DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Genugtuung herrscht, obwohl noch nicht das Geringste entschieden ist: Der selbstbesessene Wirklichkeitsverdreher, der machohafte Frauenbenutzer hat seine Meisterin gefunden. Kamala Harris hat Donald Trump im ABC-Fernsehduell um Längen geschlagen. Der Lügenbaron und Demokratieuntergraber, der seinen Wahlkampf darauf ausgerichtet hatte, gegen einen senilen Tattergreis mit links bestehen zu können, ist selbst in die Rolle des alten Knackers geraten und sieht sich unversehens einer vitalen, smarten, attraktiven Frau gegenüber, die ihm intellektuell und als Persönlichkeit um Längen voraus ist.
Wie Phönix ist Kamala aus der Asche einer so gut wie gescheiterten Vizepräsidentschaft gestiegen und entzückt als holder Schwan das Publikum. Wer sich gerne zu den Linksliberalen zählt, ob zu Recht oder nicht, ob in den USA oder im Rest der Welt, ist begeistert: Nun werden wir ihn, wenn alles gut geht, doch noch verhindern können, den alten Hochstapler. Am Mittwoch hat er noch einmal am Leierkasten seiner gesammelten Lügen gedreht und die schrillsten Töne in die Welt getutet, nach dem Refrain billigen Bänkelsangs, abgespeichert auf den Lochkarten des Populismus: Sleepy Joe war der unfähigste Präsident der USA ever, Du warst die unfähigste Vizepräsidentin, und überhaupt sind an allem die illegalen Migranten schuld, die die unschuldigen Haustiere der Amerikaner töten und aufessen, Hunde wie Katzen. Eine Welt am Abgrund droht in die Hände einer Figur zu geraten, die der alten Mathilde von Zahnd aus Dürrenmatts «Physikern» Ehre antäte. Diesen Plot hatten wir vor acht Jahren schon, und wir sind froh, sind wir davongekommen.- OMG, Kamala, rette uns.
Weshalb aber will ich trotzdem nicht so recht froh werden ob der hoffnungsvollen Kunde?
Wer sich nicht mit der Einheitsmeinung der Kommentatoren der größten und publikumswirksamsten Medien dies- und jenseits des Atlantiks zufriedengeben, sondern sein eigenes Urteil bilden wollte und sich den gesamten, anstrengenden 90 Minuten des Fernsehduells unterzog, der stellte fest, dass nicht nur der Befund der transatlantischen Welterklärer uniform ausfiel, sondern auch die Auslassungen. Was blieb unkommentiert? Migration und Abtreibung gab es zu Hauf, Steuersenkungen (für wen?) und Inflation füllten die Spalten der Auslandressorts unserer Medien. Aber in keinem der Kommentare kam die Aussenpolitik zur Sprache. Wohl deshalb, weil sich hierin Donald Trump durchaus staatsmännischer gebärdete als Kamala Harris. Explizit warnte er vor einer nuklearen Eskalation, was den Scharfmachern im Harris-Lager nie in den Sinn käme.
Was das bedeutet, wissen wir nicht abschließend. Anzunehmen ist, dass wir von Frau Harris im Falle ihrer Wahl nichts anderes zu erwarten hätten als die Fortführung dieses Missverständnisses aus den 1960er-Jahren, dass nämlich die USA berufen seien, als Weltpolizist zu funktionieren im Dienste von Liberalismus und Demokratie. Nur mit dem Unterschied, dass damals – es war die Zeit der politischen Adoleszenz eines Joe Biden, des geistigen Ziehvaters von Kamala – Liberalismus und Demokratie auf der Welt für die USA noch einen Rest von Bedeutung hatten. Heute aber hat sich vom Liberalismus nur noch der Blinddarm «Neo-» erhalten, und an die Stelle des Einsatzes für die Demokratie ist die panische Angst um den globalen Machterhalt getreten.
Die Farce, der westlichen Welt glaubhaft machen zu wollen, es gehe im Ukraine-Krieg um irgendwelche idealistische Motive, wird mit Harris unverändert weitergespielt. Die Aussen- und Angriffspolitik der USA wird weiterhin in den Verwaltungsräten der Rüstungskonzerne von Lockheed Martin, von Raytheon, von Boeing und Northrop Grumman etc. geschmiedet. BlackRock wird unbeirrt in grösstem Stil ukrainischen Boden (mit den dort sedimentierten Bodenschätzen im Wert von zwölf Billionen Dollar) aufkaufen und die Europäer – Scholz, Macron, Starmer, Meloni – werden dumm genug bleiben, auf eigene Kosten die amerikanischen Investitionen zu verteidigen. Und sie werden damit das Risiko eines atomaren Konflikts befeuern.
Kamala, so stellen wir uns die Rettung nicht vor. Gewiss, Donald Trump in der Rolle eines die Friedensschalmei blasenden Hirtenknaben ist eine äußerst schräge Besetzung. Aber Trumps «America first» ist, anders als das «America first» der Weltpolizisten, eine isolationistische Ansage. Er sieht den grösseren Nutzen für die USA darin, sich zurückzuziehen, Schlagbäume herunterzulassen und Zollmauern hochzufahren. Das ist eine schlichtere Wirtschaftsauffassung als diejenige der Neoliberalen; aber es ist eine, die er so ungefähr noch hinkriegt. Sie würde wohl etwas weniger starkes globales Wirtschaftswachstum generieren (sollten die Kriege nicht eh alles auffressen), aber da die Profite ohnehin einseitig die Taschen der Grosskonzern-Shareholder füllen würden, kann ich darin keinen Nachteil erkennen. Stattdessen aber den Vorteil, dass der Rest von Weltfrieden, die wir noch haben, sicherer bewahrt bliebe als durch ständige aggressive Militäreinsätze weltweit. Trump war der einzige US-Präsident der Nachkriegsgeschichte, der sich keinen neuen Krieg hat zuschulden kommen lassen. Sogar dieser Empathielose spürt, dass er etwas lostreten könnte, das unkontrollierbar würde.
Solche Skrupel sind den von der Rüstungslobby gesponsorten Think-Tanks in Washington fremd. Wie sich Kamala Harris in diesen Spannungsfeldern behaupten würde, ist, wie gesagt, eine Frage der Spekulation. Muss sie denen gehorchen, die jetzt ihren Wahlkampf finanzieren? Dann siehe oben. Oder können wir Hoffnung in den Umstand setzen, dass sie eine Frau ist? Unmöglich wäre das nicht. (Aber bloss keine feministische Aussenpolitik, wie wir sie von Frau Baerbock kennen. Bewahre uns vor dem Hühnervogel!)
Wird es soweit kommen, dass wir unsere Hoffnungen auf Donald Trump setzen müssen? Es würde zur Groteske einer Welt passen, von der Friedrich Dürrenmatt sagte: Wer so aus dem letzten Loch pfeift, wie wir alle, der kann nur noch die Komödie verstehen.
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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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