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Straumanns Fokus am Wochenende - Gesichert rechtsextrem?

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Die Welt tritt an Ort. Zwei Monate Sommerpause habe ich mir seit meinem letzten «Fokus» gegönnt. Passiert ist vieles, geschehen ist nichts. Hektik und Bewegung, aber kein Fortschritt. Die Welt steht, wo sie war. Die Warlords diktieren die globalen Agenden, ob jene aus dem militärisch-industriellen Komplex Washingtons, jene im Kreml oder jene in der Regierung in Jerusalem. Die afghanischen Taliban haben ihren Frauen zwischenzeitlich zu singen verboten. Das sind die Zeiten, in denen wir leben. Ob den Frauen der Sinn danach stehen würde, ist fraglich. Die Misere durchdringt den Alltag. Wir haben uns schon fast daran gewöhnt.

 

Aber nur fast. Gleichzeitig mit der Lähmung der Politik signalisieren immer mehr Menschen, dass sie das alles nicht wollen. Die Schere zwischen den Regierungen und den Bürgern öffnet sich, und zwar in ganz Europa. Kein Wunder, denn die Aktualität entwickelt sich zum Nachteil unseres Kontinents. Aber die Quittungen für die aktive Beteiligung vieler Entscheidungsträger am Niedergang ihrer Länder werden jetzt ausgestellt, von Wahltag zu Wahltag. Italien machte vor zwei Jahren den Anfang, Grossbritannien hat nachgezogen. Dort ging die Entwicklung nach rechts, hier nach links – einerlei, wer die Regierungsbank belegte, wird abgestraft.

Frankreich hat derzeit gar keine Regierung, weil Präsident Macron die Olympischen und Paralympischen Spiele nutzen will, um Zeit zu gewinnen. Es wird ihm nichts nützen. All die Wirklichkeitsverdreher, die noch immer lügen, im Ukraine-Krieg werde die Demokratie verteidigt und in Israel das Völkerrecht respektiert, die behaupten, die globale Migration sei kein Problem und die erfolgreiche Integration von Millionen von Menschen aus dem globalen Süden nur eine Frage der Zeit, haben ihr Mandat verwirkt.

 

Nirgends zeigt sich das deutlicher als in Deutschland, weil sich keine Regierung so willfährig wie Scholz’ Ampel am Niedergang der eigenen Wohlfahrt beteiligt. Für sie galt immer: An erster Stelle stehen die neoliberalen Ansprüche der US-Waffen- und Ölindustrie; die eigenen nationalen Interessen hinken hinterher. Dass der grüne Vizekanzler alle Dreckschleudern gutheisst, darunter den Krieg, ist der aktuelle Treppenwitz der Weltgeschichte. Dafür werden der in den Abgang torkelnden Regierung von Präsident Biden die Wünsche von den Augen abgelesen, das heisst den Think-Tanks der Neocons, welche Old Joe an ihren Fäden wie in der Muppet-Show über die Bühnen trippeln lassen. Mittlerweile hat sich Scholz sogar vor den Karren spannen lassen, amerikanische Mittelstreckenraketen in ostdeutschen Grenzregionen zu stationieren, damit Deutschland im Falle des russischen Angriffs garantiert Ziel des Erstschlags von Wladimir Putin würde. Und dieser sei ja – wenn wir den Kiesewetters, Röttgens, Merz’ etc. vertrauen – eine längst beschlossene Sache. (Wäre das wirklich so, müsste man einem militärischen Harakiri sprechen, aber so bescheuert ist wohl nicht einmal die deutsche Aussenministerin. Deshalb liegt der Schluss nahe, dass man in Berlin das entsprechende Gefahrenpotential ziemlich präzise einschätzt; es liegt bei null. Und folglich, dass die an die Wand gemalten Bedrohungsszenarien nichts als Feindbilder sind zugunsten der angesagten Militarisierung des öffentlichen Bewusstseins.)

 

In Thüringen und Sachsen wurden über das vergangene Wochenende die Landesparlamente bestellt. Also dort im Osten, wo die Menschen leben, die das Ziel des russischen Erstschlags wären, wenn sie denn kämen. Dort, wo man noch immer einen Fünftel weniger verdient als in München und Düsseldorf. Dort, wo alle wichtigen Verwaltungsräte fest in westdeutscher Hand sind und die Lehrstühle ebenso. Dort, wo die Wessis mit ihrer geballten Medienmacht den Ossis seit Jahren eintrichtern, dass sie, sollten sie sich unterstehen, die AfD zu wählen, nichts anderes wären als eine nichtswürdige Bande von Neonazis. Gesichert rechtsextrem.

Nun gibt es in den Reihen der AfD tatsächlich einige Figuren, mit denen ich gesichert nicht in die Ferien fahren würde (mit dem Vorverurteiler im Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der statt der Verfassung viel lieber die Ampel schützt, ebensowenig). Dass jedoch gleich ein Drittel der Bevölkerung zweier Bundesländer (32,8 Prozent in Thüringen, 30,6 in Sachsen) verfassungsfeindlich wäre, hätte ein anderes Mass. Viel plausibler ist, dass sich die Menschen in Ostdeutschland von einer Regierung verraten fühlen, die nur die eigene Agenda pusht und die eigenen Ideologien zum Nutzen ihrer eigenen Klientel befördert. Für sie ist die AfD nicht gesichert rechtsextrem, sondern der Notausgang aus einer Politik, die mit ihren Sorgen und Nöten nichts am Hut hat.

 

Die Ampel ist über das vergangene Wochenende in Sachsen und Thüringen abgewatscht worden wie noch keine deutsche Regierung vor ihr. Scholz, Habeck, Lindner haben ihr Blatt überreizt. Dass die CDU ungeschoren davonkam, verdankt sie einzig dem Umstand, dass sie nach 16 Jahren Mutti Merkel auf die Oppositionsbank beordert worden war und deshalb die letzten vier Jahre nicht in der Verantwortung stand. Sie sollten den Göttern dafür danken und schleunigst ihre Politik anpassen. Stattdessen aber zieren sie sich, zeichnen rote Linien und teilen mit, welchen Ausdruck von Volkswillen sie für akzeptabel halten und welchen nicht. Das ist offenbar die demokratische Gesinnung, die es zu verteidigen gilt.

 

 

Wieviel davon steckt in der AfD? Wir wissen es nicht. Und wieviel Demokratie steckt in deren Diffamierung und Stigmatisierung? Das wissen wir ebenso wenig. Behauptung steht gegen Behauptung. Wir sehen nur, dass das Demokratieverständnis der alteingesessenen Parteien exakt so weit reicht, ungedeckte Wahlversprechungen als Steigbügel zur Macht zu nutzen und sich dann von den Menschen abzuwenden. Wer deshalb jetzt der AfD nicht die Chance geben will, sich einzumitten (wie Meloni in Italien), der wird sich vom Verdacht nicht frei machen können, dass seine eigene demokratischen Gesinnung hoch zweifelhaft ist. Dass nämlich das ganze Geplapper um rote Linien nichts anderes war als ein billiger Trick, sich eines Gegners zu entledigen, dem man aufgrund eigenen Versagens nicht beikommen konnte. 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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