DMZ – GESELLSCHAFT ¦ Sarah Koller ¦
Die Universität Zürich hat im Rahmen des Forschungsprojekts «Psychologische Belastung und Resilienz nach dem Austritt oder Ausschluss aus einer fundamentalistischen christlichen Glaubensgemeinschaft» eine neue Studie veröffentlicht. Diese untersucht das Befinden ehemaliger Mitglieder der Zeugen Jehovas in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Ergebnisse zeichnen ein besorgniserregendes Bild über die gesundheitlichen und sozialen Herausforderungen, denen diese Menschen nach dem Verlassen der Gemeinschaft ausgesetzt sind.
Hintergrund und Ziele der Studie
Die Studie beleuchtet die Auswirkungen des Austritts aus einer fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen. Besonders im Fokus standen die ehemaligen Mitglieder der Zeugen Jehovas, die durch die strikte Abgeschlossenheit und soziale Isolation der Gemeinschaft oft schwerwiegende gesundheitliche und psychische Probleme entwickeln.
Methodik der Studie
Zwischen Februar und Juni 2021 nahmen 424 ehemalige Mitglieder der Zeugen Jehovas an einer Online-Umfrage teil. Die Teilnehmenden stammten überwiegend aus Deutschland (87%), aber auch aus der Schweiz (8%) und Österreich (5%). Der Fragebogen erfasste demografische Daten, Details zur Mitgliedschaft und dem Austritt, sowie Angaben zu körperlicher und psychischer Gesundheit.
Ergebnisse
- Demografische Merkmale: Die Mehrheit der Teilnehmenden war weiblich (65%) und das Durchschnittsalter lag bei 42 Jahren. Im Vergleich zur deutschen Allgemeinbevölkerung waren die Studienteilnehmer häufiger ledig, geschieden oder verwitwet.
- Kindesmisshandlung: Auffällig ist die hohe Rate an Berichten über Kindesmisshandlung und Vernachlässigung unter den Teilnehmenden. Emotionale Vernachlässigung (81%) und emotionale Misshandlung (65%) wurden deutlich häufiger angegeben als in der deutschen Allgemeinbevölkerung. Weibliche Teilnehmende berichteten häufiger und von schwereren Formen der Misshandlung.
- Gründe für den Beitritt: Zwei Drittel der Befragten waren in die Gemeinschaft hineingeboren. Andere Gründe für den Beitritt waren der Glaube, die Suche nach Antworten und Unterstützung sowie soziale Bindungen.
- Soziales Leben: Viele Teilnehmende (75%) reduzierten oder brachen den Kontakt zu Außenstehenden ab, um den Vorstellungen der Gemeinschaft zu entsprechen. Ein großer Teil fühlte sich stark mit der Gemeinschaft verbunden und investierte erheblich Zeit und Geld.
- Austritt und dessen Folgen: Die Hälfte der Befragten verließ die Gemeinschaft freiwillig, während andere aufgrund von Misshandlungen oder Ausschluss austraten. Der Austritt führte oft zu sozialer Isolation und gesundheitlichen Problemen. 77% der Befragten erlebten Ächtung durch aktive Zeugen Jehovas.
- Gesundheitliche Folgen: Die Studie zeigt signifikant beeinträchtigte psychische Gesundheit und mäßige körperliche Gesundheit bei den Befragten. 41% hatten eine diagnostizierte psychische Störung, und 43% lebten mit einer chronischen körperlichen Erkrankung. Das Stressniveau war hoch, und die Lebensqualität wurde als relativ niedrig eingeschätzt.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die schwerwiegenden Auswirkungen des Austritts aus den Zeugen Jehovas auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen. Die hohe Rate an Kindesmisshandlung und die starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen machen deutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Spezifische medizinische und psychotherapeutische Maßnahmen könnten helfen, die negativen Effekte des Austritts zu mildern, insbesondere für Personen, die als Hochrisikogruppe identifiziert wurden. Die Gemeinschaft selbst sowie die Forschung müssen diesen Problemen mehr Aufmerksamkeit schenken, um betroffenen Personen eine bessere Unterstützung bieten zu können.
Diese Studie liefert wertvolle Erkenntnisse, die nicht nur für ehemalige Mitglieder der Zeugen Jehovas, sondern auch für alle, die sich mit den Folgen des Austritts aus fundamentalistischen Glaubensgemeinschaften beschäftigen, von Bedeutung sind.
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