Exponentielle Prozesse und lineares Denken sind die Verbrenner der Zukunftsplanung

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Ich hatte und habe oft damit zu tun, Leuten den Umgang mit exponentiellen Trends zu vermitteln. Oft höre ich, man betrachte neue Entwicklungen erst, wenn sie irgendeine real messbare Relevanzschwelle erreichen. Das kann ein Marktanteil für eine neue Technologie sein oder ein Milliardenumsatz, den ein neues Geschäftsmodell erst mal nachweisen muss. Das ist ein grober Fehler, denn exponentielle Trends haben verkürzt formuliert zwei Eigenschaften: Sie sind nämlich zuerst scheinbar sehr „träge“ und dann „explodieren“ sie plötzlich. Das ist aber nur unsere falsche Wahrnehmung, denn tatsächlich laufen diese Prozesse stets mit derselben Metrik. Wer irgendeine „Relevanz“ abwartet, fängt in der steilen „Explosion“ an, hinterher zu laufen. Das gelingt selten, es ist kein guter Plan, sich so zu verhalten.

 

Methodisch falsch ist es zudem, sich nach so einem „Relevanzbeweis“ die Daten eines exponentiellen Prozesses über mehrere Jahre der Vergangenheit anzuschauen und dann so etwas triviales wie simple Statistik aus der Schulmathematik anzuwenden. Da werden gerne Mittelwerte über irgendwelche absoluten Zahlen gebildet, die man dann mit 10 multipliziert, um zu behaupten, damit eine Prognose für Erwartungswerte in zehn Jahren vorzulegen. Das ist aber mathematisch eine vermutete lineare Fortsetzung und die ist vorsichtig formuliert „anders“ als eine exponentielle.

 

Der nächste Fehler ist, sich den Status quo einer Entwicklung anzuschauen, um zu planen, da möglichst schnell auch zu sein. Wer sich für’s hinterher laufen entschieden hat, sollte an der Stelle wenigstens erkennen, dass er keineswegs den Status quo von irgendwas bereits sehr weit enteiltem als Ziel setzen kann, denn sobald man da ist, sieht es in der Realität wieder ganz anders aus. Man muss schon so ehrlich sein, zu erkennen, dass es um den x-fachen Level des heute feststellbaren geht, um morgen dabei sein zu können.

 

Schöne Beispiele liefert die IEA mit ihren chronisch viel zu geringen Prognosen über die Energietransformation. Ein weiteres liefert eindrucksvoll der größte Batteriehersteller der Welt, CATL. Im Frühjahr 2023 kündigten die eine Batterie mit 500 Wh/kg an, was schlicht eine Verdopplung der Leistung des damaligen „Status quo“ bedeutet hätte. Was war alles zu lesen: Das müsse man mal abwarten, das sollen die erst mal zeigen, das werde bestimmt sehr teuer, ob das in größeren Mengen überhaupt möglich werde.

 

Jetzt wird sie eingeführt, ein Jahr später, diese Verdopplung des „Status quo“. Folgende Eckdaten: Herstellungskosten halbiert, Energiedichte verdoppelt, Garantie 15 Jahre oder 1,5 Millionen km, Ladezeit für 600km Reichweite 10 Minuten, würde die in gleicher Größe in E-Autos eingebaut, wären wir bei bis zu 2.000km Reichweite bei voll geladener Batterie. Die wird zuerst mal in Bussen sowie kleineren Flugzeugen eingesetzt. Wie das geht? CATL beschäftigt 21.000 Mitarbeiter alleine in Forschung und Entwicklung, in die jedes Jahr 2,5 Milliarden US$ investiert werden – unsere Ökonomen nennen so was „Kosten“ und unser Finanzminister würde die „sparen“ wollen.

 

Solchen Trends nähert man sich nicht, indem man sich daran abarbeitet, Verbrenner „technologieoffen“ politisch/gesellschaftlich zu subventionieren. Ich stimme übrigens zu, dass man die nicht verbieten sollte (was übrigens nicht passiert ist), denn es verbietet sich schlicht, auf die exponentiellen technologischen Megatrends mit so einer Technologie zu antworten.

 

Die Sache mit CATL hat übrigens einen kleinen Hoffnungsschimmer, denn diese Batterie ist doppelt so gut wie die aktuell beste Technologie der führenden E-Auto-Hersteller Tesla sowie BYD. Wenn CATL und vielleicht auch andere asiatische Batterie-Hersteller beispielsweise aus Südkorea so was als Zulieferer auf den Weltmärkten anbieten, könnte die Batteriekompetenz bei den Auto-Herstellern als relevante Komponente enden. Gut wäre das, dann bliebe „nur“ noch der Rückstand bei Software, IT und KI. Aber ich will die lineare Stimmung nicht endgültig verderben.

 

Dass man übrigens methodisch nicht mal so komplex mit solchen exponentiellen Trends sehr gut analytisch umgehen kann, zeigt beispielsweise Toni Seba. Der legt seit Jahrzehnten gerade zur Elektrifizierung exzellente Analysen vor, für die er sehr zuverlässig ausgelacht wird, obwohl die ebenso zuverlässig funktionieren. Was er zu E-Autos und deren Batterien vorlegte, stimmt bestens. Nun hat er das auf Stromspeicher im Netz übertragen und stellt die These auf, dass wir in nicht so ferner Zukunft keine Kraftwerke mehr brauchen und alle Investments in neue Kraftwerke ab 2025 Geldvernichtung sind.

 

Dafür wird er natürlich mal wieder ausgelacht. Ich kenne das ganz gut, denn ich werde auch seit nun fast 40 Jahren bei Digitalisierungsthemen ausgelacht, seit jetzt fünf Jahren bei Energiethemen. Wenn ich über Stromspeicher schreibe, kommen „Experten“ mit irgendwelchen Tabellen der Speicherkapazitäten, die in den letzten zehn Jahren gebaut wurden – übrigens in einer Zeit, in der man kaum Speicher brauchte, weil es Überkapazitäten an Kraftwerken gab. Es gibt wirklich kein Gebiet, in dem diese dummen Fehler einfach nur wiederholt werden.

 

Da ich eine viel kleinere Leuchte als Seba bin, ist das Gelächter bei mir deutlich leiser. Ich beneide ihn daher nicht, es muss für ihn noch anstrengender sein.


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