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Straumanns Fokus am Wochenende - Gesinnung und Verantwortung

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

In der guten alten Zeit, als die Welt noch voller Hoffnung war, konnte man mit 68er-Sprüchen vom Schlage: «Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin» punkten. Das war einmal. Heute überschlagen sich die Absurditäten. In der gegenwartstauglichen Form müsste der Satz lauten: «Stell Dir vor, der Krieg ist aus, aber man hat es den Soldaten noch nicht gesagt, damit wie weiter hingehen und sich totschießen.»

 

Der Ukraine-Krieg führt uns dieses traurige Epos vor. Es ist eine amerikanisch-deutsche Koproduktion mit einem Produzenten aus den USA und der Regie, dem Casting und den Komparsen aus Deutschland. In unserer medialen Welt fügt sich das so zusammen: Vorgestern war der amerikanische Kriegsminister Lloyd Austin zu Besuch in Kiew, tags darauf sein deutscher Amtskollege Boris Pistorius. Man könnte meinen, die Ukraine könne sich kaum retten vor lauter Freundschaft.

 

Das täuscht. Die Gastgeschenke Austins waren warme Worte und ein ebensolcher Händedruck. Der Klartext lautete: Lieber Wolodimir, Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die schlechte: Wir zahlen nicht mehr. Nahost geht vor. Innenpolitisch können wir euch uns nicht mehr leisten, wenn Old Joe die Wahlen gewinnen will. Zudem haben unsere Think-Tanks errechnet, dass ihr zu teuer seid und zu wenig einbringt. Sorry, we are out. Aber Moralisch stehen wir fest auf Eurer Seite, und weil Gott ein Amerikaner ist, werden wir Russland zwar nicht besiegen, aber viele Russen totschießen.

 

Und jetzt die gute Nachricht! Zwar zahlen wir nicht mehr, aber wir haben ein paar Dumme gefunden, die in die Bresche springen: die EU, allen voran Deutschland. Mein Kollege Pistorius wird morgen nicht mit leeren Händen kommen. Und dann gucken wir, wie lange es dauert, bis Uschi von der Leyen auf der Matte steht. Denn den Wiederaufbau wird natürlich die EU bezahlen. Exakt so, wie wir das längst ausgeheckt hatten.

 

So, müssen wir annehmen, habe Lloyd Austin mit Selenski gesprochen. Aber alles hat er ihm natürlich nicht gesagt. Er hat wohl verschwiegen, dass im Weißen Haus und im Pentagon längst die Diskussion über seine, Selenskis, Nachfolge begonnen hat. Im Oktober hätte ein neues Parlament gewählt werden sollen (mit Kriegsrecht ausgesetzt); im März 2024 sollten die Präsidentschaftswahlen folgen. Ob dieser Kelch am Schauspieler im Präsidialamt vorbeigeht, ist zweifelhaft. Denn in den USA ist längst klar, dass Selenski nicht zu halten ist. Zu krass ist die Korruption in der Ukraine, zu forsch sein Auftreten (weshalb hat der bloß alles geglaubt, was ihm versprochen wurde!).

 

Putin den Sieg zuzugestehen, kann selbstverständlich nicht in Frage kommen. Der Mythos vom möglichen Sieg muss es allemal wert sein, dass die Ukrainer sich bis zum letzten Mann aufreiben. Denn noch ist die Ukraine gut dafür, Russland Schaden zuzufügen, wenn Deutschland die Munition bezahlt. Die deutsche Regierung hat zwar nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von letzter Woche größte Liquiditätsprobleme, aber sie steckt so sehr im Würgegriff Amerikas, dass Pistorius sicher die eine oder andere Milliarde unter den Weihnachtsbaum legen wird.

 

Ein Risiko jedoch gibt es für die USA: nämlich die Frage, wie lange es noch gelingen wird, die deutsche Bevölkerung für dumm zu verkaufen. Gewiss, die Medien sind fest in transatlantischer Hand, und im Bundestag werden Kriegsgurgeln wie Strack-Zimmermann und die Grünen schon für den richtigen Ton sorgen, der Kinderbuchautor Habeck, der sich ins Wirtschaftsministerium verirrt hat, und die fettnapftrittsichere Außenministerin Baerbock. Niemand blickt wie diese beiden so bedenklich in die Kamera und gibt so berührend Moralinsaures von sich, dass jeder anständige Deutsche den Gutmenschen in sich spürt. Man darf nur nicht nachlassen, ihnen wie mit dem Nürnberger Trichter stetig einzutröpfeln, ethisches Handeln sei alternativlos moralisches Handeln. Und was moralisch ist, bestimmen die Regierung und die Medien, quasi im ethischen Doppelwumms.

 

Es wäre nicht nötig. Max Weber, der Münchner Soziologe, dem wir so viele wichtige Einsichten verdanken, hat schon vor mehr als 100 Jahren Ordnung in die Begriffe gebracht, nämlich mit der «Gesinnungsethik» und der «Verantwortungsethik». Letztere hebt in der Bewertung des Handelns die Konsequenzen hervor und fragt, ob der Handelnde verantworten kann, was seine Handlungsschritte auslösen. Die Erstgenannte dagegen folgt der Auffassung, Handlungen seien nur nach der Absicht respektive der Werte des Handelnden zu bewerten, ungeachtet späterer Folgen. Gesinnungsethik passt sehr gut in Kinderbücher. Sie ist der moralische Zeigefinger, wenn es um Erziehungsfragen geht.

 

Nun wäre Deutschland ja in der tröstlichen Lage, dass es einen Wirtschaftsminister hat, der zwar nichts von Wirtschaft, aber nebst den Kinderbüchern auch etwas von Philosophie versteht. Kein Zweifel, dass er die Weber’schen Begriffe kennt. Weshalb enthält er sie seinem Volk vor? Vom ersten Moment dieses unseligen Krieges an hat sich die deutsche Ampel heillos in die Gesinnungsethik verrannt und stets so getan, als sei sie alternativlos. Wer abweiche, habe in der moralischen Mitte nichts verloren.

 

Man hat die Menschen glauben gemacht: Da müssen wir durch, koste es was es wolle, und sei es eine ganze Volkswirtschaft. Sei es um den Preis des gigantischen Umweltschadens, den dieser Krieg aufwirft. Sei es um den Preis der Verlogenheit (weiterhin wird russisches Gas eingekauft, einfach teurer, weil über Drittländer…). Wo aber bleibt Habecks, Scholz’, Baerbocks Verantwortung? Weshalb wagt der Philosoph Robert Habeck es nicht, seinen Mitbürgern die Begriffe an die Hand zu geben, die nötig wären, damit es die Dinge verstehen würde? Ganz einfach: Weil dann sein Etikettenschwindel auffliegen würde. Weil von seinem moralinsauren Gesülze nichts anderes bliebe als die Feigheit vor den falschen Freunden.

 

Gesinnungsethik ist gut für Kinderbuchautoren. Für Politiker in einem Exekutivamt aber kann es nur die Verantwortungsethik geben. Wer erklärt das dem Philosophen Habeck?

 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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