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Die unterschätzte Gefahr: Die Verharmlosung des Coronavirus und ihre Folgen

SARS-CoV-2 breitet sich nach wie vor aktiv auf dem Planeten aus (Fotomontage: DMZ)
SARS-CoV-2 breitet sich nach wie vor aktiv auf dem Planeten aus (Fotomontage: DMZ)

DMZ – GESUNDHEIT / WISSEN ¦ David Aebischer ¦  SARS-CoV-2 breitet sich nach wie vor aktiv auf dem Planeten aus (Fotomontage: DMZ)

 

In den letzten Monaten ist uns eine besorgniserregende Tendenz aufgefallen: Die Verharmlosung des Coronavirus, die nicht nur unter Experten und Politikern, sondern auch in den Medien zunehmend Raum zu finden scheint. Während die Welt weiterhin mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen hat, scheint die Ernsthaftigkeit des Virus in einigen Kreisen in den Hintergrund zu rücken. Diese Entwicklung wirft wichtige Fragen auf und fordert zum Nachdenken über die Auswirkungen und Herausforderungen auf, denen wir in diesem neuen Stadium der Pandemie gegenüberstehen.

 

Um sicherzustellen, dass unsere Berichterstattung sachlich, unaufgeregt und auf Fakten basiert, haben wir erneut Expertenrat eingeholt und uns mit unseren dringenden Fragen an den renommierten Prof. Antoine Flahault, MD, PhD, Epidemiologe und Direktor des Instituts für globale Gesundheit in Genf, gewandt.

 

 

DMZ: In welchem Maße stellen Sie eine Tendenz zur Verharmlosung des Coronavirus innerhalb der Expertengemeinschaft fest?

 

Prof. Antoine Flahault: Die durch COVID-19 verursachte übermäßige Sterblichkeit wird bisher auf weltweit über 27 Millionen Todesfälle geschätzt (https://ourworldindata.org/grapher/excess-deaths-cumulative-economist-single-entity), und sowohl die Expertengemeinschaft als auch die Bevölkerung und die politischen Führer haben offenbar nicht aus einer solchen Tragödie gelernt. Die Welt wollte die Seite wenden, sobald die WHO im letzten Frühling das Ende der „gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“ erklärt hat. Natürlich haben wir den Gesundheitsnotstand verlassen, der zu Beginn der Pandemie strenge Einschränkungen unserer Bewegungen und unserer öffentlichen Freiheiten auferlegte. Dennoch bleibt COVID-19 für einige nach wie vor eine gefürchtete und tödliche Krankheit, und das SARS-CoV-2 breitet sich nach wie vor aktiv auf dem Planeten aus, in allen Ländern, wobei es anhaltende Formen verursacht, die als Langzeit-COVID bezeichnet werden und die wir schlecht behandeln können. Es mutiert auch weiterhin in raschem Tempo und erzeugt neue Varianten, die zu neuen Wellen von Neuinfektionen, Krankenhauseinweisungen und Todesfällen zu jeder Jahreszeit führen.

 

"Dennoch bleibt COVID-19 für einige nach wie vor eine gefürchtete und tödliche Krankheit, und das SARS-CoV-2 breitet sich nach wie vor aktiv auf dem Planeten aus, in allen Ländern, wobei es anhaltende Formen verursacht, die als Langzeit-COVID bezeichnet werden und die wir schlecht behandeln können."

Prof. Antoine Flahault

DMZ: Welche Auswirkungen könnte diese Unterschätzung des Virus auf die öffentliche Wahrnehmung und die öffentliche Gesundheit haben?

 

Prof. Antoine Flahault: Es ist dringend erforderlich, jetzt verstärkt in Präventionsmaßnahmen zu investieren und ein epidemiologisches Überwachungssystem aufrechtzuerhalten, das den Herausforderungen einer solchen pandemischen Bedrohung gewachsen ist. Auf diesen beiden Ebenen scheinen die Gesundheitsbehörden fast aller Länder nachlässig geworden zu sein. Die Konsequenzen könnten schmerzhaft sein, wenn die Bevölkerung ihre Immunität verliert und schwere Formen von COVID-19 wieder auftreten, so wie es im Frühjahr und Herbst 2020 der Fall war, bevor wir wirksame Impfstoffe hatten. Oder wenn sich ein neuer Virusstamm als aggressiver erweist und die Immunität stärker umgeht als die vorherigen.

