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Europa macht im Stromsektor ähnliche Fehler wie bei der Digitalisierung

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Schön, dass so oft über Strompreise gestritten wird. Noch schöner wäre, die würden verstanden. Ich lese eigentlich nur irgendwelche Empörungsforen, in denen Verivox-Haushaltstarife veröffentlicht werden und dann irgendwas über weltweit höchste Preise mit De-Industrialisierung sowie natürlich den üblichen Schuldigen, von Energiewende über abgeschaltete Atomkraftwerke bis zu einem Minister, der demnach universelle Macht haben muss. In anderen Foren kommen hingegen Jubelmeldungen mit Vergleichen zu Vorkrisenpreisen, die teilweise nicht mal die Krise richtig datieren. Wirklich zutreffend ist davon leider wenig bis gar nichts.

 

Die IEA hat im Rahmen eines ausführlichen Berichts zur globalen Energieproduktion ein kleines Kapitel über die Strompreise veröffentlicht, dem man zwar keine tieferen Details, aber gerade deswegen mit notwendigem Abstand die wesentlichen Wahrheiten entnehmen kann. Die in dem Vergleich jeweils genannten Länder haben eine ganz andere Bedeutung, hier geht es der IEA oft um technische Besonderheiten, daher fehlen einige und es sind teilweise kleinere aufgenommen, die man hier für eine globale Einordnung nicht braucht. Trotzdem kann man verkürzt folgende Bewertung ablesen, die ich kurz zusammenfasse.

 

Wer über Volkswirtschaft spricht, betrachtet zunächst die Großhandelspreise (Chart1) und sonst gar nichts. Was innerhalb einer Volkswirtschaft daraus an Endpreisen entsteht, ist natürlich sehr relevant, bewertet aber NULL die technischen Ursachen der Preise, sondern Energiepolitik, Steuerpolitik, Finanzierungsgrundlagen, lokale Anbieterstrukturen etc. Alles Themen, die wichtig sind, aber nicht zu verwechseln mit der Frage, wie Strom produziert wird und wie die Beschaffungspreise für die Versorger sich bilden. Nimmt man diese Basis mal, so sieht man, dass unter den größeren Industrieregionen tendenziell kein anderer als Frankreich die höchsten Preise hat, sehr eng gefolgt von Deutschland und situationsbedingt auch Japan. Dass ausgerechnet zwischen Frankreich und Deutschland eine Diskussion läuft, wer denn nun die klügere Energieversorgung betreibe, ist eine intellektuelle Offenbarung, denn da reden gerade die mit- und übereinander, die beide ganz woanders hinsehen sollten.

 

Was man in Chart1 auch sieht, ist die Tatsache, dass über Merit-Order der Gaspreis die Strompreise in ganz Europa während der Krise so nach oben gezogen hat. Das war eine enorm teure, von den eigentlichen Produktionskosten eigentlich komplett überflüssige Preiseskalation, die in den Taschen der europäischen Stromproduzenten landete, zulasten von sonstiger Wirtschaft und Verbrauchern. Das ist alleine wegen des gesunkenen Gaspreises vorbei, aber erstens kann der jederzeit auch wieder anziehen, weshalb diese Abhängigkeit auch weiterhin keinen Sinn macht. Was man aber zweitens wegen der Eskalation der Preise in dem Chart nicht mehr sehen kann, ist die viel relevantere Entwicklung: Die weltweit am besten aufgestellten Regionen, hier sind die USA und Australien aufgeführt, in China ist es aber genauso, zeigen gegenüber den früheren Niveaus SINKENDE Preise. Es ist also falsch, eigene oder europäische „Vorkrisenpreise“, die man übrigens in den Jahren bis 2019 zu suchen hat, als Benchmark heranzuziehen, man sollte schon die globalen Trends anschauen.

 

Die relevante Aussage ist also: Der teuerste Standort, Frankreich, hatte zum besten, die USA, vor der Krise einen Preisabstand von 30%. Das sind jetzt aber bereits 50% und die Schere geht weiter auseinander. Klar ausgedrückt: Die relevanten Industrienationen in Europa liegen inzwischen bei den doppelten Preisen im Vergleich zu den global relevanten Wettbewerbsstandorten. Tendenz steigend.

 

Die Ursachen dafür liegen im unzureichenden EE-Ausbau in Kombination mit dem Markt-Design, das immer noch konventionellen Kraftwerken trotz deren rückläufiger Produktionsanteile via Merit-Order Preissetzung erlaubt. Das gibt es nur in Europa und hier kommen nur die nordischen Länder mit ihren hohen EE- und Wasserkraftanteilen zu besseren Ergebnissen, weil dort insbesondere auch die Gaskraftwerke aus dem Markt gehalten werden können. Denn, nein, Atomkraftwerke können das nun mal nicht, die leisten Grundkraft, halten die Gaskraftwerke eben nicht aus dem Markt, sind ihrerseits zu teuer und helfen bei den Preisen gar nicht. Herr Spahn, bitte mal das Sichtfeld erweitern und dahin schauen, wo es wirklich besser läuft. Das sind nämlich die Amerikaner, die Gaskraftwerke mit eigenem Gas betreiben, immerhin jetzt die EE entdecken und die Chinesen, die kein eigenes Gas haben und deshalb die EE ausbauen. Denksportaufgabe: Was ist wohl die Option für Europa?

