DMZ – FORSCHUNG ¦ Sarah Koller ¦
In der Forschung zu chronischen Krankheiten wie dem myalgischen Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), Fibromyalgie und Long COVID zeichnet sich zunehmend eine spannende Hypothese ab: Etwas im Blut dieser Patientinnen und Patienten könnte potenziell mit den Ursachen ihrer Leiden in Verbindung stehen. Ein Durchbruch in dieser Richtung könnte sowohl das Verständnis der Krankheitsmechanismen vertiefen als auch neue Ansätze für die Behandlung dieser Erkrankungen entwickeln.
Studien legen neue Spuren
Zwei veröffentlichte Studien zeigen, dass Substanzen im Blut der betroffenen Patientinnen und Patienten eine Schlüsselrolle spielen könnten. In einem Experiment wurden Muskelzellen 48 Stunden lang mit Blutserum von ME/CFS- und Long-COVID-Betroffenen in Kontakt gebracht, was zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Muskelfunktion und einer erheblichen Belastung der Mitochondrien führte. Diese Entdeckung deutet auf einen „stressinduzierten hypermetabolischen Zustand“ hin, der die Muskulatur nachhaltig schädigen könnte.
In einer weiteren Studie verabreichten Forschende der Yale University IgG-Antikörper von Long-COVID-Patientinnen und -Patienten an Mäuse. Die Tiere zeigten anschließend erhöhte Schmerzempfindlichkeit, Kribbeln und Muskelschwäche. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Autoantikörper im Blut zu neurologischen Störungen beitragen könnten – eine entscheidende Erkenntnis für die potenzielle Entwicklung diagnostischer Marker und zielgerichteter Behandlungen.
Die Rolle von Autoantikörpern
Forscherinnen und Forscher wie Dr. Akiko Iwasaki von der Yale University und Dr. Andreas Goebel vermuten, dass bestimmte Autoantikörper eine zentrale Rolle spielen. In Goebels Versuchen führten Antikörper von Fibromyalgie-Patientinnen zu einer raschen Sensibilisierung gegen Schmerzreize bei Mäusen. Die Antikörper griffen Nervenzellen in einem Nervenknoten an, der als „Schaltstelle“ für Schmerzsignale fungiert. Ähnliche Ergebnisse zeigten auch die Analysen von Long-COVID-Antikörpern in Goebels Experimenten, die auch dort eine mögliche Schädigung der Nervenzellen suggerieren.
Von Muskeln über Schlaf bis hin zu Gefäßproblemen
Es scheint, als würde die Wirkung dieser Antikörper nicht auf Schmerz beschränkt bleiben: Forscherinnen und Forscher an der University of San Diego konnten zeigen, dass das Serum von ME/CFS-Patientinnen und -Patienten Schlafstörungen in den circadianen Rhythmen von Mäusen verursachte, was auf eine mögliche Störung der inneren Uhr der Betroffenen hinweist. Eine weitere Untersuchung mit endothelialen Zellen, die die Blutgefäße auskleiden, zeigte, dass das Plasma von ME/CFS-Betroffenen die Produktion eines Enzyms (eNOS) verringerte, das für die Weitstellung der Blutgefäße verantwortlich ist – eine Funktion, die auch bei der Regulierung der Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Körpers eine Rolle spielt.
Behandlungsperspektiven: Ein Schritt in die Zukunft?
Sollte sich herausstellen, dass die Ursache dieser Krankheiten im Blut liegt, könnte dies weitreichende therapeutische Ansätze eröffnen. Blutreinigungsverfahren wie Plasmapherese und Immunadsorption könnten in Frage kommen. Zudem bieten spezifische Antikörpertherapien, die gezielt gegen identifizierte Autoantikörper vorgehen, einen vielversprechenden Ansatz. Die Open Medicine Foundation finanziert bereits Studien zur Untersuchung von neutrophilen Granulozyten – einer weiteren Zellart, die im Verdacht steht, eine Rolle in den Entstehungsprozessen von ME/CFS und verwandten Krankheitsbildern zu spielen.
Ein schwieriges, aber vielversprechendes Projekt
Die Suche nach dem „X-Faktor“ im Blut, wie es der renommierte Wissenschaftler Ron Davis nennt, stellt die Forschenden vor große Herausforderungen. Die potenzielle Entdeckung eines Biomarkers oder gar eines therapeutischen Ansatzes könnte jedoch für Millionen Menschen weltweit, die an diesen Krankheiten leiden, den Weg zu einer besseren Lebensqualität ebnen.
Das Interesse an der Erforschung dieser rätselhaften Erkrankungen nimmt weiter zu. Die in Studien erfassten Ergebnisse stützen die Vermutung, dass das Blut von ME/CFS-, Fibromyalgie- und Long-COVID-Patientinnen und -Patienten ein wichtiges Puzzlestück für das Verständnis und die Behandlung dieser komplexen Krankheitsbilder liefern könnte.
Zu den Studien:
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