DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Die Löschung von Inhalten und das Sperren von Profilen wird oft staatlichen Eingriffen zugeordnet. Auch das gehört zu den vielen ganz bewusst erzeugten falschen Narrativen über Medienregulierung, um diese als Zensur zu diffamieren. Die Diskussionen zu meinen beiden letzten Beiträgen zeigen, dass teilweise sogar Juristen diesbezüglich nicht wirklich sattelfest sind.
Die digitalen Plattformen und insbesondere die Sozialen Medien waren lange Zeit überhaupt nicht als Medien reguliert, sondern als technische Dienste, die keine eignen Inhalte verantworten, sondern nur deren Bereitstellung und Übermittlung. Hier galt und gilt natürlich trotzdem der allgemeine Rechtsrahmen, der diesen Diensten eine Mitwirkungspflicht auferlegt, sobald es um rechtswidrige Inhalte geht: Hass, Hetze, Kinderpornografie, Beleidigungen, üble Nachrede, falsche Tatsachenbehauptungen, die Rechte Dritter schädigen etc. Diese Inhalte sind zu löschen und es ist teilweise proaktiv deren Weiterverbreitung zu verhindern. Dazu bedarf es aber eines Klägers, der die Rechtswidrigkeit anzeigt und auch durchsetzt, oft haben das letztlich Gerichte zu entscheiden. Das kann also die Löschung singulärer und nachweislich rechtswidriger Inhalte zur Folge haben. Eine Profilsperre ist damit nicht verbunden.
Zu den Fehlentwicklungen der Sozialen Medien zählen aber ein nie gekannter Umfang an rechtswidrigen Inhalten sowie die Möglichkeit, Desinformationen, Fakenews, ganze Lügengebilde zu verbreiten. Das hat seitens der meisten Plattformen dazu geführt, dass diese freiwillig im Rahmen ihrer Nutzungsbedingungen „Regeln“ für Löschungen und Sperren eingeführt haben. Von staatlicher Seite gibt es dergleichen: Nicht!
Das genaue Gegenteil ist sogar richtig. Die Landesmedienanstalten, denen eine wesentliche Rolle bei der Kontrolle/Überwachung des Mediensektors in Deutschland soweit nicht rechtswidrige Inhalte betreffend zukommt, haben diverse Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, in der interdisziplinäre Wissenschaftler – daher „darf“ ich als Nicht-Jurist dazu sogar Lehraufträge wahrnehmen – zu sehr differenzierten Ergebnissen kamen. Demnach sind die Sozialen Medien sehr wohl in vielen Fragen als Fortschritt für die Rechte und Pflichten(!) von Artikel 5 Grundgesetz zu bewerten. Sie haben nämlich die Vielfalt der Inhalte, die Hürden zu deren Verbreitung und die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Meinungsaustauschs erheblich verbessert. Die Gutachten kommen ausdrücklich zu dem Ergebnis, dass dieser Fortschritt NICHT einzuschränken ist und dass irgendwelche Konzepte zur Löschung von Inhalten mit dem Zensur-Verbot von Artikel 5 nicht vereinbar sind.
Zugleich kommen diese Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Art und Weise sowie die im Ergebnis festzustellenden Echokammern in den Sozialen Medien NICHT mit Artikel 5 vereinbar sind. Aus diesem ist nämlich abzuleiten, dass es nicht nur das Recht auf freie Meinungsäußerung gibt, sondern dass dessen essentielle „Schwester“ eine Vielfalt des Angebots sein muss. Es ist daher seitens des Staats aktiv zu verhindern, dass nur wenige Anbieter von Inhalten so etwas wie Meinungsbildungsmonopole erreichen. Für die regulierten Medien wurde dazu die KEK (Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich) geschaffen, die gemeinsam mit den Landesmedienanstalten den sogenannten Medienvielfaltsmonitor erhebt. Dieser überwacht den vollständigen deutschen Mediensektor, Fernsehen, Print, Radio, Online. Es werden alle Reichweiten zu einem differenzierten Meinungsbildungspotenzial zusammen gerechnet und mit den Besitzverhältnissen der entsprechenden Angebote zu einem aggregierten Meinungsbildungspotenzial zusammengeführt. Wie komplex das ist, kann am Beispiel KKR/Springen im beigefügten Chart nachvollzogen werden.
Ich kann jedem nur empfehlen, die Webseiten dieser Institutionen mindestens einmal jährlich zu verfolgen, denn die dort zusammengetragenen Daten sowie insbesondere die Jahresberichte sind zur Bewertung unserer gesellschaftlich/politischen Meinungsbildungsprozesse essentiell, das sollte schlicht jeder wissen. Was aus diesen Berichten bereits seit 2015 hervor geht, ist der Trend, dass die im Vielfaltsmonitor erfassten Angebote gegenüber den Sozialen Medien zunehmend an Bedeutung verlieren. Daher kamen ab 2018 die wissenschaftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Echokammern auf den Plattformen ein zentrales Problem sind, denn diese hebeln ganz offensichtlich die gebotene Vielfalt der Angebote aus.
