Eine leider nicht anekdotische Erzählung

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Mit 16 Jahren habe ich mein erstes kleines Unternehmen gegründet, als ich 19 war, hatte es zehn Mitarbeiter, mit 21 habe ich es verkauft. Mein zweites Unternehmen gründete ich mit 18, mit 32 habe ich es verkauft und mit 45 zurück gekauft, ich besitze es heute noch. Im Laufe der Zeit kamen etwa 20 solcher Geschichten hinzu, einmal ging es bis zur Börsenplatzierung. Seit zehn Jahren unterstütze ich als Aufsichts- und Beirat ausschließlich Mittelständler und vor allem Start-Ups bei deren Weiterentwicklung, wozu Verhandlungen mit Investoren und auch Firmenveräußerungen zählen. Mit einigen Lehraufträgen versuche ich, meine Erfahrungen an unseren Nachwuchs weiter zu geben.

 

Vor jetzt mehr als 40 Jahren bin ich zum Amt gedackelt und wusste, was kommen wird – mein Vater war Steuerberater. Er war lange mein Begleiter. Andere folgten. Sie wurden immer wichtiger, bis heute. Anwälte kamen hinzu. Bei meinen heutigen Mandaten besteht die Hälfte der Zeit aus Gesprächen mit Steuerberatern und Anwälten. Ich lese alle paar Jahre in Parteiprogrammen, sie wollten das mal ändern. Es ist in der Tat anders geworden, denn heute muss man Teams von Steuerberatern und Anwälten an seiner Seite haben, weil einzelne das fachlich nicht mehr abdecken können. Auch ich muss viel mehr in die Materie einsteigen, denn Teil meiner Aufgabe ist es geworden, zu erkennen, ob der jeweilige Berater gerade für eine spezielle Frage der falsche ist. Ich kann das alles inzwischen ganz ordentlich, tieferen Sinn sehe ich darin nicht.

 

Eines meiner Lieblingsmandate wurde vor drei Jahren gegründet und ist von 5 auf inzwischen 70 Mitarbeiter gewachsen. Die fachlichen Kompetenzen konnten nur global rekrutiert werden, wir haben 16 Nationen an Bord. Eine Mitarbeiterin ist notwendig, um unseren internationalen Mitarbeitern hier überhaupt so etwas wie eine operative Lebensgrundlage zu ermöglichen. Aufenthaltsgenehmigungen, Tätigkeitserlaubnis, Arbeitsverträge, Wohnungssuche, Mieterverträge, Bankkonto, Führerschein, Handyvertrag, Auto, eine Versicherung dafür – ich lasse es, die Aufzählung ist lang. Es gibt also mehr Dienstleistungen als Steuerberater und Anwälte, die wir brauchen.

 

Der Job bringt es mit sich, regelmäßig mit Investoren zu sprechen. Das kenne ich gut. Solche Gespräche werden schnell dominiert durch: Deren Steuerberater und Anwälte. Ich verstehe die Situation, deren Kapital ist knapp und es wird schnell teuer, wenn irgendwas irgendwo zu viele „Risiken“ beinhaltet. Risiko in Europa wird bestraft, das kostet Geld. Steuerlich darf ohnehin nichts schief gehen. Dann ist der Entscheider beim Investor schnell seinen Job los. Der muss Fehler und Risiken meiden, eine großartige Voraussetzung. Spricht man mit Amerikanern ist das anders. Die fragen, was man kann und was man damit vorhat. Finden sie das spannend, rücken sie schnell mal die eine oder andere Million für eine kleine Beteiligung raus, um hinterher zu erfahren, was man tatsächlich drauf hat. Chinesische Investoren schauen sich forensisch genau und mit enormer Expertise die Technologien und Patente an, die man vorzuweisen hat. Sie kommen oft mit überraschenden Preisen, die sie dafür zahlen, sie wollen entweder nichts oder alles, die Gespräche mit denen laufen unfassbar schnell. Europäische Investoren geben lieber ihren Beraterstäben die eine oder andere Million, damit die Gutachten vorher darüber schreiben, was man vorhat und damit erreichen wird. Da steht zwar schon deshalb Unfug drin, weil der Prüfauftrag gar nicht erfüllbar ist, aber die Entscheider brauchen das – wegen der Risiken und der Steueroptimierung. Solche Gespräche laufen Monate, oft ergebnislos, die einzig Zufriedenen sind die Steuerberater und Anwälte auf beiden Seiten.

 

Wir sind leider blöd, die Gründer wollen nicht an Amerikaner oder Chinesen verkaufen. Ich bin auch blöd, ich nehme nur solche Mandate. Bei den Großunternehmen will ich auch nicht sein, Verwaltung ist nicht so meine Sache, Innovationsverhinderung auch nicht. So bleiben den Gründern, denen ich helfe und mir die einfachen Jobs leider vorenthalten.

 

Im Ergebnis gehen Europa das Kapital und die Innovationen aus. Kapital ist noch da, aber es scheut Risiken, Innovation ist jedoch besonders kapitalintensiv, definitionsgemäß kaum aus laufendem Geschäft finanzierbar. Sehr große Konzerne mit vielen Ertragsquellen können das quer finanzieren, aber große Konzerne können partout keine Innovation. Da, wo die möglich ist, gibt’s kein Kapital. Die Leute, die man dafür braucht, sind bei uns für viele nicht willkommen. Die Prozesse, um trotzdem etwas Kapital aufzutreiben und Leute hier her zu holen, werden immer teurer, das wenige Innovationskapital wird von Verwaltungsprozessen absorbiert.

 

So wird aber irgendwann auch das noch vorhandene Kapital erodieren. Will aber auch keiner wissen, denn niemand in Europa akzeptiert, dass Kapital eine relative Größe ist, dass es nichts bringt, Verluste zu vermeiden und sich einzureden, es sei erfolgreich, das vorhandene Kapital zu erhalten. Wenn woanders Kapital schneller vermehrt wird, dominiert das und irgendwann werden die innovativen kleinen Inseln dann doch gekauft – eine Preisfrage. Ich sehe immer mehr davon, ich kenne sie ja, diese Szene, ich weiß, wo dann halt doch wieder der eine oder andere Amerikaner eingestiegen ist.

 

Eine Abwärtsspirale. Als Ökonom sehe ich das in einigen sehr simplen makroökonomischen Daten und kann daher feststellen, dass meine Erzählung leider nicht anekdotisch ist. Kritisiert man das öffentlich und erklärt, dass Sparen keinen Wert schafft und Kapitalismus ohne Kapital nicht funktioniert, erhält man als Antwort, man sei ein linker Ökonom. Spricht man über moderne Technologien der Digitalisierung, Elektrifizierung oder Energieerzeugung hört man sich an, man sei ein grüner Ideologe. Macht man klar, dass globale Mitgestaltung leider ohne Kapital und ökonomisch relevante Weltmarktanteile nicht funktioniert, dass Europa nur dann an den Entscheidungen teilhaben kann, wenn es auch ökonomisch relevant bleibt, ist man ein Neoliberaler, der die Sache mit dem endlichen Wachstum nicht verstanden hat – die ausgerechnet und sogar nur für Kapital tatsächlich gar nicht stimmt.

 

Es ist fantastisch überzeugter Europäer zu sein, aber es ist leider auch anstrengend. 


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