DMZ – TIPPS ¦ Maya West ¦
Die Geister scheiden sich an dieser Frage schon lange, besorgte Eltern befürchten, dass ihre Kinder der Elektronik wegen zu Stubenhockern mutieren und beim endlosen Spiel an diesen Geräten geradezu “verblöden”. Auch die Wissenschaftler scheinen sich weithin nicht einig zu sein, wie sich Computerspiele den nun tatsächlich aufs Gehirn auswirken. Nachdem eine Studie vor wenigen Jahren für Aufsehen sorgte, die belegte, dass sich Gaming positive auf die kognitiven Fähigkeiten auswirkt, wurde diese nun jüngst relativiert. Was genau ist nun der Fall, und in welchem Ausmaß beeinflusst das Zocken nicht nur die kognitiven Fähigkeiten, sondern auch den mentalen Zustand?
Die Ergebnisse der medizinischen Studien sind so vielseitig wie die Untersuchungen selbst: bereits 2013 veröffentlichte das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung zusammen mit der Psychiatrischen Universitätsklinik Charité die Ergebnisse eines zwei-monatigen Experiments mit Erwachsenen in Berlin, die dazu täglich „Super Mario 64“ spielten, während eine Kontrollgruppe nicht spielte. Mittel Magnetresonanztherapie wurde die Gehirnstruktur gemessen, wobei nachgewiesen werden konnte, dass sich bei den Spielern insbesondere die grauen Substanzbereiche des Gehirns vergrößerten, vor allem im rechten Hippocampus, in der präfrontalen Kortex sowie im Kleinhirn. Diese Bereiche des Hirns sind verantwortlich für das Gedächtnis, die räumliche Orientierung wie auch für strategisches Denken und Feinmotorik. Beachtlich war dabei auch, dass sich diese Verbesserungen der Leistungsfähigkeit des Gehirns vor allem bei den Probanden zeigten, die Spaß am Spielen hatten. Die Wissenschaftler gingen zum Zeitpunkt sogar soweit, dass sie eine positive Auswirkung von Computerspielen auch bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, PTSD oder degenerativen Leiden wie Alzheimer-Demenz annahmen.
Diese wie viele weitere Studien sprachen seitdem den Games eine positive Auswirkung auf das Denken wie auch den Gemütszustand von Jung und Alt zu: Die
Denkfähigkeit und Feinmotorik bei Jugendlichen soll ebenso verbessert werden wie bei Senioren, weshalb immer mehr deutsche Pflegeheime elektronische Geräte in den Unterhaltungsräumen aufstellten,
um die Patienten körperlich wie auch geistig fit zu halten – oftmals mit Simulatoren wie Golf oder Radfahren per Konsole. Auch bei Depressionen oder Gefühlen von Einsamkeit und Isolation kann
Gaming helfen, wie eine Studie der Krankenkasse Barmer betonte: die Dopamin-Ausschüttung setzt Glückgefühle frei, eine Gemütsregung, die sich noch weiter verstärkt, wenn beispielsweise in einem
Online Casino der Erfolg beim Spiel mit echtem Geldgewinn verbunden ist. Zudem wird lokal oder online oft gemeinsam mit Freunden gezockt, was
wiederum Gefühle sozialer Verbundenheit auslöst und den Teamgeist stärkt. Auch wer sich allein durch eine virtuelle Welt bewegt, mag sich weniger einsam fühlen, heißt es in dem medizinischen Beitrag. Und da die meisten Spiele einen positiven Ausgang nehmen, kann man
spielerisch auch Versagensängste bewältigen.
Spannend ist auch die Erkenntnis, dass Games, anders als oftmals angenommen, nicht aggressiv machen: eine Langzeitstudie von Sarah Coyne und Laura Stockdale mit Probanden zwischen zehn und 23 Jahren
konnte keinen Zusammenhang zwischen Video-Games und gewalttätigem Verhalten nachweisen. Beeinflussend sind eher die Motivation, die hinter dem Spiel steckt, sowie andere externe soziale Faktoren
wie das Erleben von Gewalt im Umfeld oder existierende Vorerkrankungen wie Depressionen, die dann wiederum Aggressionen beim Spielen fördern können.
Ein weiterer, weitgehend unbekannter Einflussbereich ist der des Schmerzempfindens: ein Forscherteam aus Spanien untersuchte an 19 krebserkrankten Kindern, ob sich Gaming positiv auf die Linderung der Nebenwirkungen der Chemotherapie, in diesem Fall eine schmerzhafte Entzündung der Mundschleimhaut, auswirkt. Das Ergebnis: spielten die Patienten Computerspiele, brauchten sie erstaunliche 20 Prozent weniger Morphin und andere Schmerzmitte, zudem schienen sie sich besser von der Chemotherapie zu erholen. Unklar ist, ob es sich dadurch um eine direkte Auswirkung auf die Schmerzwahrnehmung handelte, oder eben ein geschicktes Ablenkungsmanöver.
Sind Computerspiele damit durchwegs eine gesundheitsfördernde Beschäftigung? Trotz vieler positiver Auswirkungen aufs Gehirn, sollte diese Theorie mit Vorsicht betrachtet werden: wer täglich viele Stunden zockt, kann unter Reizüberflutung leiden, Spielsucht, insbesondere auch in Casinos, kann schwerwiegende Folgen haben, und wer das lange Sitzen am Computer, der Konsole oder das endlose Spielen auf dem Smartphone nicht mit körperlicher Bewegung ausgleicht, wird weder Muskeln noch sein Herz-Kreislaufsystem ausreichend fördern. Jüngste Studien relativieren auch die neurologischen Effekte des Spielens: vergangene Untersuchungen hatten den Sauerstoffgehalt im Gehirn nachgewiesen, der bei regelmäßigen Gamern deutlich höher lag, was auf schnellere Reaktionsfähigkeit hinwies. Nun gaben die Wissenschaftler zu, dass ihr Schlussfolgerungen einige Fehler aufwiesen und es sich nicht um eine Fall-Kontroll- sondern lediglich um eine Querschnittsstudie handelte, die auf ungenauen Angaben basierten. Zudem resümierten sie aufgrund weiterer Untersuchungen, dass das Depressionsrisiko bei Spielern sogar deutlich höher liegt. Gleiches gilt für Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen.
Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Befunde demnach wieder unklar. Bekannt ist jedoch, dass gerade in Altenheimen die Einführung von Videospielen positive Auswirkungen auf die Lebensfreude, Agilität und die Lebenszufriedenheit haben, wobei die Senioren allerdings lediglich dreimal pro Woche spielen. Auch in der Behandlung von Störungen wie Autismus werden elektronische Spiele wie Minecraft, Pokémon Go oder Simulatoren-Spiele erfolgreich eingesetzt. Im rechten Maß können viele Games also durchaus in jedem Alter positive Effekte auf das Gehirn haben.
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