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Keine Schulden und das sogenannte „Sparen“ sind in unserem System mathematisch unmöglich

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦ 

KOMMENTAR

 

Interessanterweise wird in der Debatte über den Lindner-Rauswurf nebst dessen Begründung der Finanzminister teilweise genauso starr gelobt, wie er sich selbst immer gab: Keine Schulden, wir haben ein Ausgabenproblem, kein Einnahmeproblem. Ausgaben kürzen und damit Finanzierung klar stellen. Zugleich aber – die Wirtschaftsschwäche dann doch akzeptierend – Steuern senken. Also noch mehr Ausgaben kürzen. Vor allem Sozialausgaben, das ist bekanntlich der größte Posten im Haushalt.

Aha.

 

Diese Thesen werden sehr oft qualitativ genau so wiederholt. Teilweise auch von der Union. Es gibt aber keine einzige seriöse Berechnung von konkreten Daten, die auch nur versucht, das mal zu belegen. Dass die Opposition es nicht macht, kann man noch akzeptieren, nicht deren Aufgabe – noch nicht. Aber der amtierende Finanzminister legt ebenfalls keinen Finanzplan vor, der das sauber hergibt, was er selbst behauptet und angeblich in seiner Regierungsverantwortung durchsetzen möchte. Er veröffentlicht sogar ein Papier, mit dem er in Regierungskonsultationen geht, welches diese Thesen einfach wiederholt, aber keinerlei Finanzplan nachweist.

 

Nun ist er Ex-Finanzminister und das ist offensichtlich richtig so.

 

Kleine Systemhilfe: Als Adenauer die Regierung übernahm, war kein Geld da. Aber viele Alte, Kranke, Schwache, die versorgt werden mussten. Der „Generationenvertrag“ war die einzige Lösung: Die Arbeitenden zahlen für die anderen. Als Gegenleistung erhalten die das auch, wenn sie selbst krank, arbeitslos oder alt sind. Keine Rücklagen, alles nur Umlagen, von der Hand in den Mund. Zugleich hat der Staat damit den überwältigenden Anteil der sozialen Sicherung der Bevölkerung als seine Aufgabe definiert. Was viele heute „Sozialismus“ nennen, ist damals als System festgelegt worden, keineswegs von Sozialisten, sondern von klugen Leuten, die ein zerstörtes Land übernommen hatten.

 

Kleine Ergänzung: Im Steuersystem hat sich das später genauso entwickelt. Aus kurzfristigen Finanzierungsgründen sind die Einkommen- und Konsumsteuern hoch gesetzt worden, Schulden wollte man nicht (sic!), aus Wettbewerbsgründen sind die Unternehmenssteuern gesenkt worden und das Verfassungsgericht hat (zurecht!) in dem Kontext (aber nur in dem!) die Vermögensteuer kassiert. So haben wir heute eine eklatante Dominanz der Besteuerung von laufenden Einkommen und Konsum, während alle andere zu vernachlässigen sind. Auch das ist nahezu ein Generationenvertrag ähnlich dem Sozialversicherungssystem.

 

Einordnung: Das ist global so ziemlich einzigartig. Frankreich hat aus ähnlichen Gründen eine vergleichbare Struktur. Länder, die gerne also Vorbilder genutzt werden – Schweiz, USA – haben niedrige Einkommensteuern, dafür Vermögensteuern, rücklagenbasierte Sozialsysteme. Auf verschiedenen Ebenen ist die Refinanzierung sozialer Sicherungssysteme sowie der gesamten Staatsfinanzierung eine Mixtur aus staatlichen sowie privaten Rücklagen, das Steueraufkommen wird ebenfalls aus Einkommen, aber auch der aufgebauten Substanz generiert.

 

Rückblick: Bereits unter Adenauer wurde festgestellt, dass dieses System für eine alternde Gesellschaft nicht funktioniert. Das war damals nicht so, alles lief genau anders, das System war sogar viel agiler, leistungsfähiger und effizienter als die vielschichtigen und breiter verteilten Varianten. Toll! Die Regierung Kohl war die erste, die von Versicherungsmathematikern die Zuschriften bekam: Bitte Transformation einleiten, geht so nicht mehr, wird sich von Dekade zu Dekade verschlechtern und je später reagiert wird, desto teurer wird es.

 

Alles weitere muss nicht erzählt werden. Eine Transformation hat nie stattgefunden. Lediglich sogenannte Reformen, bei denen irgendwas geflickt wurde oder wahlweise zwischen Steuer/Sozialhaushalten, die beide demselben systemischen Problem unterliegen, umgeschichtet. Interessant ist, dass meist die in der Regierung sagen, das sei alles ganz sicher und da gehe sogar noch was. Da kommen irgendwelche höheren Leistungen um ein paar Milliarden, während die jeweilige Opposition das für unverantwortliches Teufelszeug hält. Parteipolitisch ist das austauschbar, es wird seit 40 Jahren geflickt, mal eine Schaufel drauf, dann wieder eine runter.

 

Wer behauptet, die staatlichen Sozialhaushalte (Bund, Länder, Kommunen, gesetzliche Sozialversicherung) seien zu groß, unverantwortliche Verschwendung, müssten kleiner werden, hat das System nicht verstanden. Die werden weiter wachsen und immer größer. Dagegen kann nicht gespart oder gekürzt werden, das ist Flickwerk. Nur zur Klarstellung: Auch eine kaputte Wasserleitung muss geflickt werden, aber das darf man nicht als Dauerlösung verkaufen.

 

Wer behauptet, in Deutschland sei der Staat zu groß geworden, die Staatsquote ufere aus, das sei Sozialismus, hat das System nicht verstanden. Auch die Quoten dieser Haushalte an welchen Messgrößen auch immer werden weiter wachsen. Niemand kann das durch „Sparen“ verhindern.

 

Wer glaubt, ein Land mit diesem System könne zugleich seine Schulden begrenzen, hat gar nichts verstanden. Man kann innerhalb dieses Systems nicht sparen. Das ist ausnahmsweise keine Physik, sondern sehr simple Mathematik.

 

Dieses System funktioniert nur durch mehr Arbeitnehmer und mehr Wertschöpfung pro Arbeitnehmer, also Produktivität. Dieses System braucht viel mehr Moderne, Innovation, Zuwanderung und daher Investitionen als jedes andere.

 

Wer glaubt, man könne das ohne Schulden erreichen, hat weniger als nichts verstanden. Die Schulden werden massiv steigen, das weiß auch die Opposition. Ob wir damit dieses System halten können, ist sehr fraglich, aber innerhalb gibt es gar keine andere Option mehr. Das haben die Japaner deutlich früher erkannt, es wird Zeit, das hierzulande auch nachzuvollziehen, denn in wenigen Jahren beginnt die Rentenphase der „Boomer“ und das ist keine dieser langsamen Erosionen der letzten Dekaden mehr, sondern ein Kipppunkt – der vor 60 Jahren angelegt wurde und seit 40 Jahren bekannt ist!

 

Ein Systemwechsel wird vermutlich irgendwann trotzdem unausweichlich. Dafür fehlt inzwischen die Kraft, es wird wohl zuerst mal der Weg Japans werden.

Wer behauptet, das sei nicht notwendig, hat keine Ahnung und kann weg. Und dabei habe ich hier übrigens die staatliche Aufgabe der Landesverteidigung sträflich unerwähnt gelassen!


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