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Straumanns Fokus am Wochenende - Die sind so mies

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Was mag in einem Menschen wie Benjamin Netanyahu vorgehen, im Bewusstsein, den Tod von 40‘000 Menschen innerhalb eines Jahres verantworten zu müssen, darunter an die 20‘000 Kinder? Gewiss, den Kriegen in Gaza und im Libanon ging die blutrünstige Attacke der Hamas vom 7. Oktober 2023 voraus mit 1200 Toten. Aber 1200 gegen 40’000? Ist ein solches Zahlenverhältnis durch das Talionsprinzip - Auge um Auge, Zahn um Zahn - abgedeckt? Kümmert Netanyahu das Schicksal der Opfer, das Leid ihrer Angehörigen? Spielt es für ihn eine Rolle,  wenn er sich eingestehen muss, dass der Tod von Zehntausenden vermeidbar gewesen wäre, dass im Gegenzug sogar die Freilassung der israelischen Geiseln hätte ausgehandelt werden können… wenn er nur nicht stur sein eigenes Schicksal über dasjenige aller anderen gestellt hätte? Es hätte in seinem Fall nichts anderes erfordert, als sich der Justiz zu stellen, die ihm in mehrfacher Hinsicht, straf- und zivilrechtlich, auf den Fersen ist. Nur die Immunität als Regierungsperson schützt ihn. Ist der Krieg vorbei, dann holt ihn der Arm des Gesetzes ein.

 

Zu wieviel Eigennutz ist ein Mensch fähig, der in einer grossen, übergeordneten Verantwortung steht? Es gibt viele Beispiele von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, die auf eine Verfassung geschworen haben und die trotzdem lügen, dass sich die Balken biegen. Netanyahu ist das Paradebeispiel. Jede Plausibilität spricht dafür, dass er vor dem 7. Oktober letzten Jahres vom bevorstehenden Angriff der Hamas gewusst hat. Denn es ist schlicht undenkbar, dass der Mossad nicht informiert war und dass Informationen solcher Brisanz nicht auf dem Tisch des Regierungschefs gelandet wären. Der israelische Geheimdienst ist fähig, gegnerische Generäle sekunden- und punktgenau zu exekutieren und so spektakulär-furchtbare Aktionen durchzuziehen wie das Massaker mit den Pagern im Libanon. Dieser Geheimdienst soll von den Plänen der Hamas nichts mitbekommen und seinen Chef nicht informiert haben? Wer’s glaubt, wird selig.

 

Kümmert es einen Wolodimir Selenskji, dass er, um die Mär von einem möglichen Sieg gegen Russland hochzuhalten, eine ganze Generation junger Landsleute der russischen Artillerie zum Fraß vorwirft? Dass er gleichzeitig, über Mittelsmänner, Jachten und Immobilien ersteht, aber demokratische Wahlen hintertreibt, weil sie seiner Schauspielerei ein Ende setzen könnten? Darf er die Angst um seine eigene Haut über 100‘000 Menschenleben stellen, die diesen Krieg nie gewollt haben?

 

Was geht in einem Joe Biden vor, wenn er durchsetzt, dass seine familiär bedingten Verstrickungen in Abgründe von Korruption für die Medien tabu sind - während diese gleichzeitig alle Skandale um seinen Widersacher Donald Trump genüsslich an die Öffentlichkeit zerren? Was empfindet ein Olaf Scholz, der sich an seine Verstrickungen in den Cum-Ex-Skandal partout nicht will erinnern können (der die deutschen Steuerzahler immerhin einige Millionen gekostet hat), wenn er doch kristallklar weiss, dass er lügt? Und dass er weiss, dass alle wissen, dass er lügt, aber mit ihm einfach den Mantel des Schweigens über seine Amnesie legen, weil sonst der Bundeskanzler zurücktreten müsste?

 

Oder nehmen wir Ursula von der Leyen, die zu ihrem Job als EU-Kommissionspräsidentin wie die Jungfrau zum Kind gekommen ist, nämlich durch die Eingebung des Emanuel Macron, der seine Landsfrau Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank installieren wollte und sich die Zustimmung Deutschlands durch das Gegengeschäft mit von der Leyen erkaufte. Was treibt sie an, die. EU zur Bank für die Ukraine zu verwandeln und statt der europäischen Bedürfnisse alle amerikanischen Wünsche zu erfüllen, den Krieg zu pushen und jede Friedensinitiative zu dämonisieren?

 

Ist es einem Robert Habeck, immerhin Vizekanzler, einfach egal, sein Saubermann-Image als Philosoph und Kinderbuchautor hochzuhalten, wenn er daneben weiß, wie faustdick er in Sachen Nordstream 2 die Öffentlichkeit hintergeht, bloß um die grüne Ideologie durchzusetzen?

 

Die übergeordnete Frage ist, wie sehr sich ein Individuum, das im Besitz von Macht steht, dem Sog der Korruption entziehen kann. Ist unser politisches System so aufgestellt, dass nur Charakterlumpen obenaus schwingen können, oder dass automatisch zum Charakterlump wird, wer an die Macht gelangt?

 

Georg Kreisler, der Altmeister des schwarzen Humors, hielt in seinem Programm "Allein wie eine Mutterseele" (1974) eine Lösung parat, die er der Politikergeneration von Nixon und Konsorten zuordnete: "Die sind so mies" (kann man über YouTube herunterladen). Ganz einfach. Die können nicht anders, weil sie so mies sind. 

 

Ist es wirklich so einfach? Sollte es nicht logisch sein, dass Menschen, die so weit oben sind, dass sie nicht mehr höher steigen können, ihre Stellung zum Besten der Allgemeinheit nutzen? Es gibt genügend positive Beispiele. Sie stammen aus den Epochen nach den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts. Sowohl in den Zwanziger- wie in den Fünfzigerjahren erfasste ein Schwung von Idealismus die Menschheit. Nie wieder Krieg! Zweimal kam es zur deutsch-französischen Aussöhnung, durch Briand/Stresemann wie durch De Gaulle und Adenauer. Willy Brandt fiel in Warschau auf die Knie und sorgte für friedliche Koexistenz mit Osteuropa. Und ein amerikanischer Präsident namens Eisenhower, ausgerechnet ein Viersternegeneral, warnte 1960 davor, dass der militärisch-industrielle Komplex die grösste Gefahr für die Demokratie sei. Heute warnen amerikanische Präsidenten die Rüstungsindustrie vor zuviel Demokratie.

 

Es ist zu hoffen, dass es nicht wieder einen Weltkrieg braucht, bis auch die Politiker unserer Generation zu einem Hauch von Idealismus zurück finden. Es würde reichen zu erkennen, dass Macht und Gier die Menschheit nie weiter gebracht, sondern stets zurück geworfen haben.

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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