 

Glauben Sie, dass die Politik in verschiedenen Ländern dazu beigetragen hat, das Virus zu verharmlosen? Wenn ja, wie?

 

Prof. Antoine Flahault: Man kann die Bevölkerung nicht ständig im Ausnahmezustand halten. Es ist jedoch die Pflicht der Gesundheitsbehörden, öffentliche Maßnahmen zu ergreifen, die die Wachsamkeit aufrechterhalten, indem sie die Menschen angemessen über die Verbreitung des Virus und das Auftreten neuer Varianten auf ihrem Gebiet informieren. Indem sie ihr epidemiologisches Überwachungssystem abschaffen, haben die meisten Länder eher den Staub unter den Teppich gekehrt und sind nicht mehr in der Lage, die Verbreitung des Virus in der Gemeinschaft zu erkennen. Da die allgemeine Immunität in der Bevölkerung nach wie vor stark ist und vor schweren Verläufen schützt, gibt es keine Überlastung der Krankenhäuser, und das ist erfreulich. Aber alles trägt heute dazu bei, eine ansteckende Krankheit zu minimieren, die eine der tödlichsten in der Geschichte der Menschheit war. Sie tötet immer noch die am stärksten gefährdeten Menschen, nämlich die sehr alten Menschen und die immungeschwächten Personen, aber auch schwangere Frauen und Säuglinge.

 

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Medien bei der Verharmlosung oder Sensibilisierung der Öffentlichkeit in Bezug auf COVID-19?

 

Prof. Antoine Flahault: Die Medien in demokratischen Ländern spiegeln vor allem die öffentliche Meinung wider. Ihre Aufgabe besteht darin, Informationen zu liefern und die Analysen von Experten und politischen Verantwortlichen zu vermitteln, sowohl von denen, die regieren, als auch von der Opposition. Die Medien können nicht beschuldigt werden, eine entscheidende Rolle bei dem allgemeinen Wunsch gespielt zu haben, die Seite zu wenden, noch kann man ihnen vorwerfen, die Verbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung stärker zu leugnen als Experten oder Politiker. Die Medien sollten eher als ein Sprachrohr der öffentlichen Meinung betrachtet werden, wenn auch gelegentlich dazu neigend, diese zu verstärken.

 

" Die Medien sollten eher als ein Sprachrohr der öffentlichen Meinung betrachtet werden, wenn auch gelegentlich dazu neigend, diese zu verstärken."

Prof. Antoine Flahault

Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um die Bedeutung und Ernsthaftigkeit von COVID-19 besser zu vermitteln und der Verharmlosung entgegenzuwirken?

 

Prof. Antoine Flahault: Wir stellen fest, dass unsere Gesellschaften und unsere Führer eher dazu neigen, Krisen jeder Art zu bewältigen, als sie zu verhindern. Wir sind schlecht darin, aus Krisen zu lernen, und ziehen es vor, sie schnell zu vergessen und zum "Normalzustand" zurückzukehren. Es ist verständlich, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und die Wunden der beispiellosen Gesundheitskrise zu heilen. Aber wir sollten auch lernen, künftige Krisen besser zu antizipieren, insbesondere durch den Aufbau eines leistungsfähigen epidemiologischen Überwachungssystems. Wir könnten von den während der Pandemie erfolgreich durchgeführten Maßnahmen profitieren, insbesondere von den wiederholten repräsentativen Umfragen in der britischen Bevölkerung, die dem Vereinigten Königreich eine der besten epidemiologischen Überwachungen der Welt ermöglichten. Die Untersuchung von Abwasserproben stellt ebenfalls einen signifikanten Fortschritt im Bereich der epidemiologischen Überwachung von Infektionserregern dar. Wir sollten auch bessere Maßnahmen zur Vorbeugung von Infektionen und Neuinfektionen durch Atemwegsviren ergreifen, insbesondere durch die Verbesserung der Raumluftqualität, um das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern wie SARS-CoV-2, die hauptsächlich durch Aerosole in geschlossenen und schlecht belüfteten Räumen übertragen werden, zu reduzieren. Schließlich könnten wir bessere Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen unternehmen, um antivirale Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln, die das Ausmaß der durch das Coronavirus verursachten Bedrohungen verringern.