Daher wurde 2020 erstmals im Medienstaatsvertrag der Bereich der Sozialen Medien erfasst, die seitdem als „Medienintermediäre“ reguliert sind. Diese Angebote und deren Wirkung sind im Vielfaltsmonitor bisher NICHT enthalten und daher muss man leider feststellen: Der Vielfaltsmonitor bildet die tatsächlichen Meinungsbildungsprozesse inzwischen nicht mehr ab, er ist leider aus der Zeit gefallen bzw. grob unvollständig. Als Teilbild für unsere etablierten Medien ist er immer noch von Rang und zeigt zudem, dass in diesem Segment die gesetzlichen Aufsichts- und Überwachungsfunktionen intakt sind.
Diese sollen seit 2020 nun also auf die Plattformen erweitert werden. Auch dazu wird unfassbar viel Unfug verbreitet, denn die gesetzlichen Regelungen sollten eigentlich Konsens sein. Der Gesetzgeber schreibt zwei wesentliche Konzepte vor: Transparenz und ein Diskriminierungsverbot. Es soll also für jeden Nutzer von Plattformen transparent erkennbar sein, was er zu sehen bekommt und warum das so ist. Ferner darf eine Plattform keinen Anbieter von Inhalten diskriminieren. Das Konzept sieht insgesamt also vor, mündige Nutzer von Plattformen in die Lage zu versetzen, mindestens zu verstehen, welche Selektion/Filterung von Inhalten sie sehen. Zugleich können Anbieter von Inhalten aktiv werden, wenn sie von Plattformen gefiltert oder benachteiligt werden. Die Landesmedienanstalten haben an der Stelle sogar eine aktive Überwachungsfunktion erhalten.
Es geht hier also unstrittig um das genaue Gegenteil von Löschungen und Sperren oder gar Zensur. Es soll vielmehr das Vielfaltsgebot aus Artikel 5 gegen Echokammern und Algorithmen von Plattformen durchgesetzt werden. Es geht nicht um Unterdrückung von Inhalten, sondern um deren Vielfalt. Leider hat dieses Gesetz bisher keine erkennbare Wirkung entfaltet. Aus meiner persönlichen Sicht greift das Transparenzgebot zu kurz, es müsste ergänzt werden um ein aktives Recht der Nutzer, in die Selektion durch die Algorithmen eingreifen zu können. Das Diskriminierungsverbot, welches anbieterseits die Vielfalt durchsetzen soll, ist offensichtlich eine gute Idee, die praktisch nicht handhabbar erscheint. Es hat kaum Einsprüche von Anbietern gegeben, die Landesmedienanstalten sind in keinem Fall tätig geworden. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass man den Plattformen Auflagen machen sollte, die gebotene Vielfalt der Inhalte nachzuweisen, statt umgekehrt Anbietern den Nachweis aufzuerlegen, dass die Algorithmen der Plattformen sie diskriminieren, indem sie methodisch herunter abgestuft werden. Dabei passiert das beispielsweise explizit mit allen Inhalten, die externe Links umfassen sowie bei der Bewertung der „Click-Attraktivität“ von Headlines sowie Bildern. Das wiederum fördert seitens der Inhalteanbieter, dergleichen zu produzieren – eine qualitative Abwärtsspirale.
Das sind aber nur einige grobe Überlegungen, die zu dem Vorschlag passt, aus den Landesmedienanstalten eine regierungsferne unabhängige Instanz zu bilden, die dann auch professioneller auszustatten wäre, um insbesondere mit den Plattformen über die Aufbrechung von Echokammern zu „verhandeln“ sowie Ideen zur Verbesserung der Regulierung weiter zu entwickeln. Das ist nämliche eine klare Erkenntnis: Es handelt sich um einen sehr dynamischen Prozess, der sich durch KI-generierte Inhalte sogar weiter beschleunigen wird. Damit durch Medienregulierung umzugehen, die sich in Dekaden weiter entwickelt, kann nicht gut gehen.
Das ändert aber alles nichts an den wesentlichen Grundlagen: Artikel 5 setzt voraus, dass mündige Bürger und Bürgerinnen mit der Meinungsfreiheit politisch/gesellschaftlich sinnvoll umgehen, wozu eine möglichst breite Meinungsbildung aus einer sicherzustellenden Angebotsvielfalt zählt. Wenn unsere Gesellschaft das nicht leistet, wird Artikel 5 scheitern. Wir sind auf dem Weg dahin, denn die „Meinungsdiktatur“ ist längst ins Werk gesetzt und viele, die in Ihren Echokammern davon reden, leisten genau der sogar Vorschub.
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