"Bildungswende" am Ende?

Gerade einmal 50 Menschen kamen am 18. Juni 2024 zum Abschluss des bayerischen Bildungsprotests. Foto: Stefan Hemler.
Gerade einmal 50 Menschen kamen am 18. Juni 2024 zum Abschluss des bayerischen Bildungsprotests. Foto: Stefan Hemler.

DMZ – BILDUNG ¦ Stefan Hemler ¦   

GASTKOMMENTAR

 

2023 verheißungsvoll gestartet, ist das linksgewerkschaftliche Protestprojekt "Bildungswende jetzt" schon wieder erlahmt. Was lässt sich daraus lernen? 

 

IM VERGANGENEN HERBST erlangten erstmals seit Jahren wieder bundesweit Demos für bessere Bildung die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Am 23. September gelang es "Bildungswende jetzt", 15.000 Menschen auf die Straße zu bringen. Keine Großkundgebung, aber immerhin ein Anfang, der in den Medien auf großen Widerhall stieß.

 

Für einen Gründungsappell konnten auf der Online-Plattform "Change" sogar über 130.000 Unterschriften gesammelt werden. In den Mittelpunkt stellte das Bündnis dabei vier Leitforderungen: Ein zukunftsfähiges, inklusives Bildungssystem, dauerhaft mehr Geld für Schulen und Kitas und ein Bildungssondervermögen von 100 Milliarden Euro, einen Bildungsgipfel sowie eine Ausbildungsoffensive für Erzieher:innen und Lehrkräfte. Für eine Petition zu den beiden letztgenannten Forderungen wurden in den vergangenen Wochen noch einmal, mit Rückenwind von Campact, mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt.

 

Missglückte Mobilisierung, verlorenes Medieninteresse 

Online-Protest ist das eine – Mobilisierung auf der Straße etwas anderes. Und hier zeigte sich, dass der Bildungswende inzwischen die Luft ausgeht.

 

Die meisten Ländergruppen sahen sich außer Stande, nochmals ein Großevent wie vergangenes Jahr zu stemmen. Deswegen plante das Bündnis 2024 einen frühsommerlichen Protest-"Staffellauf". Den Anfang machte Bremen am 24. Mai mit rund 200 Demoteilnehmer:innen. Bei einer Kundgebung auf dem Kölner Heumarkt sah es tags drauf nicht besser aus. Auch in Hamburg erschienen am 1. Juni nur 300 Demonstrierende, einzig in Berlin gelang es am selben Tag, nochmals eine vierstellige Zahl an Protestierenden auf die Straße zu locken. In München versammelten sich hingegen am 18. Juni zum Abschluss des bayerischen Bildungsprotests, für den eigens ein mannsgroßer, rund 1000 Euro teurer Gummiball als Hingucker angefertigt wurde, gerade mal 50 Menschen.

 

Die von Bildungswende-Sprecher Philipp Dehne für 2024 anvisierte Zielmarke von 50.000 Demoteilnehmer:innen wurde so weit verfehlt – am Ende ließ sich bundesweit kaum ein Zehntel mobilisieren. Die Medien berichteten kaum über einen Protest, der 100 Milliarden Euro für die Bildung fordert, aber dafür oft kaum 100 Leute in Gang setzen konnte.

  

Um das Scheitern der Bildungswende zu verstehen, hilft ein Blick auf die Entstehung des Protestbündnisses. Seine Ursprünge liegen in Berlin, wo sich 2021 im Umfeld von GEW und Linkspartei die Kampagne "Schule Muss Anders" (SMA) formierte. Von Beginn an verband SMA die Kritik an Missständen im Berliner Schulsystem mit weitreichenden Reformideen. Sie kam damit zu lokal beachteten Mobilisierungserfolgen.

