· 

AT: Expertin hält gesetzliche Verpflichtung zu Lebensmittelspenden im Handel für kontraproduktiv

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦           

 

Wien - Die 203.831 Unterstützer:innen des Volksbegehrens "Lebensmittelrettung statt Lebensmittelverschwendung" (2176 d.B.), über das die Abgeordneten im Wirtschaftsausschuss heute im Rahmen eines Expert:innenhearings debattiert haben, fordern eine gesetzliche Regelung zur Bekämpfung von Lebensmittelabfällen. Konkret sollen Lebensmittelunternehmen sowie Supermärkte mit mehr als 400 m2 Verkaufsfläche verpflichtet werden, nicht mehr verkaufsfähige aber noch genießbare Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen oder direkt an Bedürftige zu spenden bzw. diese bei Eignung auch als Tierfutter zu verwerten, erläuterte der Bevollmächtigte des Volksbegehrens Lukas Papula.

 

Expertin Gudrun Obersteiner vom Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) wies darauf hin, dass aufgrund einer freiwillige Vereinbarung mit dem Lebensmittelhandel bereits jetzt ausreichend gespendet werde. Im Handel sehe sie darüber hinaus wenig Möglichkeiten, um gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen. Eine gesetzliche Regelung halte sie für kontraproduktiv.

 

Lebensmittelspenden: Verpflichtung oder Freiwilligkeit?

Nach dem Vorbild von Ländern wie Frankreich, Italien und Tschechien werden im Volksbegehren Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung gefordert. Proponent Lukas Papula erläuterte im Ausschuss, dass das Volksbegehren bereits im April 2021 eingebracht worden sei und sich seither etwas getan habe. Die verpflichtet eingeführte Meldung von Lebensmittelspenden und –abfällen für Lebensmittelhändler ab einer Verkaufsfläche von 400 m2 sei löblich und richtig, so Papula. Seiner Meinung nach wäre es nun nur noch ein kleiner weiterer Schritt, die Regelung auszuweiten und eine verpflichtende Spende von noch genießbaren aber nicht mehr verkaufsfähigen Lebensmitteln festzulegen.

 

Aus Sicht von Expertin Gudrun Obersteiner von der BOKU übersehe der Proponent, dass Österreich bereits einen Schritt weiter sei als Frankreich, das oftmals als Vorbild für eine gesetzliche Regelung angeführt werde. Denn aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung, die bereits seit rund z zehn Jahren bestehe, würden über 80 % der Lebensmittelhändler bereits Waren spenden. Der Flaschenhals seien nicht die fehlenden Spenden, sondern Logistik-, Personal- und finanzielle Probleme bei den sozialen Einrichtungen, die die Lebensmittel übernehmen und weitergeben. Die Expertin wies zudem auf Initiativen wie "Too good to go" hin, die bereits einen relativ großen Anteil der andernfalls entsorgten Lebensmittel günstig weiterverkaufen.

 

Laut Obersteiner sollte die Vermeidung von Lebensmittelabfällen durchaus Priorität haben. Jedoch sei der Handel nicht die Stelle, an der es anzusetzen gelte. Den Handel mit einem weiteren Gesetz zu "quälen" für Dinge, die er bereits freiwillig macht, halte sie für kontraproduktiv.

 

Abgeordnete diskutieren Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung

Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) war ebenfalls der Ansicht, dass im Bereich des Lebensmittelhandels nicht mehr viel optimiert werden könne. Ihrer Meinung nach könnte man den Proponenten als "Mr. Volksbegehren" bezeichnen, schließlich seien in der aktuellen Eintragungswoche vier Volksbegehren mit einer breiten Themenpalette von ihm initiiert. Die Forderungen seien jedoch oft gehaltlos. Ihrer Meinung nach müsse man sich daher überlegen, wie man das wichtige Instrument der direkten Demokratie wieder zu dem mache, als das es ursprünglich gedacht war. Man müsse jedenfalls vermeiden, dass Volksbegehren als Geschäftsmodell genutzt werden. Dem pflichtete Elisabeth Götze (Grüne) bei.

 

Christoph Matznetter (SPÖ) und Ulrike Fischer (Grüne) interessierten sich für die Einschätzung der Expertin zur Wirksamkeit der Novelle des Abfallwirtschaftsgesetzes mit der für Einzelhändler verpflichtenden Meldung von gespendeten und entsorgten Lebensmitteln. Gudrun Obersteiner führte an, dass der Handel aufgrund der freiwilligen Vereinbarung diese Zahlen bereits seit Jahren liefere. Neu sei nur, dass die Daten verpflichtend und regelmäßiger eingemeldet werden müssen. Ansetzen könnte man laut der Expertin in den Bereichen Hygiene und Haftung. Die Hygienestandards seien so streng, dass sie eine Weiterverwendung der Lebensmittel oft nicht möglich machen. Wenn Haftungsfragen geklärt wären, könnten die sozialen Einrichtungen leichter Lebensmittel übernehmen und weitergeben. Außerdem bräuchten die Einrichtungen mehr finanzielle Unterstützung, um die Logistik bewältigen zu können.

 

Von Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler, die Wirtschaftsminister Martin Kocher vertrat, wollte Matznetter wissen, welchen Stellenwert Abfallvermeidung in ihrem Ressort habe und wie der Aktionsplan Lebensmittelverschwendung umgesetzt werde. Kraus-Winkler wies auf eine interministerielle Koordinierungsstelle unter der Leitung des Klimaschutzministeriums hin, an der auch das Wirtschaftsressort beteiligt sei. Ihrer Meinung nach gehe es in erster Linie um Aufklärung und um Vernetzung der beteiligten Akteur:innen, insbesondere mit Stellen, die Lebensmittel weiterverwerten können.

 

Ulrike Fischer (Grüne) brachte eine weitere Maßnahme zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung zur Sprache. Manche Supermärkte würden gegen Ladenschluss Lebensmittel reduziert verkaufen, die andernfalls verderben würden. Fischer wollte wissen, ob die Expertin eine Verpflichtung zu dieser Maßnahme befürworten würde. Eine Verpflichtung halte sie auch hier für schwierig, sagte Obersteiner. Ein möglicher Ansatz zur Abfallvermeidung sei ihrer Meinung nach, ab einer gewissen Uhrzeit nicht mehr das volle Sortiment anzubieten.

Für Maximilian Linder (FPÖ) gebe es ein funktionierendes System für Lebensmittelspenden. Man solle daher überlegen, ob man wirklich alles gesetzlich regeln müsse. Er stellte in Frage, inwieweit eine sinnvolle und qualitätsvolle Spende von Resten in der Gastronomie möglich sei. Laut Gudrun Obersteiner würden im Gastronomiebereich nur Modelle wie "Too good to go", also das günstige Anbieten über Plattformen zur Selbstabholung, funktionieren. Staatssekretärin Kraus-Winkler führte an, dass sich Gastronomie und Tourismus schon lange mit dieser komplexen Frage beschäftigen.

 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0