 

Fazit

Die Verharmlosung des Coronavirus, die in den letzten Monaten sowohl in Expertenkreisen als auch in der Politik und den Medien spürbar ist, wirft wichtige Fragen auf und erfordert eine kritische Auseinandersetzung. Trotz der anhaltenden Auswirkungen der Pandemie scheint die Bedrohung durch das Virus in einigen Bereichen in den Hintergrund zu rücken.

 

Die Politik spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Wachsamkeit und der Informationsverbreitung. Es ist nicht möglich, die Bevölkerung dauerhaft im Ausnahmezustand zu halten, aber die Gesundheitsbehörden sollten sicherstellen, dass sie angemessen über die Verbreitung des Virus und das Auftreten neuer Varianten informiert wird.

 

Die Medien haben die Verantwortung, die Öffentlichkeit objektiv und ausgewogen zu informieren, ohne zur Verharmlosung beizutragen. Sie sollten als Sprachrohr der öffentlichen Meinung agieren und die Analysen von Experten und politischen Verantwortlichen vermitteln.

 

Um die Bedeutung und Ernsthaftigkeit von COVID-19 besser zu vermitteln und der Verharmlosung entgegenzuwirken, sind umfassende Maßnahmen erforderlich. Dazu gehören der Aufbau eines leistungsfähigen epidemiologischen Überwachungssystems, die Nutzung innovativer Ansätze wie die Untersuchung von Abwasserproben, die Verbesserung der Raumluftqualität und verstärkte Bemühungen in der Forschung und Entwicklung von antiviralen Medikamenten und Impfstoffen.

 

 

Die Verharmlosung des Coronavirus sollte nicht dazu führen, die Risiken zu unterschätzen, die von diesem Virus immer noch ausgehen. Es ist entscheidend, wachsam zu bleiben und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und zukünftige Pandemien besser zu bewältigen.


Prof. Antoine Flahault

Direktor des Instituts für Globale Gesundheit

 

Dr. Antoine Flahault, Doktor der Biomathematik, wurde im Jahr 2002 zum ordentlichen Professor für Public Health berufen. Er hat eine beeindruckende Karriere und vielfältige Aufgaben in der Public-Health-Gemeinschaft wahrgenommen.

 

Er war der Gründungsdirektor der französischen Schule für öffentliche Gesundheit (École des hautes études en santé publique - EHESP) in Rennes, wo er von 2007 bis 2012 tätig war. Zudem diente er als Co-Direktor des Centre Virchow-Villermé for Public Health Paris-Berlin an der Université Descartes, Sorbonne Paris Cité. Des Weiteren hatte er eine wichtige Rolle als Co-Direktor der European Academic Global Health Alliance (EAGHA) und als Präsident der Agency for Public Health Education Accreditation (APHEA).

 

Seine Forschung konzentrierte sich auf das Feld der mathematischen Modellierung übertragbarer Krankheiten. Zusätzlich leitete er das WHO-Sonderforschungszentrum für elektronische Krankheitsüberwachung und koordinierte die Forschung zur Chikungunya-Krankheit im Indischen Ozean, wofür er 2006 den renommierten Inserm-Preis erhielt. Sein Engagement für die Wissenschaft zeigte sich auch in seiner Rolle als wissenschaftlicher Kurator der bedeutenden Ausstellung "Epidemik" in der Cité des Sciences et de l'Industrie (Paris, Rio und São Paulo).

 

Im Januar 2014 wurde Dr. Antoine Flahault zum Professor für öffentliche Gesundheit an der Medizinischen Fakultät der Universität Genf ernannt und gleichzeitig zum Gründungsdirektor des Institute of Global Health ernannt. Seine Leistungen und sein Ansehen in der medizinischen Gemeinschaft führten dazu, dass er zum korrespondierenden Mitglied der Académie Nationale de Médecine in Paris gewählt wurde.

Bis Januar 2014 hatte er mehr als 235 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht, die in Medline referenziert wurden. Dr. Antoine Flahault ist eine herausragende Persönlichkeit im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der epidemiologischen Forschung. 


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