Die Lehren aus dem Fall Varta werden mal wieder keine sein

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦    

KOMMENTAR

 

Der Fall Varta könnte ganze Lehrbücher füllen: Innovations- und Technologiemanagement, strategisches Management, Geschäftsmodellentwicklung, Disruptionen, Wirkung von Meinungsblasen an Kapitalmärkten, Funktion von Leeverkäufern, Hedgefonds, staatliche Industriepolitik, Globalisierung, Plattformökonomie – und leider auch die Grenzen ordoliberaler Grundsätze.

 

Ich versuche es kurz: Varta hat eine sehr gute Nischentechnologie. Batterien, die sehr schnell Energie aufnehmen und abgeben können, dabei vergleichsweise kompakt sind, aber leider auch teuer. Für kleine Stöpsel im Ohr klasse, da sind die Mehrkosten ökonomisch kein Problem. Also kommt Apple auf die Idee, so etwas spezifisch vom Spezialisten Varta bauen zu lassen. Man wird Zulieferer dieses Ökosystems, die Kurse steigen, neue Fabriken werden gebaut. Wer Apple kennt, weiß aber, wie Apple auf exklusive Zulieferer reagiert. Manche werden gekauft, manche erleben, dass Apple die Komponenten selbst macht, viele erleben Wettbewerber, die dasselbe liefern. Leider sind die Zeiten vorbei, in denen deutsche Ingenieure technologische Exzellenz hatten wie kein anderer. Also erlebt Varta letzteres, es gibt auch andere, die Apple beliefern. Zudem hat auch Apple gelegentlich Produkte, die nicht einfach einen Hype nach dem anderen erreichen.

 

Kann passieren. Kann man auch nicht verhindern. Man sollte aber nicht überrascht sein und „plötzlich“ ganz viele Schulden – korrekt, die können auch schlecht sein – in den Büchern haben, für Fabriken, die sogar noch im Bau sind, aber schon gar nicht mehr gebraucht werden. Ebenso sollte man nicht überrascht sein, wenn ein Geschäftsmodell in der Nische „plötzlich“ eng wird, sobald der einzige Kunde zugleich andere Lieferanten findet und weniger Bedarf hat. Klüger wäre es schon, in so eine Nische nur durch eine Absicherung über den einzigen Kunden zu investieren – und natürlich mindestens mal weitere Nischen mit der technologischen Kompetenz aufzubauen.

 

Das wäre vielleicht im Segment der E-Autos denkbar gewesen? Leider ist das nicht der Fall. Wenn man den Varta-Leuten richtig zuhörte, war bereits früh klar, dass deren Technologie die Spezifikationen von E-Autos gar nicht bedienen kann. Mit einer kleinen Ausnahme: Sogenannte Booster-Batterien, die in Verbrennern sehr kurz Überschussenergie beispielsweise beim Bremsen aufnehmen, um dann bei der Beschleunigung noch mehr Leistung über einen elektrischen Zusatzantrieb zu bieten. DRS nennt man das in der Formel1.

 

Porsche will so was haben, die 911er-Verbrenner „only“ sind sonst zu lahm. Daher war der lange als „Geheimnis“ an der Börse gehandelte große Autokunde Porsche – nur mit E-Autos hatte das nie etwas zu tun und so ganz fürchterlich riesig ist der „Booster-Markt“ leider auch nicht.

 

Ob da die Techniker dem Management zu viel versprochen haben oder – was häufiger passiert – die nicht gut genug miteinander reden, ob man – passiert leider auch oft – bei den Trendanalysen in den Märkten nicht richtig hingesehen hat, ob die das alles gar wussten und versuchten, von Fördermitteln bis zu Börsenkapital einfach noch den einen oder anderen Schluck zu nehmen, es wäre anmaßend, das von außen zu beurteilen. Nur das Ergebnis ist mal wieder klar: Eine sicher existierende, aber nicht markrelevante Technologie mehr, die „plötzlich“ feststellt, dass es dafür weder einen Markt, noch ein funktionierendes Geschäftsmodell gibt.

 

Leider war aber auch von außen zumindest zu erkennen, dass die angeblichen Erfolgsgeschichten, für die man Varta mit Fördermitteln bedachte und die Aktie zum Kauf empfahl, nicht kommen werden. Vielleicht hatten und haben die tief im Forschungsbereich noch ganz viel Potenzial, aber das, was der Förderpolitik und auch vielen Geldanlegern als Potenzial verkauft wurde, war als Luftnummer recht einfach erkennbar. Das war einigen Leerverkäufer bekanntlich ebenfalls aufgefallen. Leider sind das so Leute, die manchmal nur haltlose Gerüchte in die Welt setzen und daran trotzdem verdienen. Aber man darf deren Begründungen als Börsenanalyst oder Förderpolitiker mindestens mal zur Kenntnis nehmen – und vorliegend waren die gut. Aber die Meinungsblase, Varta sei der kommende Profiteur der E-Mobilität war stärker, was bei einem nicht so großen Wert dann doch die Kurse treiben kann.

