DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
In Bundesbern und in Brüssel weibeln dieser Tage die einschlägig Interessierten, das Verhältnis der Schweiz zur EU in einem umfassenden Vertragswerk neu zu regeln. Dieses Vertragswerk soll die mittlerweile in die Jahre gekommenen „Bilateralen II“ ablösen, denen auf beiden Seiten die Rechtsentwicklung davonläuft. Es ist klar, wer auf der schweizerischen Seite die „einschlägig Interessierten“ sind: die grossen Player der Wirtschaft. Die Grosskonzerne, von den Banken über Glencore bis zur Pharma, der Arbeitgeberverband, die Handelskammern, die üblichen Verdächtigen. Die Aussen- und die Wirtschaftspolitik, derzeit in den Händen der Bundesräte Cassis (FDP) und Parmelin (SVP), bemühen sich nach Kräften, den Schwergewichten der Volkswirtschaft den Weg nach Brüssel zu ebnen, eingedenk der Tradition, dass schweizerische Aussenpolitik stets schweizerische Aussenhandelspolitik war. Neuerdings gibt es noch Sukkurs von der Verteidigungsministerin, die, umschmeichelt von der Präsidentin der EU-Kommission, eine institutionelle Anbindung der Schweiz an supranationale Organisationen forciert, wo sich Gelegenheit bietet. Viola Amherd und Ursula von der Leyen, die Busenfreundinnen des Neutralitätsrückbaus. EU und NATO, wir kommen.
Mal schauen, wie lange die Freundschaft hält. Denn glücklicherweise sind die Dinge doch komplizierter, als es unser oberstes Interessenmanagement sich erhofft. Es gibt Widerstand. Die „dynamische Rechtsübernahme“, so modern das tönt, schreckt viele Schweizerinnen und Schweizer ab, ebenso die Befürchtung, dass uns die Migration vollends aus dem Ruder laufen könnte. Die Gewerkschaften fürchten Lohndumping und den Zusammenbruch der Sozialwerke. Die KMU dagegen – derjenige Bereich der Wirtschaft, der zur Schweiz den engsten Bezug hat – halten sich in der Europafrage auffällig zurück. Natürlich käme auch ihnen eine konsolidierte Rechtslage nicht ungelegen, aber die Nähe zur Basis lässt sie zögern. Sie wissen, wie die Schweiz tickt.
Deshalb ist ihnen wichtig, unter den Leitsternen der politischen Kultur die Demokratie hochzuhalten. Denn bei aller Kritik, die wir an dieser Stelle schon an schweizerischen Mauscheleien geübt haben: Das ist gar nix im Vergleich zu dem, was in der EU abgeht, insbesondere seit der Präsidentschaft von Ursula von der Leyen. Die Dreistigkeit, mit welcher dort demokratiefeindliche Gesetze durch die Kommission gejagt werden, ist atemberaubend – bei gleichzeitiger, gebetsmühlenartiger Absonderung des Lippenbekenntnisses, das alles sei zum Schutze der Demokratie.
Worin besteht denn diese noch in der Europäischen Gemeinschaft? Victor Orban, gegenwärtiger Ratspräsident, wird beleidigt und gemobbt, dass man sich fremdschämen muss. Weshalb? Weil er sich für Frieden einsetzt, denn mit Frieden lässt sich kaum Geld verdienen. Wer dagegen Putin am lautesten niedermacht, gilt als einwandfrei demokratisch, ebenso, wer verkündet, Israel halte sich ans Völkerrecht. Auch wer dreckiges amerikanisches Frackinggas kauft und sich bereit erklärt, den Krieg in der Ukraine zu finanzieren, ist vorbildhaft. Also die Bundesrepublik Deutschland unter der Ampel. Ist Ursula von der Leyen der verlängerte Arm der von Olaf Scholz in Brüssel? Oder umgekehrt: Ist der Kanzler der verlängerte Arm von der Leyens in Berlin? Schwer zu entscheiden. Beide sind Erfüllungsgehilfen der amerikanischen Waffenlobby in Europa. Die EU hat ihre Eigenständigkeit aufgegeben, hat den Friedenspfad, um dessentwillen sie vor 74 Jahren gegründet wurde, verlassen und regredierte zur Empfängerin der Handlungsanweisungen aus Washington. Und immer mit der Worthülse auf allen Lippen: Demokratie, Demokratie, Demokratie.
Wie hohl diese Phrase ist, illustrieren die Inhalte, die Brüssel ausspuckt. Seit der laufenden Woche wird in Deutschland eine Verordnung umgesetzt, die von der EU vor zwei Jahren verabschiedet wurde. Es ist – kaum zu glauben, aber wahr – eine Verordnung, welche die Installierung von Zensur ermöglicht, vorbei am Grundgesetz, das die Pressefreiheit gewährleistet und explizit festhält: „Eine Zensur findet nicht statt.“
Dieser Paragraph 5 wird jetzt überlistet durch den „Digital Services Act“, der „einheitliche europäische Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte schuf“. Tönt gut. Die Umsetzung in der BRD zeigt aber, worum es wirklich geht: um einen fundamentalen Angriff auf die Meinungsäusserungsfreiheit. In den Social media war diese noch gewährleistet, nachdem die Mainstream-Medien uns in dieser Hinsicht im Stich gelassen haben. Was wird uns noch bleiben, wenn auch die Social media auf die Einheitsmeinung getrimmt werden?
In Deutschland ist die neue Verordnung bei zwei Ministerien angesiedelt, die sich beide in Grüner Hand befinden, nämlich bei Robert Habeck und bei Lisa Paus, deren Familienministerium das Ganze finanzieren darf. Habeck betraute den Vorsteher der „Bundesnetzagentur“ (Jürg Müller, ebenfalls Grün) mit der Umsetzung. Dieser engagierte die Organisation „REspect“, sämtliche Social media als „Trusted Flaggers“ nach Inhalten zu durchforsten, die geeignet seien, „Hass und Hetze“ im Internet zu verstärken. Deren Chef wiederum ist ein gewisser Ahmed Gafaar, der in Kairo Islamwissenschaften studiert hat. Er fordert jetzt die Web-Community auf, „REspect“ seien einschlägige Zitatstellen zu melden. Er leitet dann nach seinem Gutdünken die Hinweise an die Betreiber der jeweiligen Plattform weiter und diese müssen sie gemäss EU-Recht stante pede tilgen. Ohne Gerichtsbeschluss, ohne Einspruchsmöglichkeit, wird einfach so gemacht. Es erinnert das an das Pflichtenheft eines Blockwarts aus den Dreissigerjahren. Der Willkür und der Zensur sind Tür und Tor geöffnet.
So ist das jetzt in Deutschland. In Vollzug eines Gesetzes aus der Brüsseler Küche. Dynamische Rechtsübernahme? Sollten wir Schweizer vielleicht noch einmal überschlafen.
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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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