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Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) stellt die Bauindustrie vor eine der größten Herausforderungen unserer Zeit: den Übergang von einer CO2-emittierenden zu einer CO2-bindenden Gesellschaft. Mit der Forschungsinitiative „Mining the Atmosphere“ verfolgt die Empa eine ambitionierte Vision: CO2 nicht nur zu reduzieren, sondern es aktiv als wertvollen Rohstoff in Baumaterialien wie Beton und Dämmstoffen zu integrieren und damit langfristig in Gebäuden zu speichern. In der geplanten NEST-Unit „Beyond Zero“ an der Empa sollen diese innovativen Materialien erstmals in einem realen Bauprojekt getestet und eingesetzt werden. Forschung, Industrie und Planung arbeiten hier Hand in Hand, um die Machbarkeit und Effektivität dieser Technologien zu prüfen und in den Alltag zu überführen.
Negative Emissionstechnologien: Eine Notwendigkeit, kein Luxus
„Die CO2-Emissionen steigen jede Minute“, warnt Nathalie Casas, Mitglied der Empa-Direktion und Leiterin des Departements Energie, Mobilität und Umwelt. „Wir haben bereits jetzt zu viel CO2 ausgestoßen, um das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen zu können. Daher müssen wir handeln und überschüssiges CO2 durch Negative Emissionstechnologien (NET) aus der Atmosphäre entfernen.“ Diese Technologien bieten eine Lösung für Emissionen, die sich schwer vermeiden lassen, etwa im Flugverkehr oder in der Landwirtschaft. Doch Casas betont, dass es nicht nur darum geht, über diese Technologien zu sprechen, sondern sie so schnell wie möglich in die Praxis umzusetzen: „Wir müssen die Technologien, die unsere Zukunft sichern könnten, marktreif machen und sie ohne Verzögerung anwenden.“
Die Rolle der Architektinnen und Architekten: Schlüsselakteure der Bauwende
Architektinnen und Architekten spielen eine zentrale Rolle in dieser Transformation. Christoph Kellenberger von OOS, dem involvierten Architekturbüro, hebt hervor: „Mit ihren Entwürfen bestimmen Architektinnen und Architekten die Konstruktion und die verwendeten Materialien eines Gebäudes. Es ist entscheidend, dass ihr Praxiswissen bereits bei der Entwicklung neuer Baumaterialien einfließt.“ Nur durch diese enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis können CO2-neutrale oder sogar CO2-negative Materialien schneller im Baualltag Einzug halten. „Unser Ziel ist es, den Gebäudebestand in der Schweiz in einen Kohlenstoffspeicher zu verwandeln“, so Kellenberger. Diese Vision ist greifbar und könnte das Gesicht der Bauindustrie nachhaltig verändern.
Wirtschaftliche Potenziale und Herausforderungen: Ein Balanceakt
Corinne Reimann von Implenia Schweiz sieht in den NET eine große Chance für die Baubranche: „Der Einsatz von CO2-neutralen oder CO2-negativen Materialien könnte die Branche zu einem entscheidenden Akteur in der globalen Klimastrategie machen.“ Doch die wirtschaftlichen Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen. „Ein Problem könnte der Preis der neuen Materialien sein. Viele sind nicht bereit, höhere Kosten zu tragen, selbst wenn langfristig Einsparungen möglich wären. Subventionen wären ein wichtiger Hebel, um den Einsatz dieser Technologien zu fördern.“ Es gilt, einen Weg zu finden, wie diese innovativen Materialien auch wirtschaftlich tragfähig werden können.
Gesellschaftliche Verantwortung und Risiken: Aufpassen auf die Rebound-Effekte
Neben den wirtschaftlichen gibt es auch gesellschaftliche Risiken, die berücksichtigt werden müssen. Ein zentrales Problem ist der sogenannte Rebound-Effekt, der auftreten kann, wenn Effizienzgewinne durch verändertes Verhalten wieder zunichtegemacht werden, zum Beispiel durch vermehrtes Bauen aufgrund des Einsatzes CO2-negativer Materialien. „Das darf nicht passieren“, warnt Nathalie Casas. „Es ist entscheidend, dass die Kostenwahrheit global etabliert wird. CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen wird immer teurer bleiben, als es gar nicht erst zu emittieren.“ Diese Verantwortung liegt nicht nur bei der Industrie, sondern bei der gesamten Gesellschaft.
Politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen: Der Weg zur Transformation
Damit die Transformation hin zu CO2-bindenden Bauweisen gelingen kann, sind klare politische Rahmenbedingungen unerlässlich. „CO2-Emissionen müssen einen fairen Preis erhalten, und Baumaterialien sollten als zertifizierte Kohlenstoffsenken anerkannt werden“, fordert Christoph Kellenberger. „Mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen könnte die Bauwirtschaft rasch transformiert werden.“ Auch Corinne Reimann sieht die Notwendigkeit politischer Unterstützung: „Mit den richtigen Anreizen und Subventionen wird sich der Einsatz innovativer Materialien schnell in der Baubranche etablieren.“ Die Politik ist hier gefragt, die Weichen für eine nachhaltige Zukunft zu stellen.
