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Verpasste Chancen: Wie Deutschlands Industrie die Batterietechnologie verschlief

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦    

KOMMENTAR

 

Batterietechnologie galt in Deutschland als weniger relevant. Die Chemieindustrie ist ausgestiegen, Basischemie reicht. Für die Automobilindustrie ein Zulieferer-Thema, das kauft man ein. Die Eigentümerfamilie von BMW war parallel Besitzer von Varta, das Unternehmen wurde zerlegt und verkauft. Übrig geblieben ist eine Nischentechnologie, mit der Porsche den 911er-Verbrenner boostern möchte. Na denn, soweit die deutsche Industriegeschichte in dem Segment.

 

Der weltgrößte „Zulieferer“ im Batteriesegment, der nebenbei mehr als 100.000 Mitarbeiter alleine in Forschung und Entwicklung beschäftigt, rollt derzeit im Quartalsrhythmus neue Produkte aus, die selbst Fachleute erstaunen. Die beigefügte CATL-Batterie besteht aus zwei Zellchemiespezifikationen, wodurch ein Produkt entsteht, welches den Hybridmarkt umdrehen könnte: Von Fahrzeugen mit Verbrenner, die in speziellen Anwendungen elektrisch fahren, zu solchen, die batterieelektrisch fahren und nur in Sondersituationen den Verbrenner brauchen. Es gibt schon erste Überlegungen, Hybridfahrzeuge mit verbrennergetriebenem Stromgenerator quasi als Reserveenergie auszustatten, also den Verbrenner gar nicht mehr als Antrieb zu nutzen. Das soll für Schiffe der nächste Schritt sein, wo es schon so manche „Schiffsdiesel“ gibt, die Strom für den E-Antrieb liefern. Der Verbrenner wird dadurch weiter marginalisiert. Es sollte nicht verwundern, wenn bald der Verbrenner zum Zulieferprodukt wird, das immer mehr Hersteller von Fahrzeugen jeglicher Art aus der Eigenproduktion nehmen.

 

Wer nun glaubt, man könne das bei CATL einkaufen, sollte beachten, dass die Präsentation der neuen Batterie von Autoherstellern begleitet wurde, die seit einem Jahr in Kooperation mit CATL dafür neue Hybridfahrzeuge mit entsprechend besseren Leistungsmerkmalen entwickelt haben: Nio&Co, alle chinesisch. Ansonsten gibt es in dem Segment eigentlich nur noch Samsung SDI (Südkorea) und vielleicht Panasonic (Japan) als „Zulieferer“, die aber mit der Pace der Chinesen momentan kaum mithalten. Auf Augenhöhe sind sonst noch BYD aus China und allenfalls Tesla, also selbst Hersteller.

 

Bezüglich rein technologischer Kriterien gibt es einige Hundert Hersteller weltweit, die bezüglich einzelner Leistungsmerkmale mithalten können, teilweise auch besser sind. Aber die Kombination aller Leistungsmerkmale für solche Einsatzzwecke, die Produktionskosten und die Skalierbarkeit der Menge dominieren die Chinesen. Damit können sie diese Weltmarktanteile leider momentan gegen alle Wettbewerber durchsetzen. Der deutsche Standardökonom nennt das übrigens gerne „Überkapazität“, mit der CATL aber immer noch - nach allen F&E-Investitionen - ein profitables Unternehmen ist.

 

Das dürfen sich nebenbei bemerkt die Stammtische mal anschauen, die immer noch von der Technologieführerschaft Deutschlands und den chinesischen Kopisten träumen. Ich las solche wirren Thesen zuletzt sogar bezogen auf Batterietechnologien, der unsere Forschungsministerin ganz nebenbei gerade die Mittel kürzt.

 

Die Idee, weniger relevante Technologien als Zulieferprodukte auszulagern, ist durchaus richtig. Vergreift man sich dabei aber an (zukünftig) hoch relevanten Kerntechnologien, gar an sogar disruptiven Technologien, droht nichts geringeres als der Untergang in Form einer Erosion über Dekaden. Die ist ökonomisch besonders gefährlich, weil sie im Unterschied zu schockartigen Krisen zu lange Raum stiehlt, der für Innovationen dadurch fehlt.

 

Es könnte sein, dass es bereits zu spät ist, diese Erosion noch aufzuhalten. Zumindest gehört diese Frage auf den Tisch, denn was wir hier sehen, ist zunächst ein strategisches Industrieversagen. Das kann passieren, gab es schon immer, gab es überall, wird es weiter geben. Die etablierten US-Industrien können sich bis hier genau dieselbe Geschichte anhören, sogar bis zu Chemie und Automobil, sehr ähnlich.

