Bernd Raffelhüschen liefert nur noch steile Thesen und den tatsächlich notwendigen Klartext schon lange nicht mehr

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen macht derzeit die für ihn typischen Schlagzeilen, die – weil Auflage garantierend – unkritisch weiter gegeben werden. Er fordert eigentlich immer dasselbe: Nullrunden für Rentner, Sozialkürzungen, Arbeitszeitverlängerung. Begründet wird das mit „Studien“ über „Kosten“, deren Finanzierbarkeit nicht möglich sei.

 

Seine beliebte Methode: Er rechnet über viele Jahrzehnte, ist bei den „Kosten“ großzügig, so etwas wie „Erträge“ findet er viel seltener und er weist bevorzugt eine Summe über die lange Laufzeit aus, damit da immer dreistellige Milliarden oder gleich Billionen resultieren. Mathematisch ist das unwürdig, keiner vom Fach weist bei dem Thema eine Summe über einen Zahlungsfluss aus – aber das nur am Rande.

 

Sein jüngstes Spitzenwerk beziffert für „die Migration“ irgendeinen Fantastilliardenbetrag. Das brachte ihn auf den Titel der finanzwissenschaftlichen Fachpublikation namens BILD. Diese „Studie“ haben als Fingerübung mal andere Finanzwissenschaftler methodisch auf die Gesamtbevölkerung angewandt und sind zum Ergebnis gekommen, dass demnach jeder neu geborene Deutsche besonders „teuer“ wird. Alle Deutschen durch Migranten ersetzen wäre also immer noch keine gute, aber eine bessere Wahl. Der Vorschlag stand in BILD übrigens nicht.

 

Eine aus fachlicher Sicht sehr bedauerliche Entwicklung, denn Raffelhüschen hat früher sinnvollen „Klartext“ geliefert, für den er heute noch glaubt zu stehen. Inzwischen redet er nur noch selten über Lösungen, sondern dampfplaudert nur noch mit solchen „harten Maßnahmen“, die ihm einschlägige Presse garantieren.

 

Dabei sollte er wissen, dass diese „Maßnahmen“ alle an den strukturellen Ursachen gar nichts ändern. Seine früheren, methodisch nicht so auf populistische Ergebnisse „getunten“ Analysen haben die mathematischen Grenzen unseres umlagenfinanzierten Sozialsystems schonungslos aufgedeckt und klar gemacht, dass der „Generationenvertrag“ mit der Demografie nicht vereinbar ist, dass man also entweder – wohl nur durch Migration möglich – die demografische Entwicklung verhindern oder – möglichst rasch! – auf ein rücklagenbasiertes System umstellen muss. Das ist leider immer noch richtig und wird von allen Parteien, weil politischer Sprengstoff und wahltaktisches Kassengift, ignoriert. Zu erwähnen ist dabei, dass Raffelhüschen weder der erste, noch der einzige war oder ist, der diese finanzmathematisch zudem recht triviale Analyse vorlegte.

 

Früher hatte er sich wenigstens lösungsorientiert geäußert und ein rücklagenbasiertes System gefordert. Migration war nie so sein Favorit, was ihn fachlich schon immer ein wenig disqualifizierte, denn unpolitisch argumentierende Finanzmathematiker haben das als Alternative stets genannt. Was man daraus macht, ist eine politisch/gesellschaftliche Entscheidung, die gehört nicht in eine methodisch saubere Studie.

 

Raffelhüschen plädierte aber stets für irgendwelche Formen der privaten Rücklagen, meist ohne oder allenfalls mit geringer staatlicher Komponente. Auch das war stets sehr einseitig, denn neutral formulierende Analysen lassen es offen, ob ein Rücklagensystem ganz, teilweise oder gar nicht staatlich hinterlegt ist. Global finden sich alle Varianten, das reicht von einem Staatsfonds wie in Norwegen über staatlich sehr klar regulierte Pensionskassen wie in der Schweiz bis weitgehend dem Privatsektor überlassene Lösungen wie in den USA. Das hat unterschiedliche Vor- und Nachteile, über die ebenfalls politisch/gesellschaftlich entschieden werden sollte.

 

Seine Position aber brachte ihm diverse Honorarverträge aus der Finanzindustrie oder eben solche definierten seine Position, wer weiß das schon. So warb – man darf den Begriff verwenden – er letztlich für Fonds- oder Versicherungsprodukte der deutschen Finanzindustrie.

 

Was er an der Stelle an Klartext leider schuldig blieb: Eben diese Finanzindustrie hat durchgesetzt, dass sie gut ein Drittel der Erträge ihrer Kunden als eigene Einnahme generiert. Das ist für typischerweise unterdurchschnittlich rentierende Aktienportfolios nahe am Diebstahl, für Lebens- und Rentenversicherungsportfolios mit Anlagestrukturen, die jeder durchschnittlich begabte Schimpanse managen kann, ist es Straßenraub. Eine Lösung für die Altersvorsorge unserer alternden Gesellschaft ist das keinesfalls. Man kann – und m.E. sollte man es – auf ein rücklagenbasiertes System umstellen, aber dessen Gestaltung darf man dieser Finanzindustrie nicht überlassen. Die sollte bei der Gelegenheit vielmehr gleich mit reformiert oder auch abgeräumt werden.

 

So viel zu möglichem Klartext.


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