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Reminder: Wissenschaftskritik ist wichtig, Journalismuskritik ist wichtiger und Eckokammern sind grundgesetzwidrig

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Wissenschaft ist nicht „Wahrheit“, sondern ein nie endender Prozess, der mit wissenschaftlicher Methodik zwischen Wissen, Irrtum und nicht Wissen unterscheidet. Sie liefert damit die mit allen Stärken und Schwächen menschlicher Fähigkeit optimierbaren Erkenntnisse über uns selbst und unsere Umwelt im allerweitesten Sinne. Sie kann nur selten Entscheidungen liefern, weil eine ganz wesentliche Erkenntnis ist, dass bereits Systeme geringerer Komplexität nicht optimierbar sind. Vielmehr sind zwischen Präferenzen und Konsequenzen gesellschaftlich/politische Entscheidungen zu treffen. Dafür kann Wissenschaft Entscheidungsgrundlagen liefern, nicht mehr, nicht weniger.

 

Journalismus ist in seinem ursprünglichen Verständnis ein Vermittlungsprozess zwischen Wissenschaft und faktischem Geschehen zur neutralen Information des Rezipienten, um eine Grundlage zur Meinungsbildung zu liefern.

 

Diese Aufgabe ist so wichtig, dass sie in Artikel 5 des Grundgesetzes mit der Meinungsfreiheit selbst verknüpft wurde. Dabei ist das Konzept, dem Journalismus bzw. im 1949er-Wortgebrauch der „Presse“ Freiheit zu garantieren. Später hat das Verfassungsgericht festgestellt, dass dazu Vielfalt zählt. Wenn also möglichst viele voneinander unabhängige Medien frei berichten können, haben wir eine freie Informationsvielfalt, so dass die Meinungsbildung auf eine breite Basis trifft, wodurch Meinungsfreiheit überhaupt erst Sinn macht. Daher ist in Artikel 5 die Freiheit der Wissenschaft gleich mit geregelt, ebenso ist übrigens Zensur dort verboten. Man darf also Medienregulierung und Zensur endlich mal unterscheiden, denn laut unserer Regulierung der Medien ist Zensur verboten. So passt das sogar zusammen.

 

Meinungsfreiheit, Meinungsbildung und Informationsfreiheit bzw. eine breite Informationsbasis sind also untrennbare Teile dieses Konzepts. Meinungsfreiheit alleine kann nicht funktionieren, es wäre eine leere Hülle, ohne deren Inhalt zu definieren. So war das 1949 nach den Erkenntnissen der sehr erfolgreichen Wissenschafts-, Medien- und Meinungsmanipulation durch den Nationalsozialismus gedacht.

 

Im Jahr 2024 macht die „Welt“ dann in Sozialen Medien den Aufmacher, es gebe „Wissenschaftshörigkeit“ und dabei wird nichts geringeres als Corona, Klimawandel und Inflation zitiert. Dahinter steht ein Artikel des mit akademischem VWL-Grad versehenen Thomas Mayer, was diesen damit übrigens nicht zum Wissenschaftler macht. Im Hauptberuf bedient Mayer sich bei von ihm verwalteten Vermögen mit hohen Provisionen für eine mäßige Leistung. Das gelingt ihm, weil er bevorzugt vor Inflation Angst macht, dabei die angebliche Ohnmacht vor allmächtigen Geld druckenden Zentralbanken und Regierungen als Ursache bezeichnet und seinen hilflosen Mandanten dann seinen starken Arm anbietet, um sie vor derlei zu schützen.

 

Diese Angst muss groß sein, denn seine Mandanten scheinen zu übersehen, dass Mayer in seinen Bewertungen und Aussagen sehr zuverlässig – zeitlich und inhaltlich – daneben liegt. Mayers Glück ist, dass er als Lösung für seine Fehleinschätzungen Aktieninvestments empfiehlt. Die verwaltet er schlecht und teuer, aber man kann offensichtlich auch aus systematischen Irrtümern zu richtigen Entscheidungen finden, die dann trotz schlechter Exekution etwas abwerfen. Vermutlich fühlen sich seine Mandanten deshalb gut vor den bösen Notenbanken geschützt und der schlechte Deal hält trotzdem.

 

In diesem Artikelchen erwähnt Mayer die Inflation natürlich schon wieder, er kann nicht anders. Vermutlich kann er das sogar während er sich die Zähne putzt. Hier aber kommt nun seine weitere „Expertise“ bei der Bewertung von Wissenschaft und konkreten Wissenschaftlern, er ordnet für uns Kant, Popper, Schiller, Kuhn und Planck ein, um dann bei Corona und dem Klimawandel konkret zu werden. Er wirft Wissenschaftlern „Eitelkeiten“ vor und die Sache mit der Falsifizierung zu übersehen. Man liest hier unfreiwillig Mayer über Mayer schreibend.

