Der „Steuerrabatt für Ausländer“ ist ein weiterer Beleg für die verlorene Lösungskompetenz auf allen Ebenen

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Wie kaputt unsere Fähigkeit ist, über öffentlichen Diskurs als Demokratie zu Lösungen zu kommen, kann bedauerlich präzise und umfassend an dem Vorschlag eines „Steuerrabatts für Ausländer“ festgestellt werden. Bereits diese Begrifflichkeit ist kaputt, aber wie das „Verbrennerverbot“ wird sie sich durchsetzen.

 

Den Sachverhalt kann ich aus zwei Bereichen, in denen ich unternehmerisch tätig bin, leicht erklären. Da ist einerseits ein Hightech-Unternehmen, das Spezialisten für Sensortechnologien, Drohnen und KI-basierte Steuerungssysteme braucht. Die gibt es in Deutschland nicht, das wird hier teilweise nicht mal gelehrt. Wir beschäftigen 16 Nationen und rekrutieren global. Dabei ist es komplett normal, dass indische KI-Experten mit einer US-Nettolohnberechnung anfragen, ob wir dasselbe zahlen. Ein anderes Beispiel ist ein Gesundheitsdienstleister, der kaum mehr als den Mindestlohn zahlen kann, weil viele Gesundheitsleistungen für deutsche Menschen „geringfügig“ schlechter bezahlt werden als Reparaturdienstleistungen für deutsches Blech. Da fragen gut ausgebildete vietnamesische Pflegekräfte, in ihrer Heimat leider auch zur finanziellen Unterschicht zählend, ob mit dem Lohn in Deutschland zu leben ist und gar eine Familie gegründet werden kann. Dieselbe Frage hat die deutsche Pflegekraft bereits für sich beantwortet, weshalb es die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gibt.

 

Was hier also „Steuerrabatt für Ausländer“ genannt wird, ist erstens eine lange gestellte Forderung der Wirtschaft und wirkt ökonomisch unmittelbar als Entlastung für Unternehmen, die global rekrutieren müssen, um überhaupt zu funktionieren. Davon landet genau gar nichts „in den Taschen von Ausländern“. Aber solche realen ökonomischen Wirkungsketten sind für die meisten mal wieder zu kompliziert.

 

Ebenso ist von deutschen Sonderwegen und irgendwelchen Gleichbehandlungsgrundsätzen zu reden, deren Missbrauch in der Tat eine deutsche Besonderheit ist. Leider wird dergleichen, also gezielte Steuervorteile, im globalen Wettbewerb aber üblicherweise angeboten. Das gilt für große Vermögen bei Vermögen- und Erbschaftsteuer, für große Einkommen, bei der Einkommensteuer, für große Unternehmen bei der Gewinnbesteuerung, tja und so eben auch für ausländische Fachkräfte, die man gezielt braucht und zum eigenen Wettbewerbsvorteil deshalb mit geringeren Steuersätzen anlockt.

 

Das kann man natürlich mit deutschen Gleichbehandlungsgrundätzen oder ordnungspolitischem Denken alles ganz ganz schlecht finden – ich hatte kürzlich berichtet, was man diesbezüglich so alles beklagen kann – aber es ist methodisch begrenzt, alles Mögliche auf dem Planeten einfach nur doof zu finden und zugleich zu fordern, man müsse jetzt aber endlich mal wettbewerbsfähig werden.

 

Nun hat der Finanzminister Lindner diesen Vorschlag einer – zudem befristeten – anteiligen Steuerminderung für sehr eng definierte Rekrutierungszwecke ausländischer Fachkräfte in den Verhandlungen der Ampel zum Haushalt durchgesetzt. Da kann man ihm allenfalls den Vorwurf machen, politisch/taktisch einen mehr als ungeschickten Zeitpunkt zu wählen. Warum diese Maßnahme ausgerechnet jetzt auf die Mühlen der AfD gegeben werden muss, wäre tatsächlich zu hinterfragen. Öffentlich äußert der Finanzminister sich zu seinem eigenen Verhandlungserfolg nicht, dieses Talent hat er. Der Wirtschaftsminister Habeck handhabt das anders. Man darf seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zur Kenntnis nehmen, er setzt sich öffentlich für den Vorschlag Lindners ein. Ein strategisch/taktisches Talent beweist er damit leider nicht. Der Kanzler als Führungsfigur begründet seinem Volke die Maßnahme mit irgendwelchen Sachargumenten, so hören wir von ihm, die fraglichen Fachkräfte hätten dafür ja hohe Umzugskosten. Von Bombay nach München ist demnach teurer als von Altona nach Hamburg Zentrum, na denn, schön, dass unser Kanzler so global denkt und seinem Volk die eigenen Ideen so kraftvoll vermittelt.