Fazit: Gemeinsam in eine CO2-neutrale Zukunft
Das Projekt „Beyond Zero“ zeigt, dass Gebäude in Zukunft als Kohlenstoffsenken wirken können. Dies ist nicht nur eine technische Vision, sondern ein realistischer Schritt in Richtung einer klimafreundlicheren Bauindustrie. Es wird deutlich, dass alle Akteure – Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft – ihren Beitrag leisten müssen, um diese Transformation zu realisieren. Dabei geht es nicht nur um technische Innovationen, sondern auch um die Bereitschaft, neue Wege zu gehen und gemeinsam in eine CO2-neutrale Zukunft zu schreiten.
Ein Blick in die Zukunft: Klärung offener Fragen
Die beeindruckenden Ansätze des Projekts „Beyond Zero“ werfen spannende Fragen auf, vor allem im Hinblick auf die praktische Umsetzung und zukünftige Entwicklungen. Um mehr darüber zu erfahren, hat uns Frau Dr. Nathalie Casas, Mitglied der Empa-Direktion und Leiterin des Departements Energie, Mobilität und Umwelt, Antworten geliefert. Sie gab uns wertvolle Einblicke in die nächsten Schritte und die Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gilt.
DMZ: Was genau sind Negative Emissionstechnologien (NET) und wie funktionieren sie?
Dr. Nathalie Casas: NET (Negative Emission Technologies) bezeichnet eine Gruppe von Technologien und Methoden, welche darauf abzielen, CO2 aus der Atmosphäre, Biomasse oder den Meeren zu entfernen und dauerhaft zu speichern, um den Klimawandel zu bekämpfen. Die Relevanz dieser Technologien ist besonders hoch, da sie einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Netto Null-Ziele leisten. Durch die Entfernung von überschüssigem, vom Menschen verursachtem CO2 aus der Atmosphäre kann eine Senkung der CO2 Konzentration erreicht werden.
Damit NET zu negativen Emissionen mit Auswirkungen auf das Klima führen kann, muss das CO2 langfristig gespeichert werden. An der Empa binden wir das CO2 in Form von Kohlenstoff in neuartigem Beton oder in Dämmmaterialien und speichern es somit dauerhaft im Gebäudepark.
DMZ: Wie sieht der Zeitplan für die Umsetzung der NEST-Unit „Beyond Zero“ aus?
Dr. Nathalie Casas: Die NEST-Unit "Beyond Zero" soll 2026 in Betrieb gehen. Zurzeit werden die vielversprechen-den CO2-reduzierte und CO2-negative Innovationen weiterentwickelt; bis sie für den Bau der NEST-Unit und darüber hinaus eingesetzt werden können.
DMZ: Welche Auswirkungen könnte die NEST-Unit „Beyond Zero“ auf den Alltag und die Bau-kosten für private und gewerbliche Bauherren haben?
Dr. Nathalie Casas: Die NET sollen möglichst keine negativen Auswirkungen auf den Alltag von Planerinnen und Bauunternehmer aufweisen. Im Gegenteil: Diese neuartigen Baumaterialien verbessern die Umweltbilanz von Gebäuden und sind der einzige Weg, um Netto Null erreichen zu können. Sie bieten dem Gebäudesektor eine große Chance, einen entscheidenden Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten zu können. Die Kostenfrage ist heute schwierig zu beantworten. Es stellt sich mehr die Frage, was ein fairer Preis für die Reduktion einer Tonne Kohlenstoff oder CO2 ist. Umweltbelastende Produkte müssen teurer werden und mit einem fairen CO2-Preis können NET-Produkte zu einem tieferen Preis angeboten werden.
DMZ: Wie könnte die Politik konkret dazu beitragen, die Baubranche schneller in Richtung CO2-Neutralität zu transformieren?
Die Politik kann durch die Beeinflussung der Marktbedingungen und durch das Festlegen eines fairen CO2-Preises die Transformation der Baubranche in Richtung CO2-Neutralität vorantreiben. Diese Maßnahmen würden den Markt stimulieren und Planungssicherheit verschaffen.
Damit gesamt-schweizerisch keine zusätzlichen Kosten entstehen, könnte als Idee eine CO2-Clearingstelle geschaffen werden. Dort würden umweltbelastende Projekte Zahlungen leisten und Netto Null-Projekte würden Geld erhalten.
Herausgeber
Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
http://www.empa.ch
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