DMZ – SATIRE ¦ Ruedi Stricker ¦
Aus dem Tagebuch eines Würdegernbahnfahrers
Montag
Mit Helen zum Bahnhof gefahren. Der Schalter ist geschlossen, daher am Automaten versucht, ein Billet zu kaufen. Ein paar Mal bestätigt, dass ich den Verkaufsvorgang fortsetzen will, aber am kleinen Bildschirm passiert nichts, bis das Gerät endlich meldet, dass es mich nicht mag: „TIMEOUT“. Mit dem Taxi doch noch rechtzeitig zur Arbeit gekommen.
Dienstag
Ich gebe nicht so schnell auf. Helen lässt mich wieder am Bahnhof aussteigen. Der Schalter ist geschlossen, der Automat bekommt die letzte Chance. Aber er mag mich wirklich nicht: TIMEOUT. Am Schluss der Menschenschlange neben mir befindet sich ein zweiter Automat. Als ich nur noch drei Menschen vom Gerät entfernt bin, fährt mein Zug weg. Zum Glück gibt es Taxis.
Mittwoch
Helen hat’s eilig und fährt ohne Umweg zur Arbeit. Aber ich gebe nicht auf und fahre mit dem Bus zum Bahnhof. Erspare mir den Umweg via Schalter und gebe dem Automaten die wirklich allerletzte Chance. Diesmal klappt es. Steige in den Zug und werde schon kurz nach dem Verlassen des Bahnhofs freundlich darüber aufgeklärt, dass mein Halbtaxabo, das vermutlich in Helens Auto liegt, eine Erfindung sei. Mit einem Zuschlag von weniger als hundert Franken erspare ich mir die Verhaftung und gelte gemäß Auskunft des Beamten weiterhin als „nicht vorbestraft“.
Donnerstag
Bereite mich generalstabsmäßig auf die heutige Reise zum Arbeitsplatz vor. Lasse mir von Helene mein Halbtaxabo aushändigen und bin schon zwölf Minuten vor der Abfahrt meines Zugs am Bahnhof. Der erste Automat hat einen schlechten Tag, aber der zweite händigt mir problemlos ein Billet aus. Pünktlich zum Zeitpunkt der geplanten Abfahrt des Zuges meldet der Lautsprecher eine Verspätung von dreißig Minuten. Stellwerkstörung. Zum Glück gibt es Taxis.
Freitag
Heute funktioniert es perfekt. Halbtaxabo im Sack, Billet kommt anstandslos, Zug ist pünktlich. Mache es mir bequem und lese die Tageszeitung. Super, so ohne Stau und Stress zu fahren. Beim Aussteigen merke ich, wie klebrig die Substanz auf meinen Hosen ist, die mein Vorgänger auf dem Sitz hinterlassen haben. Helen bringt mir eine neue Hose an den Arbeitsplatz, mein Auftritt im Marketingmeeting ist gerettet.
Montag
Wenn es diese Woche zwei Mal klappt, kaufe ich mir ein GA. Die Bahn scheint noch beliebter als letzte Woche. Es ist kein einziger Sitzplatz frei. Macht nichts.
Dienstag
Auch heute klappt es, und ich habe sogar einen Sitzplatz. Gönne mir ein Nickerchen, werde aber schon nach wenigen Minuten unsanft geweckt: „Die Fahrkarte ist dem Personal unaufgefordert vorzuweisen.“ Immerhin gibt es diesmal keine Busse.
Mittwoch
Vor dem WC eine lange Schlange. Und wenn jetzt der Kontrolleur mein Billet sehen will, wenn ich im WC bin? Gibt’s dann wieder eine Busse? Aber auch heute: Ein voller Erfolg, die Bahn wird mir immer sympathischer.
Donnerstag
Fussballfans fahren auch Bahn. Durstige, fröhliche Menschen bevölkern das Abteil. Schicke Helen ein SMS: „Brauche dringend unverkotzte Kleider. Bin ab 08:10 im Büro. Sorry und danke.“
Freitag
Verschlafen, aber den Zug doch noch erreicht. Während der Fahrt fast wieder eingenickt. Gegenüber sitzt eine sympathische Dame, die mir erklärt, ab nächstem Jahr könne man nicht mehr versehentlich einschlafen. „Sitzplätze nur noch für VIPs, aber im Stehen hat man einen besseren Überblick, wissen Sie.“ Am Montag kaufe ich ein GA.