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Straumanns Fokus am Wochenende - Absurdes Theater

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

 

Auslöser der Französischen Revolution war am 17. Juni 1789 das gegenseitige Versprechen der Abgeordneten der Generalstände (in einer Art Tennishalle in Versailles, deshalb der Name „Ballhausschwur“) sich als Versammlung erst aufzulösen, wenn sie Frankreich eine Verfassung gegeben hätten. Als sie sich tags darauf erneut versammelten, jetzt als Assemblé Nationale Constituante, begab es sich, dass diejenigen Abgeordneten, die für eine radikale Änderung der Staatsordnung eintraten (die „Jakobiner“), vom Podium aus gesehen, links Platz nahmen, während die anderen, die monarchistisch eingestellt waren, ihre Sitze auf der rechten Seite fanden. Die einmal gewählte Sitzordnung wurde in der Folge beibehalten und gewann eine solch prägende Kraft, dass heutzutage in den allermeisten Parlamenten auf der ganzen Welt die Linken links und die Rechten rechts sitzen. Das ist so im schweizerischen Nationalrat, in der französischen Nationalversammlung und auch im deutschen Bundestag und überall. Nur die Erfinder des Parlamentarismus, die Briten, halten es anders. Im Unterhaus sitzt die Opposition immer links und die Regierungspartei immer rechts, ganz egal, ob die Regierung sich gerade in den Händen der Linken (der Labour Party, wie seit ein paar Wochen) oder der Rechten, der Tories, befindet (wie meistens).

 

Die Linken – in den westlichen politischen Kulturen mehrheitlich die Sozialdemokraten – vertreten die Seite des sozialen Ausgleichs. Sie haben im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte vieles erreicht: angefangen bei Gesetzen gegen die Kinderarbeit, für die Fünftagewoche, für zwei, drei, vier Wochen Ferien, für das Frauenstimmrecht, für tausend Vorstöße im Sinne des Gemeinwohls. Auf der rechten Seite dagegen sitzen die Verfechter der liberalen Grundideen: die sich für möglichst weit gehende Freiheiten des Individuums einsetzen. Mehr Freiheit, weniger Staat, ist ihre Losung. Da vor allem diejenigen mit den gewährten Freiheiten etwas anfangen können, die über passende materielle Möglichkeiten verfügen, ist es unvermeidlich, dass die Vertreter der vermögenden Bevölkerungsschichten eher in der rechten Seite des Saales sitzen.

 

Diese Gegenüberstellung hat – so weit, so gut – jahrzehntelang gegolten. In den letzten Jahren aber, mit einer Zäsur im Jahr 2015, ist sie ins Wanken geraten. Grund war die Flüchtlingskrise, ausgelöst durch den Bürgerkrieg in Syrien, als Hunderttausende nach Westeuropa strömten und von der deutschen Kanzlerin mit einem gut gemeinten „Wir schaffen das!“ begrüsst wurden. Aber gut gemeint ist nicht zwingend auch gut gemacht. Angela Merkel hat die Folgeprobleme unterschätzt, so, wie auch in anderen europäischen Staaten die Konsequenzen der Millionenmigration unterschätzt wurden, insbesondere in den ehemaligen Kolonialmächten Grossbritannien und Frankreich. In ganz Europa blieben die Linken tendenziell ihrer Willkommenskultur treu, während die Rechten das nationale Gedankengut hervorhoben und sich in dieser Richtung radikalisierten, je stärker sich exzessive Folgen der Migration zeigten.

 

Während die Bürgerinnen und Bürger sich darüber bald keinen Illusionen mehr hingaben, verharrten die Politiker stur in ihrem Links-rechts-Hick-hack. Den grössten Fehler begingen die Linken, indem sie die Migrations-Thematik vollumfänglich den Rechten überliessen. Während sich deren Extremisten mehr und mehr ereiferten und jedes Mass verloren, stellten die Linken generell in Abrede, dass Migration ein Problem darstelle. Wo andere Probleme sehen, sehen sie nur farbenfrohe Multi-Kulti-Erscheinungen. Die Inbesitznahme des öffentlichen Raumes durch übergriffige Vertreter islamischer Herkunft (kaum in der Schweiz, aber umso mehr in Deutschland, Frankreich, England) wird tabuisiert.

 

Wie sehr sich die gesellschaftliche Realität von den Ideologien der Parteien entfernt hat, illustriert folgende Begebenheit: Eine Abgeordnete des deutschen Bundestages („die Linke“) hat neulich zugegeben, dass sie vor ein paar Jahren in Mannheim von einem arabischen Mann vergewaltigt und beraubt worden sei. Sie sei sofort zur Polizei gegangen und habe Strafanzeige erstattet – wegen Diebstahls. Die Vergewaltigung habe sie verschwiegen, „weil ich Angst hatte, dass die Vergewaltigung von rechts missbraucht wird, um die Hetze gegen Flüchtlinge weiter anzuheizen.“

 

So weit sind wir gekommen. Die Realität hat sich die Freiheit genommen, sich von den Ideologien zu entfernen, aber die Ideologen merken es nicht. Die Migrationsthematik ist kein Einzelfall. Auch am Beispiel des Ukrainekriegs lässt sich die Wahrnehmungsverschiebung beobachten. Die Linken, die - zu Recht - jahrzehntelang den amerikanischen Imperialismus gegeisselt haben, verurteilen jetzt Putin für seinen Krieg in der Ukraine, ebenfalls zu Recht. Aber weil Putin ein nationalistischer Diktator ist, würden sie nie zugeben, dass der russische Angriff nichts anderes war als die ultima ratio, die westliche Übernahme eines Staates zu verhindern, der zum russischen Schutzgürtel zählt. Und zwar so legitim, wie das die Vereinigten Staaten in Sachen Kuba 1962 für sich in Anspruch genommen haben. Oder wie sie es seit 200 Jahren, seit der Monroe-Doktrin, generell mit ganz Süd- und Mittelamerika halten. Ideologien kennen kein sowohl – als auch. Sie kennen nur entweder – oder.

 

Der allmähliche Niedergang der globalen amerikanischen Hegemonie und die daraus folgenden Krisen haben dazu geführt, dass sich unser politischer Diskurs in ein pro-westliches und ein US-kritisches Lager teilte. Letzteres besteht aus den sogenannten «Putin-Verstehern». Das ist ein Schimpfwort derjenigen, die sich für «links» halten, an die Adresse der «Rechten». Die «Linken» befeuern jetzt einen Krieg, der amerikanisch-imperialistischen Interessen dient. Sie verunglimpfen die «Rechten» als nicht demokratietauglich und verfolgen deren Meinungs- und Meinungsäußerungsfreiheit mit Instrumenten, die hart an der Grenze zum Totalitären stehen.

 

Früher haben Politiker Politik gemacht. Heute machen sie absurdes Theater. 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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