 

Nachhilfe: Ein sehr gutes Beispiel ist Australien, welches durch seinen EE-Ausbau in Chart 1 von einem der mittelmäßig teuren nun zu den günstigsten geworden ist. Den Grund nennt der IEA-Report ganz klar: Die Australier haben quasi das Gegenteil von Merit-Order, dort wird schlicht nach Angebot/Nachfrage ohne Preisregulierung versteigert, weshalb bei hohem EE-Angebot negative Preise viel häufiger und auch länger entstehen (Chart2). Auch das ist ein interessantes Detail, denn die Deutschen schreiben sich die Finger wund, was diese Negativpreise alles für Katastrophen auslösen, die Australier freuen sich darüber.

 

Wer die o.g. Sache mit den Großhandelspreisen und den vielen Mechanismen, wie daraus Endpreise entstehen, nicht berücksichtigt, wird sich bei Chart3 die Augen reiben, denn hier passiert es dann: Preise für energieintensive Industrien, Deutschland nun weit vor Frankreich, jedoch im EU-Durchschnitt, der weit über den USA und China liegt. Detail am Rande: Man sieht, dass auch die USA und China die sinkenden Preise der Beschaffungskosten abschöpfen und diese nicht an ihre Industrie weiter geben. Hier verfolgt man – bisher – die Politik, die Industriepreise moderat wachsen zu lassen.

 

Aber: Man erkennt natürlich auch, dass das bei Frankreich nur umgekehrt funktionieren kann, denn aus den höchsten Beschaffungspreisen werden Industriepreise, die den günstigsten Regionen zumindest nahe kommen. Der Staat subventioniert das also, während die anderen abschöpfen. Kann man natürlich so machen, sollte es aber dazu sagen. Ob es klug ist, die höchsten Produktionskosten zuzulassen, um die dann durch die höchsten Subventionen zu wettbewerbsfähigen Industriepreisen wieder runter zu prügeln, mag jeder „Volkswirt“ in Facebook dann hoffentlich doch zu würdigen wissen. Ich will gerne nachhelfen: Vielleicht ist das Modell USA/China dann doch klüger, die zu denselben Industriepreisen zu kommen und dabei sogar noch etwas abzuschöpfen, statt Mengen an Steuergeld da zu versenken?

 

Ebenso aber: Deutschland macht das meinetwegen fiskalisch klüger, das Resultat sind aber eben doch sehr hohe Endpreise. Das sind nicht die höchsten weltweit, es sind nicht mal die höchsten in Europa. Im Gegenteil ist Frankreich an der Stelle eine Ausnahme, denn die Europäer nutzen die Stromtarife überwiegend sehr gerne, um darüber neben Steuereinnahmen auch alle möglichen Infrastrukturinvestitionen, Förderkulissen oder auch Fehlanreize wie Redispatch (technisch einfach lösbar, wird aber nicht so bezahlt) und einiges mehr von den verschiedenen Stromkunden bezahlen zu lassen.

 

Wie komplett idiotisch (sorry dafür) das in Europa läuft, sieht man in Chart4: Die Endpreise in Europa – das ist bei den privaten Haushalten am schlimmsten – haben schon immer kaum etwas mit der Frage zu tun, wie Strom produziert wird und was das kostet, also ausgerechnet der Bereich, über den alle mit so besonders tiefen Kenntnissen streiten. Das hat mit einem „Markt“ schlicht sehr wenig zu tun. Der Stromsektor ist vielmehr in Europa ein Selbstbedienungsladen für Finanz- und Energieminister, mit dem alles mögliche refinanziert wird. Die Idiotie (sorry) wurde komplett, als wegen der großen Preiskrise dann die „Preisbremsen“ eingeführt wurden, das ist die Differenz zwischen den tatsächlichen Haushaltspreisen (gestrichelte Linie) und den bezahlten. Der komplette Quatsch also, denn durch dieses Sammelsurium an Steuern und Entgelten wurden – und werden! – die Preise hoch gesetzt, um die dann mit Steuermitteln wieder etwas herunter zu subventionieren.

Gas- und Bremspedal gleichzeitig, da sollte keiner über den Spritverbrauch meckern und wenn die Bremsscheiben heiß werden, ist das auch nicht „überraschend“.

 

Das ist insgesamt typisch Europa, Deutschland ist da nicht schlechter oder besser als alle anderen, Frankreich macht es auch nicht wirklich anders, die subventionieren das netto nur unter die eigentlichen Preise. Es gibt keinen Strommarkt in Europa, es gibt auch keine Öffentlichkeit, die das versteht, es gibt keine Medien, die darüber näherungsweise korrekt berichten.

Das war lange egal, der Stromsektor klein, der ökonomische Schaden gering. Es wird nur durch EE-Ausbau besser, aber das ist mal wieder durch bürokratische Overheads und wahnsinnig schlechte Überregulierung im Endergebnis zu teuer und zu langsam. Wir werden irgendwann trotzdem sinkende Endpreise in Europa sehen, aber das dauert viel zu lange und wir werden wohl niemals an die besten Preise herankommen.

 

Wäre das der in Europa bestimmt auch streng regulierte Tütensuppenmarkt, so what, Stoff für eine Vorlesung. Das ist aber gerade im Stromsektor genauso dumm, wie die Verzögerung und Verteuerung der Datenleitungen/Datenversorgung beim Aufbau des Internets, der genau genommen in Europa eine seit 30 Jahren laufende Maßnahme mit chronischem Rückstand zum Status von Entwicklungsländern ist. Für die Energietransformation inklusive der Elektrifizierung, also nach der Digitalisierung das nächste ganz große Transformationsprogramm sind ein günstiger Strompreis mit einer agil ausgebauten Versorgung essenzielle Grundlage.

 

Die Europäer glauben aber, daraus auch noch im Aufbau Steuern und Abgaben generieren zu können. Auch das haben sie bei der Digitalisierung genauso gemacht. Bis heute.

 

Anstrengend!


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