 

Nach dieser Steilvorlage der Ampelführung geht das Theater weiter. In der politisch direkt folgenden Ebene scheitert die Frage, ob es so etwas wie eine Staatsführung derzeit gibt, bereits komplett. Der Arbeitsminister findet das öffentlich nämlich ganz ganz schlecht. Die Regierung selbst kann es also mal wieder nicht durchhalten, einen Beschluss als solchen zu behandeln. Grüne, SPD, DGB, aus allen Lagern, Stimmen, die das ganz ganz schlecht finden. Begründungen in der Regel: Real keine. Aus der Opposition folgen die inzwischen gelernten und gähnend langweiligen Populismusreflexe, Dobrindt, Fachkraft für derartiges, findet den Begriff des „Inländer-Benachteiligungsprogramms“.

 

Darauf folgen die weiteren Ebenen der medialen Kakophonie. Die WELT macht gleich zwei Aufschläge, in einem wird sogar Lindner abgebildet und die These entwickelt, man solle den ukrainischen Flüchtlingen weniger Bürgergeld zahlen, um den Fachkräftemangel zu beheben. Ein paralleler Beitrag behauptet, Habeck wolle mit dieser „Inländer-Diskriminierung“ die „große Fachkräftelücke“ schließen. Das liegt hinter einer Bezahlschranke, nennt sich also „+“, ist aber eine Agentur-Meldung, die man ohne ‚+“ bei Zeit-Online komplett lesen kann. Immerhin schreibt die Zeit dazu, dass es eine ungeprüfte Agentur-Meldung ist, zu deren Veröffentlichungsbedarf man aber nichts erfährt. Besagter Meldung zufolge sagt Habeck übrigens, man solle das doch mal versuchen, er finde die Idee, die ja nicht seine ist, was er aber nicht dazu sagt, weil er mal wieder von einer sauberen Informationslage der anderen ausgeht, nicht so schlecht, wie sie gemacht werde. So viel dann zur „+“ bei der WELT.

 

In der FAZ findet sich dazu ein weiterer ordoliberaler Kommentar von Frau Göbel, der ausnahmsweise sehr originell ist, denn wie sehr sie selbst dabei ordoliberalen Grundsätzen und oft von ihr selbst vertretenen Forderungen nach diversen Standort- und Wettbewerbsverbesserungen auf die Füße tritt, um unbemerkt eine ganz profane Neiddebatte mehr zu formulieren, ist sogar ein Stück Unterhaltung. Der „Chefökonomist“ der WiWo, Fischer, formuliert auf seinem LinkedIn-Kanal für sein abgedumpftes Publikum einen Kommentar, in dem er natürlich Habeck zeigt und behauptet, das ganze sei nicht nur verfassungswidrig, sondern es werde den „deutschen Ingenieur“ stören, wenn sein „ausländischer Kollege“ 30% weniger versteuern muss, was neben hoch juristischen Kompetenzen schon eine gewisse Störung bei den Fähigkeiten in basaler Prozentrechnung belegt. Weiter fabuliert Fischer, der sich ansonsten laut für die Schuldenbremse einsetzt, der Staat solle besser gleich für alle die Steuern senken. Letztlich auch eine dumme Neiddebatte mehr, natürlich mit vielen Appellen an ordnungspolitisch saubere Haushaltspolitik, Standortqualität und sonstiges Blabla.

 

Wie das ganze dann gänzlich erfolgreich in AfD-Echokammern gespielt wird, muss ich hier vermutlich nicht dokumentieren?

 

Ich finde globalen Steuerwettbewerb mit allen Facetten an Asymmetrien, vom Lohn-und Sozialdumping bis zur Verteilung von immer mehr Vergünstigungen als Abwärtsspirale übrigens auch doof. Diese Idee zum jetzigen Zeitpunkt ist besonders doof, da sie rechte Giftspritzen mehr lädt als sie bringt. Ich habe nur keinen Ausgang aus dem Spiel gefunden und so lange ich es spiele, als Unternehmer in diesem Land, würde ich gerne etwas Unterstützung bekommen, weiter zu spielen. Selbst, wenn ich die nicht bekomme, würde ich mich wohler fühlen, wenn wenigsten öffentlich verstanden wird, worum es ganz grundsätzlich so geht. Besonders kotzt es mich an, wenn irgendwelche Typen glauben, sie würden irgendwas über „die Wirtschaft“ und „deren Interessen“ schreiben – und dabei nur bunte Knete zustande bringen.


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