 

Problematisch ist aber, dass wir nicht über Industrie- sondern über Staatsversagen sprechen. Das ist sogar feststellbar, aber ganz anders, als es berichtet wird. Denn es war geradezu Teil der Jobbeschreibung, in Deutschland „Autokanzler“ zu sein. Das waren sie auch alle, Merkel inklusive. Zu deren Aufgaben zählte, in Brüssel, Washington und Peking die Geschäftsmodelle der deutschen Autoindustrie durchzusetzen. Das wurde auch geliefert, mit großartigen Erfolgen. Spätestens mit dem Dieselskandal, über den Merkel aus guten Gründen persönlich empört war, kippte das jedoch. Da wurde nämlich kein technologisch abgesichert überlegenes Geschäftsmodell mehr durchgesetzt, sondern ein bereits über dem Zenit gelaufenes nur noch gegen Wettbewerb geschützt. Das ist historisch ausreichend belegt: Hoch toxisch für eine Gesamtökonomie.

 

Während also erzählt wird, der Staat habe die eigene Autoindustrie geschädigt, was vielleicht seit ein paar Jahren vielleicht sogar angezeigt gewesen wäre, droht nun diese Industrie den Staat zu schädigen, denn man muss den Verdacht haben, dass dieses Spiel gar fortgesetzt werden soll. So ganz lesbar ist die hybride Kommunikation nämlich nicht. Einerseits kommen fast schon pflichtschuldig die Bekenntnisse, zu moderneren Technologien aufschließen zu wollen, aber man beteiligt sich gerne an dem politisch/gesellschaftlichen Weg des „Schutzes“ der existierenden Geschäftsmodelle und nebenbei der Diskreditierung neuer Technologien. Im Ergebnis geht das kaum überraschend schief, weil die Verbraucher im eigenen Markt nun komplett verunsichert am liebsten zuerst mal gar nichts mehr kaufen.

 

Das Drama spielt sich inmitten einer Systemdebatte ab, die fürchterlich veraltet und durch grobe Ignoranz der tatsächlichen Strukturen gekennzeichnet ist. So predigen derzeit ausgerechnet diejenigen von Markt und Technologieoffenheit, die durch die Unterstützung existierender großer Geschäftsmodelle sowohl Markt- als auch Technologieenwicklung verengten und wollen das unter Missbrauch dieser Begriffe nun fortsetzen. Zugleich dominiert ausgerechnet weiter der Einfluss derjenigen, die durch strategische Fehler diese Schieflage wesentlich verantwortet haben.

 

Das alles nur, weil der Staat sich eben nicht „raus gehalten“ hat. Er hat auch nicht den Unternehmer gespielt, die Sorge, der Staat sei nicht der bessere Unternehmer, wurde berücksichtigt. Wir sollten aber erkennen, dass der Unternehmer umgekehrt auch nicht der bessere Staat ist!

 

Ich hoffe sehr, dass unsere ehemals weltführend aufgestellten Unternehmen diese Disruption erfolgreich bewältigen. Das müssen die aber primär selbst schaffen. Staatliche Unterstützung ist nur dann angezeigt, wenn die Frage, ob daraus in diesen neuen Technologien wettbewerbsfähige Anbieter entstehen können, ergebnisoffen auf den Tisch kommt und positiv beantwortet werden kann.

 

Der Staat muss nämlich ganzheitlich und langfristig denken. Zu seinen Aufgaben gehört es, strategisch zu handeln, indem langfristig wettbewerbsfähige Industrien unter Beachtung der eigenen Ressourcen im ehrlichen Vergleich zu Ressourcen Dritter identifiziert und dafür die Rahmenbedingungen geschaffen werden: Forschung, Bildung, Regulierung, Finanzierung sowie neuerdings auch die Schaffung von kooperativen Ökosystemen und Wertschöpfungsketten. Das tun die Europäer so gut wie gar nicht. Die haben Innovation und langfristige Wettbewerbsfähigkeit als Zulieferung ihrer Großunternehmen betrachtet.

 

Eine Kernaufgabe mehr, die leider ausgelagert wurde. Das Staatsversagen liegt also nicht darin, was getan, sondern was unterlassen wurde. Das haben viele asiatische Staaten insbesondere in Industriesektoren besser gemacht. Die Amerikaner haben das in ihren Hightech-Bereichen getan und ihre Industrie dabei vernachlässigt. Das ändern sie gerade, Europa hat einiges zu tun, der Wettbewerb in Technologien sowie Industriesektoren wird in Asien und auch den USA gerade dynamisch intensiviert, während wir in abenteuerlich dummen Debatten über unsere grandiosen Kompetenzen stehen bleiben, die als Signal bedeuten, alles wie bisher zu machen.


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