 

2023 wollte sich diese Kampagne auf das Bundesgebiet ausweiten. Zu diesem Zweck holte sich SMA-Steuermann Philipp Dehne zwei neue Bündnispartner ins Boot: Den Hennefer Oberstudienrat Stefan Schoo als Vertreter der "Teachers for Future" und den Mainzer Elternvertreter Markus Sänger. Dieses Triumvirat tüftelte den im Juni 2023 veröffentlichen Gründungsappell als Programmschrift aus.

 

Festgezurrte Programmatik, eingehegte Debattenkultur 

So aufgestellt gelang es dem Aktionsbündnis vor dem Protesttag im September vergangenen Jahres einigen Support zu generieren: Fast 200 Unterstützergruppen und -verbände unterzeichneten den Appell, darunter auch Fridays for Future, Greenpeace und der Bundeselternrat.

 

Bald zeigte sich allerdings, dass es nicht überall nach Plan für das Initiatorentrio lief. Einige neue Mitunterstützer:innen brachten eine Erweiterung und Konkretisierung des Forderungskatalogs sowie eine Fokussierung auf das Thema Inklusion ins Spiel. Zur Enttäuschung der Bildungswende-Neulinge wurden solche Vorschläge aber hinhaltend bis ablehnend beschieden. In internen Online-Diskussionen gelang es Dehne, Sänger und Schoo, sich mit ihrer Ansicht durchzusetzen, dass die Leitforderungen des Gründungsappells keinesfalls abgeändert werden dürften.

 

Ebenso behielt das Trio dank eines stets präsenten gewerkschaftsnahen Support-Blocks bei Debatten über eine Erweiterung der Mitbestimmungsmöglichkeiten die Oberhand. Auch dieses Ansinnen konnte so erfolgreich abgeblockt werden. Und im Zuge der Etablierung einer neuen "Chatiquette" für die Umgangsformen in den internen Telegram-Kanälen wurden dort auch gleich noch die Diskussionsmöglichkeiten eingeschränkt.

 

Danach kehrte in den internen Foren des Bündnisses zwar die ersehnte Beruhigung ein. Zugleich war aber gegen Jahresende 2023 auch eine Abkühlung des Engagements zu spüren. Offenbar empfanden manche die neuen, straffen Kommunikationsregeln eher als einen undemokratischen Zensurversuch.

 

Der Zoff um die 100.000 Euro-Frage 

Für Unmut sorgte bei einigen Aktivist:innen schließlich auch der Umgang des Leitungsteams mit Fragen nach finanzieller Transparenz – nicht zuletzt auch deshalb, weil verstärkt 

Spendenaufrufe für das Bündnis lanciert wurden. Im Raum stand die Frage über die Verwendung von insgesamt rund 100.000 Euro gewährten Fördergeldern von drei Stiftungen für "Schule Muss Anders".

 

Statt hier klare Auskünfte zu geben, wurden Fragesteller abgebügelt und der Autor dieses Textes auf Betreiben des Leitungsteams kurzerhand aus der Bildungswende ausgeschlossen. Gegen einen Bericht des Berliner Tagesspiegels vom 4. Februar über diesen formal ebenso umstrittenen wie erstaunlichen Vorgang versuchte Dehne auf juristischem Wege vorzugehen – bislang ohne Erfolg.

  

Die Verwendung der 100.000 Euro Stiftungsfördergelder für SMA ist dabei noch nicht alles, was bei den Bildungswende-Finanzen im Dunkeln geblieben ist. Denn mehr noch als Stiftungen sind es die Gewerkschaften, vor allem die GEW, die das Aktionsbündnis mit Arbeitszeit ihrer hauptamtlichen Kräfte, materiellem Support und auch Geld unterstützen.

 

Doch auch hier wurde Transparenz kleingeschrieben. Nach mehrmaligen Nachfragen präsentierte Dehne zwar im Dezember eine grobe Übersicht zu den Kosten des Protesttages 2023, führte aber lediglich 11.000 Euro an GEW-Geldern an. Eigentlich floss jedoch deutlich mehr aus Gewerkschaftskassen an das Aktionsbündnis, weil GEW und ver.di die Kundgebungen oft mitorganisierten und dann häufig auch Teile der Kosten übernahmen.

