· 

Vorauseilender Gehorsam

István Dobozi, ehemaliger Chef Ökonom der World Bank Washington DC
István Dobozi, ehemaliger Chef Ökonom der World Bank Washington DC

DMZ –INTERNATIONAL/István DoboziIstván Dobozi, ehemaliger Chef Ökonom der World Bank Washington DC

KOMMENTAR

 

Vor ein paar Tagen gab die renommierte Washington Post bekannt, dass sie entgegen der Tradition der letzten vier Jahrzehnte keine Unterstützungserklärung für die Demokratin Kamala Harris gegen Donald Trump abgeben werde.

 

Der Leitartikel betont die „Unabhängigkeit“ der Zeitung und überlässt die Wahl des nächsten Präsidenten der USA jetzt und in Zukunft der souveränen Entscheidung ihrer politisch mündigen Leser. Die Entscheidung löste große Empörung unter den Mitarbeitern der Zeitung aus, insbesondere unter denen, die bereits den Leitartikel zur Unterstützung von Kamala Harris verfasst hatten.

 

Auch legendäre ehemalige Mitarbeiter der Zeitung wie Bob Woodward und Carl Bernstein protestierten heftig. „Feigheit“, „Scham“ und „Unterwerfung unter Trump“ waren die häufigsten Bewertungen. Daraufhin kündigten inzwischen mehr als eine Viertel Million Leser aus Protest ihre Abonnements. Obwohl der Chefredakteur der Washington Post, Will Lewis, die Verantwortung für diese Entscheidung übernahm, weiß dennoch jeder am Ufer des Potomac, was tatsächlich passiert ist. Jeff Bezos, der Eigentümer der Zeitung und milliardenschwerer Gründer des Riesen Amazon, legte im letzten Moment sein Veto gegen die Veröffentlichung des fertigen Leitartikels ein, der Harris unterstützte. Gleichzeitig wies er den von ihm ernannten Lewis an, eine Erklärung zu veröffentlichen, in der er die „Unabhängigkeit“ der Zeitung und die „Souveränität“ der Leser betonte.

 

Gleichzeitig kam es zu ähnlichen Entwicklungen bei einer anderen großen liberalen Zeitung, nämlich der Los Angeles Times, die sich ebenfalls weigerte, eine Erklärung zur Unterstützung von Kamala Harris abzugeben. Der Eigentümer Patrick Soon-Shiong, der die Zeitung 2018 gekauft hatte, möchte nicht, dass das Editorial Board seiner Zeitung eine solche Empfehlung ausspricht. Auch hier haben mehrere Redakteure gekündigt.

 

Was könnte hinter Bezos' Entscheidung stecken? Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Washington von Tag zu Tag die Erwartung wächst, dass der autokratische Donald Trump am 5. November bei den Präsidentschaftswahlen triumphieren und, wie der Ex-Präsident oft angedeutet hat, diejenigen bestrafen wird, die ihm in die Quere kommen.

 

Bezos stellt sich bereits auf dieses Szenario ein und befürchtet, dass sein Unternehmen Milliarden an Regierungsaufträgen verlieren könnte, wenn er Trump verärgert. In seinem Bestseller im Jahr 2023: „Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ nennt der amerikanische Historiker Timothy Snyder diese Art des Verhaltens von Bezos als „vorauseilender Gehorsam und politische Tragödie“.

 

Anfang 1938 drohte Adolf Hitler, der zu diesem Zeitpunkt in Deutschland fest an der Macht war, mit der Annexion des benachbarten Österreichs. Nachdem der österreichische Kanzler nachgegeben hatte, entschied der vorauseilende Gehorsam der Österreicher über das Schicksal der österreichischen Juden. Örtliche Nazis nahmen Juden fest und zwangen sie, die Straßen zu schrubben, um Symbole des unabhängigen Österreichs zu entfernen…. Der vorauseilende Gehorsam der Österreicher im März 1938 lehrte die Naziführung, was möglich ist. Im August desselben Jahres gründete Adolf Eichmann in Wien das Zentralbüro für „jüdische Auswanderung“.

 

Auch in Europa rückt inzwischen die Gefahr von rechts immer näher – als ob es das 20. Jahrhundert und seine blutigen Lehren niemals gegeben hätte. Wir sind nicht klüger als die Menschen, die erlebt haben, wie im letzten Jahrhundert in Europa die Demokratie unterging. Aber einen Vorteil haben wir. Wir können aus ihren Erfahrungen lernen.


Fehler- und Korrekturhinweise

Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:

  • Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
  • Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
  • Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.

Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!


 

Unterstützen Sie uns jetzt!

Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.

Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.

Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.

Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.

Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.

Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!


Kommentar schreiben

Kommentare: 0