DMZ – SATIRE ¦ Ruedi Stricker ¦
Mit hochrotem Kopf verteilt der Lehrer die korrigierten Mathematikarbeiten. «50 Prozent dieser Klasse ist nicht imstande, einen einfachen Dreisatz zu rechnen.» tobt er. Von der hintersten Bank kommt ein Einwand «Herr Lehrer, so viele sind wir doch gar nicht...»
Wer kommt auf so eine Idee?
Im St. Galler Bildungsdepartement geht Stephan Herzer der Frage nach, was Schüler von ihren Lehrkräften erwarten. Im Gespräch mit Methodikern der Pädagogischen Hochschule erfährt er, dass Humor an erster Stelle steht – noch vor Gerechtigkeit, Geduld und Fachwissen. Es werden Ideen entwickelt, um einen Kurs «Sozialkompetenz Humor» für Lehrkräfte zu entwickeln. Exponenten der Comedyszene werden angefragt, aber das anfängliche Interesse schwindet rasch. Mit Lehrern über Humor zu diskutieren, bringe wenig: «Humor hat man oder man hat ihn nicht.» Am Schluss landete Stephan Herzer beim Schreibenden, der leichtsinnig genug war, dieses Projekt in Angriff zu nehmen.
Was ist Humor?
Bevor man sich ernsthaft mit der Frage befasst, ob man humorvoll unterrichten kann, lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Begriff «Humor». Man kann ihn als die Fähigkeit bezeichnen, die Welt so zu akzeptieren, wie sie nun mal ist. Vernunft und Gelassenheit sind Bedingungen, um mit Andersdenkenden umgehen zu können. Humor ist keine moralische, sondern eine intellektuelle Sache. Das Gegenteil von Humor ist nicht Ernsthaftigkeit, sondern die Empörung. Die Frage des humorlosen Protagonisten der Political Correctness «Darf man über diesen Witz lachen?» kann mit der Antwort pariert werden: «Ja, man kann nicht anders!».
Sein Instrumentarium
Das Verzerren von Fakten und Bildern überrascht und regt zum Lachen an. Eine beliebte Form ist die Absurdität: «Aus einer leeren Telefonkabine kommen zwei Männer.» Oder: «Vier Drittel aller Lehrer können nicht zuhören.» Eine elegante Form der Absurdität ist die Ironie: «Herzlichen Dank für die Steuerrechnung. Den Betrag von null Franken werden wir Ihnen noch gestern überweisen, um die Frist einzuhalten.» Humor ist auch eine Frage der Phantasie, mit der neue Assoziationen gebildet werden können. Beispiel: «Wer ist schuld am Waldsterben?» Antwort: «Die Textilindustrie!» Begründung: Im Herbst, wenn sich die Menschen warm anziehen, fallen die Blätter von den Bäumen. Im Frühling versorgen wir die Kleider im Schrank, und siehe da: Es sprießt neues Grün. So nebenbei bemerkt: Das ist alles andere als lustig. Nicht wenige wissenschaftliche Arbeiten leiden unter der Verwechslung von Kausalität und Korrelation.
Eine andere Form erreicht ihre Blüte besonders in despotischen Regimen: Die Satire. Der Satiriker greift das Regime so an, dass er selber juristisch nicht fassbar ist. Tucholsky schrieb dazu: «Wenn die Zensur merkt, dass es Satire ist, ist es keine mehr.» Eine ähnliche Form ist der Sarkasmus, der bittere Spott: «Was ist ein Unternehmensberater?»
«Ein Mann, der hundert Liebesstellungen kennt, aber keine Freundin findet.» Mit harten Bandagen geht die Polemik im Streit vor: «Herr Regierungsrat, trifft es zu, dass Sie Ihre Frau nicht mehr schlagen?» Eher einfach in der Anwendung ist sodann die Übertreibung: «Schatz, ich würde das Wärmere anziehen. Bis Du parat zum Gehen bist, ist es Winter.» Oder eben das Gegenteil, die verharmlosende Untertreibung: «Hitler war ein strenger Pädagoge.»
Ein besonderes Mittel, nicht selten auch Ausdruck einer Grundeinstellung, ist der Zynismus. Etymologisch abgeleitet von den Hündischen (kynos) im Alten Griechenland, bezeichnet er eine Art von beißendem Spott, der jede gesellschaftliche Konvention missachtet: «Seit die Kirche die Kastration von Knaben verboten hat, leidet sie unter dem Mangel an Sopranisten.»
Humor im Unterricht
Um es kurz zu machen: Lehrkräfte nehmen pädagogische Verantwortung wahr und befinden sich gegenüber Kindern in einer Machtposition – auch wenn die aktuelle Situation in den Schulen zahlreiche Facetten hat, die diesen Beruf nicht gerade einfach machen. Verletzende Äußerungen gegenüber den Schutzbefohlenen sind daher tabu; nicht nur öffentlich im Schulzimmer. Die praktische Anwendung von Humor ist nur gefahrenfrei, wenn das Objekt die Lehrkraft selber ist. Eine Lehrerin, die auch mal über sich selber lachen kann, die eigene Fehler eingesteht und gelassen bleibt, hat schon fast gewonnen.
Bisherige Erfahrungen
Wenn die Sicht «Humor hat man oder eben nicht.» zutreffen würde, müssten wir dieses Projekt sofort abbrechen. Zu glauben, jedermann könne Humor erwerben – vielleicht sogar gegen seinen Willen – wäre jedoch ebenso falsch. Die bisher durchgeführten Anlässe haben vielmehr ein differenziertes Bild gezeigt – von den Einen, die mit offensichtlicher Freude mitmachen und neue Ideen umsetzen wollen bis zum verbissenen Teilnehmer, der einen Tag seines Lebens in den Beweis investiert, dass dieser Tag verschwendet ist.
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