden sind, laden zur Reflexion über den Einsatz nuklearer Energie in künftigen Energiestrategien ein.
Herausgeber:
Eawag: Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs
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