 

Profitiert haben letztlich nur die Leerverkäufer. Jetzt wird das Scherbengericht sehr wahrscheinlich alle Aktionäre enteignen und auch die meisten Kreditgeber dürften bluten. Aber auch so etwas wird wieder Gewinner erzeugen. So haben Hedge-Fonds Varta-Kredite mit erheblichen Abschlägen aufgekauft. Ein ehemaliger Großaktionär und der mögliche Kunde Porsche kommen hinzu. Die könnten nun nach der Enteignung der Altaktionäre etwas frisches Kapital zuschießen und Varta weiter führen. Die Hedge-Fonds dürften danach eine Zerschlagung vor haben, also den Verkauf von Vermögenswerten, um dadurch ihre billig aufgekauften Kredite zu bedienen. Die anderen werden das Unternehmen fortsetzen wollen, so billig kommt man vermutlich nie wieder an diese Technologie, der Einstiegspreis dürfte für den „Booster-Markt“ genügen und so manchem fußlahmen 911er dann endlich mal genug Wumms verleihen.

 

Die FAZ beschreibt das alles ganz gut, wobei man die Sache mit den Disruptionen, Technologien und Strategien weniger beleuchtet, als sich über Förderpolitiker lustig zu machen. Natürlich nicht zu Unrecht, denn die Mittelvergabe darf man in dem Fall als gescheitert festhalten und leider kann ich mich dem Urteil nur anschließen, dass es auch mit der Bewertungskompetenz von solchen Förderkandidaten zu tun hat. Das weit tiefere Problem offenbart dann aber die FAZ selbst. Denn der Artikel und der – welch eine Überraschung – ordoliberale Grundsatzkommentar von Heike Göbel kommt zu dem oft zu lesenden Schluss: Der Staat kann es nicht, Förderungen sind Geldverschwendung, staatliche Industriepolitik funktioniert nicht. Interessant ist, dass die Autorin sich für Steuererleichterungen einsetzt, damit der Privatsektor so was zukünftig tut, weil der es besser kann. Was ja nun vorliegend nicht so ganz deutlich geworden ist. Aber schon klar, Schumpeter et al., der Privatsektor kann es nur durch Auslese, irgendeiner findet sich, der es kann, alle anderen verschwinden. Kann man so machen, was generelle Steuererleichterungen daran verbessern sollen, bleibt aber unklar und zudem – da war doch noch was? Ach ja, wir lesen von derselben Autorin so oft sich die Gelegenheit ergibt, wie sehr sie sich genauso ordoliberal grundsätzlich für die Schuldenbremse ausspricht.

 

Spannend: Wachstum ohne Schulden, Steuersenkungen ohne Schulden, Innovation ohne Schulden und vor allem alles ohne Staat, denn der kann es nicht, Industriepolitik funktioniert nicht, Subventionen sind Geldverschwendung. Alles nichts, alles lassen, aus nichts wird dann alles besser. Leider stehen da aber viele falsche Behauptungen drin, denn: China zeigt sogar eindrucksvoll, dass Förderungen und strategische staatliche Industriepolitik hervorragend funktionieren. Das hätten sich die vielen Entscheider von Varta über Förderpolitiker bis zu Börsenanalysten besser mal ganz genau angesehen und auch Frau Göbel wäre an der Stelle eine Lernkurve zu empfehlen, dann müsste man aggregiert über alle ihre Kommentare nicht die These lesen, dass aus nichts ganz viel werden kann.

 

Die Amerikaner haben sich das angesehen. Die machen nun dasselbe, aber mit einem anderen Modell: Sie fördern über – gezielte! – Steueranreize, lassen also das Göbel-Modell laufen, treffen dabei aber industriepolitisch die Auswahl. Die Durchführung liegt wie bei den Chinesen bei privaten Unternehmen, keiner hat was dagegen, auch wenn so gerne über Staatswirtschaft geschrieben wird. Die Amerikaner haben aber anders als Frau Göbel erkannt, dass man dafür natürlich Schulden aufnehmen muss. Für manche in unserer Ökonomie gelten sie deshalb schon jetzt als Pleitestaat. Sollten wir also auch: Lassen.

 

Nun könnte man daraus wenigstens die relevanten Fragen ableiten: Wie macht man eine kluge Industriepolitik, wie schafft man es, dass dabei kompetente Leute Entscheidungen treffen, wie finanziert man das, welche Höhe ist dafür angemessen, wie bewerten wir das – und solches Zeugs halt. Irgendwas lösungsorientiertes, modernes, mit Zukunft befasstes. Aber nein, schreibt man das, wird man beschimpft, man wolle nur Geld raus werfen, den kommenden Generationen Schulden hinterlassen, Geld werde ohnehin immer sinnlos ausgegeben, man sollte das: Lassen.

 

So wird aus dem Fall Varta, der eigentlich in allen Bereichen so viele Lernansätze bietet, von der strategischen Unternehmensführung über die Unterstützung durch moderne Kapitalmärkte bis zur strategischen Staatsführung, die endlich diese aus der Zeit gefallene ordoliberale Blumenwiese mit dem Staat in der Rolle des Platzwarts mal überwindet, doch wieder ein Fall mehr, aus dem man glaubt zu lernen: Wir lassen das alles mal, dann wird es bestimmt besser.


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