 

Allerdings sind Berichten zufolge die großzügigen Finanzspritzen für die Bildungsprotestorganisation inzwischen in der Berliner GEW auf Widerspruch gestoßen. Die Kritik daran trug mit zu dem wachsenden Unmut bei, der Landes-GEW-Chef Tom Erdmann in der vorvergangene Woche schließlich veranlasste, seinen Hut zu nehmen. In einer so genannten Abhöraffäre war laut Tagesspiegel erwiesen, dass dieser den von einem anderen Gewerkschafter illegal angefertigten Ton-Mitschnitt aus einer GEW-internen Sitzung nicht nur gespeichert, sondern auch weitergegeben hatte.

 

Folgenreiches Scheitern? Die Bildungsreform kann aber nicht mehr warten! 

Auf das Angebot, in diesem Artikel Stellung zu all den genannten Sachverhalten zu nehmen, reagierte Dehne nicht. So bleibt die Schlussfolgerung: Eine vorab festgezurrte Programmatik, Defizite in der Diskussionskultur, Intransparenz bei den Finanzen – dieses Konfliktgemisch hat offenbar dazu geführt, dass sich ein Großteil der zunächst aktiv gewordenen Mitstreiter:innen nach und nach von der Bildungswende wieder abgewendet hat. Das von Dehne und seinen Verbündeten ersonnene Konzept einer scheinbar offenen Mitmachstruktur, bei der es eigentlich nur um die Akquise von planmäßigem Protestsupport ging, hatte nur ein einmaliges Demostrohfeuer entfacht.

 

Für eine nachhaltige Struktur fehlte es an Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung beim Aufbau einer sich programmatisch weiterentwickelnden Bildungsbewegung, die gesellschaftlich viel breiter hätte aufgestellt werden müssen. Die Zahl von fast 200 Unterstützergruppen des Bildungswende-Appells täuschte darüber hinweg, dass viele bekannte Persönlichkeiten oder wichtige Player wie etwa die Lehrerverbände außerhalb des DGB von vornherein nicht einbezogen waren. Das ist zum Beispiel bei dem von großen Stiftungen im vergangenen Jahr mitinitiierten Appell "Neustart Bildung jetzt" anders, der sich für einen breit angelegten, die Transformation des Schulsystems initiierenden "Bildungsdialog für Deutschland" einsetzt. 

 

Der Niedergang der Bildungswende ist aber mehr als der Misserfolg einer linksgewerkschaftlichen Initiative. Dass der im vergangenen Herbst noch verheißungsvoll wirkende Protestaufbruch scheiterte, ist eine vergeben Chance. Denn engagierte Eltern, Lehrkräfte, Erzieher:innen oder Schüler:innen werden dringend als Korrektiv für die staatliche KMK-Politik gebraucht. Zwar gibt es mittlerweile eine große Zahl an Reforminitiativen im Bildungsbereich. Es fehlt aber an einer schlagkräftigen Bündelung dieser Kräfte, um sich bei der Politik Gehör zu verschaffen.

 

Ohne politisch-gesellschaftlichen Druck auf der Straße droht in der deutschen Bildungspolitik nun wieder die Fortsetzung des altbekannten krisenhaften Weiterwurstelns. Das können wir uns angesichts der immer desolater werdenden Zustände an unseren Schulen und Kitas nicht mehr leisten. Eltern und Bildungsbeschäftigte sollten deshalb in einem neuen Protestanlauf alle demokratischen Parteien und gesellschaftlichen Kräfte gemeinsam adressieren, damit die überfällige grundlegende Bildungsreform endlich in einem lagerübergreifenden Konsens angepackt wird.

 

Stefan Hemler ist Historiker und Studienrat in München. Bis Anfang des Jahres war er selbst in dem Bündnis "Bildungswende jetzt" aktiv.

 

Der Artikel erschien zuerst bei https://www.jmwiarda.de/https-www.jmwiarda.de-2024-07-18-bildungswende-am-ende/.


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