Gedanken zu einem Video

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Der Abgrund an Widerlichkeit in dem Sylt-Video ist eigentlich oft genug beschrieben und besprochen worden. Mit etwas Abstand habe ich dazu einige Gedanken entwickelt, die ich so noch nicht gelesen habe. Daher will ich doch noch etwas dazu sagen, indem ich meine eigenen Gedankengänge rekonstruiere.

 

Man sieht nichts geringeres als eine widerliche Pöbelei, für die man sich mit einem Rest an Menschenwürde nur fremdschämen kann. Die sogar eigene Betroffenheit auslöst, denn das sind keine bewusst abgründig dargestellten Kunstfiguren in einem typischen Hollywood-Format, hässliche Fratzen, die so inszeniert werden, um beim Zuschauer die Emotion, ja den Wunsch zu wecken, der Held der Geschichte möge die wie auch immer gestaltet abräumen, irgendwie weg machen. Das sind Menschen, wie sie unter uns leben, Teil von uns, das berührt sofort die eigene Menschlichkeit, eben weil es so real ist, was man sich lieber surreal wünschen würde.

 

Aber war dieses Video überraschend, irgendwie anders oder gar besonders? Eigentlich nicht! Warum ausgerechnet dieses so viel Aufmerksamkeit fand, mag an den besonders vielen Triggern liegen. Das war Sylt, das war eine teure Location, das waren irgendwelche „Reichen“, es kam aus einem – real existierenden – Klischee. Ansonsten sehen wir primitiv pöbelnde Menschen, die sich dadurch eigene Würde, Wert und Persönlichkeit nehmen, die nicht mal Selbstachtung haben können, wenn sie sich so gerieren, um sich ausgerechnet dabei über andere Menschen zu erheben. Mehr noch, sie feiern sich dafür, sie dokumentieren es, sie präsentieren es.

 

Trotz dieser Wahrnehmung war mein Gedanke: Warum diese Aufmerksamkeit, das könnte bei mir um die Ecke genauso stattfinden, jeden Tag und es wird vermutlich tatsächlich so sein. Es kann in jeder Ecke in Deutschland passieren, jeden Tag. Nun ist so eine öffentliche Pöbelei mit viel Alkohol und dem abgründigen Gedanken, man feiere da gerade irgendetwas des Feiern würdiges, wohl so etwas wie ein tatsächlich nicht seltener Exzesses, der nur akkumuliert, was täglich viel feiner und vorsichtiger, aber stetig wachsend vorkommt. So beispielsweise im Supermarkt das sachlich, nüchterne Gespräch, man habe nichts gegen Ausländer, aber zu viele davon gehen nicht, außerdem müssten es die richtigen sein.

 

Wer hat solche Sätze – und dieser ist nur ein Beispiel – im Alltag noch nicht gehört? Manchmal von Leuten, die man nicht kennt, manchmal auch nicht. Manchmal überrascht es, wer so etwas sagt, manchmal nicht. Und ganz ehrlich: Wie viele, die diesen Satz gerade gelesen haben, fragen sich, was daran vielleicht berechtigt und was unberechtigt ist? Eine Frage, die sogar zulässig ist, aber die Frage, welche Denkweise, welche Haltung, welches Menschenbild dahinter steckt – die ist viel berechtigter und da sollte jeder mal tief in sich gehen, denn möglicherweise passiert da in den letzten Jahrzehnten was?

 

Wie oft erleben wir nämlich auf größeren öffentlichen Bühnen, sei es in Reden, Vorträgen, bei stärker gelesenen Postings in Sozialen Medien, in Medienbeiträgen von Journalisten nicht mehr, aber gewiss nicht weniger als Spuren der Denkweise, die uns in dem Video so brutal vorgeführt wird. Wie oft erleben wir gar Politiker, die öffentlich Aussagen tätigen, mit denen sie vor noch wenigen Jahren sofort und abschließend politisch tot gewesen wären. Viele wollen diese Entwicklung, man darf das doch mal sagen, heißt es. Es sei gut, dass alles gesagt werde. Es müsse alles gesagt werden.

 

Dieses Sagen zeigt aber Wirkung. Es ist eine Verschiebung eingetreten, die unsere wichtigsten Grundwerte betrifft und vielleicht – andere Wissenschaften können das besser bewerten – sogar eben diese Werte selbst verschiebt. Das nehme ich schon lange so wahr und ich kann deshalb keinen Wert darin sehen, dass alles gesagt wird. Was keinen Wert hat oder gar gegen solche verstößt, muss keineswegs gesagt werden und es darf vor allem wieder mehr Widerspruch erfahren.

 

Was mich aber an diesem Video und meinen Gedanken tief bestürzt, ist diese Kombination aus Hilflosigkeit und zugleich auch beginnender Gleichgültigkeit, mit der ich das so etwas wie verarbeitet habe. Das heißt aber nichts anderes als: Diese Verschiebung ist bei mir angekommen, sie wirkt auch auf mich selbst.

 

Das ist entsetzlich. Der Gedanke, diese Entwicklung betreffe mich als Mensch und mein Denken nicht, ist seitdem weg, das war ein fataler Irrtum. So hat dieses Video doch einen Wert für mich.


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