Wenn Selbstinszenierung die Oberhand gewinnt

DMZ - ARBEITSWELT ¦ A. Aeberhard ¦ 

KOMMENTAR

 

 

Jedes Jahr wird um das Erscheinen von Restaurantführern und die Verleihung von Auszeichnungen an Küchenchefs ein großes Aufhebens gemacht. Doch warum eigentlich? Keine andere Branche scheint sich so sehr in der Selbstinszenierung zu verlieren wie die der Spitzenköche. Dabei bleibt festzuhalten: Letztlich ist die Bewertung von Kulinarik eine Frage des persönlichen Geschmacks. Dennoch spielen Experten eine wichtige Rolle – doch nicht immer im positiven Sinne. In vielen Fällen scheinen sie eher darauf abzuzielen, den Markt zu steuern und Profite zu generieren. Und das Geschäft floriert: Mit Auszeichnungen, die von Menschen erdacht wurden, werden beträchtliche Summen verdient. Deren Wert ist jedoch nur so hoch, wie uns die Macher dieser Preise glauben machen wollen.

 

Die alljährliche Veröffentlichung von Restaurantführern und die Ehrungen für Köche sind oft von großer Geheimniskrämerei begleitet. Über Wochen wird spekuliert, wer aufgestiegen oder abgestiegen ist. Redaktionen halten die Informationen unter Verschluss, Sperrfristen verhindern vorzeitige Enthüllungen, und das genaue Erscheinungsdatum bleibt bis zur letzten Minute unter Verschluss. Dabei ist eines sicher: Auch die sogenannten Gastro-Experten sind fehlbar. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Fall des belgischen "Michelin", der ein Restaurant lobte, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gar nicht existierte. Hier wird einmal mehr deutlich: Oft hat Geld das letzte Wort.

 

Ein genauerer Blick auf die verschiedenen Restaurantführer offenbart noch mehr Schwachstellen. Manche Empfehlungen scheinen veraltet, als hätten Tester das Restaurant seit Jahren nicht mehr besucht. Zudem stehen oft Köche auf einer Stufe, die dort kaum hingehören – möglicherweise, weil die Tester persönliche Vorlieben haben oder sich von Sympathien leiten lassen. Während die etablierten Führer weiterhin großen Einfluss genießen, haben sich im Internet alternative Formen der Restaurantkritik entwickelt. Doch auch diese sind nicht immer zuverlässig. Am Ende bleibt die Frage: Welcher Führer – gedruckt oder digital – hat noch Relevanz? Und vor allem: Für wen?

 

Besonders auffällig ist, dass fast jeder Koch heute eine Auszeichnung vorzuweisen hat – sei es in einer Nische oder in einer bestimmten Sparte. Die Türen der Restaurants sind übersät mit diesen Plaketten. Diese Masse an Auszeichnungen lässt einen an deren Wert zweifeln. Sind sie nicht letztlich nur ein Mittel, um den Markt künstlich zu beleben? Viele Gäste dürften dies bestätigen, wenn sie enttäuscht aus einem vermeintlichen Top-Restaurant kommen, das den hohen Erwartungen nicht gerecht wurde.

 

Vielleicht ist es an der Zeit, den Wert von Auszeichnungen und Titeln zu hinterfragen. Die beste Referenz bleibt der eigene Eindruck. Auffällig ist zudem die Selbstwahrnehmung mancher Köche als Künstler. Doch was gibt ihnen das Recht, sich so zu nennen? Ist das Kochen, so kunstvoll angerichtet ein Gericht auch sein mag, wirklich eine Kunst?

 

Die Entscheidung darüber liegt letztlich beim Betrachter – in diesem Fall beim Gast. Es mag Kunst sein, mit begrenzten Mitteln ein schmackhaftes Mahl zu zaubern, so wie es unzähligen Hausfrauen und -männern täglich gelingt. Doch reicht das aus, um von Kunst zu sprechen?

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