 

Er vermutet gar eine „Symbiose“ zwischen Wissenschaft und Politik, nennt hier erneut konkrete Beispiele aus Corona, summiert letztlich weitgehend die komplette Klimaforschung darunter und begründet das mit einer angeblichen Ausgrenzung des „Klimaforschers“ von Storch. Auch hier fühlt man sich an frühere Ambitionen Mayers erinnert, in der Geld- und Finanzpolitik politisches Gehör, wenn nicht Mandate zu erhalten. Seine eigene noch laufende und enge Kooperation mit dem FDP-Politiker Schäffler muss ihm bei diesen Zeilen wohl kurzfristig entfallen sein.

 

Wie so oft, bei solchen Beiträgen werden berechtigte Fragen berührt. Eitelkeiten, politische Vernetzung, eigene Karriereinteressen, nicht genannt übrigens schlicht ökonomische Interessen bei der Finanzierung der Wissenschaften, das sind alles berechtigte Themen, zu denen es berechtigte Beiträge mit berechtigten Einwänden gibt. Dieser Beitrag hat dazu keine Berechtigung nachgewiesen. Es ist einer mehr, der ein Thema nur missbraucht und keinerlei Mehrwert dazu liefert.

 

Es ist richtig, dass Wissenschaft sich nicht immer an die eingangs erwähnte Aufgabe hält, Wissenschaftler in ihrem Gesamtschaffen ohnehin nicht. Das muss vielleicht auch nicht sein, aber was Mayer hier übersieht: Innerhalb wissenschaftlicher Publikationskanäle und des dort stattfindenden Diskurses ist viel mehr Licht als Nebel bzw. Nebel wird schnell beseitigt. Dort könnte man sich insbesondere als Journalist ganz gut bedienen. Es wäre schon ein Fortschritt, einfach mal zu einer Sachfrage kurz Google-Scholar zu bemühen und zu prüfen, wer damit wissenschaftlich überhaupt befasst ist.

 

Macht aber keiner, wenige jedenfalls. Mayer würde dann mit seiner 2007er Prognose auffallen, das FIAT-Finanzsystem werde zusammenbrechen. Die war ihm so wichtig, dass er sie 2014 im „Finanzbuch-Verlag“ „publizierte“. 2017 steuerte er als Co-Autor im Ifo-Schnelldienst ein paar Seiten zum Bitcoin bei, dem er einen Einfluss auf das Geldsystem attestierte, weil er – auch dazu äußert er sich – die Blockchain-Technologie so überzeugend findet.

 

Ob ein Medium Mayer also zu Corona, Klimawandel, Modellierung, wissenschaftliche Methodik – oder auch Inflation – „publizieren“ lassen sollte, könnte man mittels einer kurzen Prüfung vielleicht auch anders sehen. Wenn die „Welt“ hier also einmal mehr die Rolle der Wissenschaft angreift oder angreifen lässt, so wird vor allem klar, dass etwas weitaus wirksameres passiert ist: Medien greifen nämlich umgekehrt beliebig tief in die Rolle der Wissenschaft ein. Das ist übrigens auch eine Einladung an die zurecht kritisierten Verhaltensweisen von Wissenschaftlern. Insofern wird hier etwas kritisiert, dem selbst sogar Vorschub geleistet wird. Übersehen wird dabei, jedoch implizit erneut dokumentiert, dass die eigene Leistung nicht mehr stattfindet. Die eingangs erwähnte Rolle des Journalismus zeigt fast schon Auflösungstendenzen. Das hat sehr tiefe Gründe, im vorliegenden Fall darf man nach diversen Erkenntnissen über Führungsstruktur, Besitzverhältnisse und deren Einflussnahmen sogar von Absicht sprechen.

 

Das alles wäre zu verschmerzen, wenn wir genug andere Angebote hätten und diese auch genauso breit genutzt würden. Die gibt es sogar, die Vielfalt ist vorhanden, darüber haben die Landesmedienanstalten sogar seit dem 65er Urteil des Verfassungsgerichts zu wachen. Durch die elektronischen Medien ist die Vielfalt noch weiter gewachsen, das ist grundsätzlich auch gut so. Die jüngsten Gutachten über die Medienentwicklung bejahen diese Entwicklung ausdrücklich und warnen davor, sie durch neue Regulierungsmaßnahmen zurück zu drehen.

 

Was aber festgestellt wird und in klarem Widerspruch zu Artikel 5 gesehen wird: Solche Mayer´schen Pamphlete, die natürlich sehr klug gemacht und bewusst so gestaltet werden, gerade Springer gilt hier als besonders professionell, werden in abgeschotteten Echokammern wahrgenommen, dort begeistert aufgenommen, massiv bestätigt und manifestieren damit eine sowohl schnelle als auch sehr enge Meinungsbildung. Die Algorithmen der digitalen Plattformen machen die Vielfalt zunichte.

 

Das haben die sich 1949 gewiss nicht so gedacht.


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