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Migration ist ein großes Thema – werden wir dem gerecht?

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Nun streitet Deutschland über Migration. Überraschend ist wohl nur, dass es so lange gedauert hat, bis der politische Zirkus diesen „Dauerbrenner“ wieder erhitzt. Es dürfte nach meiner Einschätzung übrigens ein weiterer strategischer Fehler der Union sein, das zu tun. Auch dieses Klavier spielen andere besser!

 

Interessant – oder leider inzwischen wohl eher normal – ist, dass hier über Dinge laut gestritten wird, die kaum jemand wirklich kennt. Ein besonders gerne bemühter Punkt, sich zu empören, ist wie immer das Geld und ebenfalls wie immer ist da auch etwas aufregendes zu finden. Bei den meisten Diskussionen wird aber deutlich, dass weder die fraglichen Beträge wirklich bekannt sind, noch, dass eine Einordnung erfolgt. Also geht es, auch das ist wohl das neue Normal, über den Austausch von Empörung nicht hinaus.

 

Nun gibt es seit vielen Jahren eine mehr als diffuse Studienlage zur Frage, was die, ich nenne es mal „Flüchtlingsproblematik“ kostet, wie hoch also die ökonomische Belastung für uns ist. Das liegt aber nur an dem – gerechtfertigten – Versuch dieser Studien, neben den Brutto-Kosten auch weiteren Nutzen – oder auch Lasten – zu beziffern, um zu einer Netto-Belastung zu kommen. Das führt tatsächlich von einer Profitfeststellung bis zu wie auch immer bezifferten Nettokosten zu einer Spannbreite, die man nur als „strittiges Thema“ zusammenfassen kann. Dabei wird aber übersehen, dass die Brutto-Kosten tatsächlich – lassen wir den beliebten Streit der Deutschen über die zweite Nachkommastelle ausnahmsweise mal außen vor – in den Studien sehr ähnlich genannt werden.

 

Wenigstens diese kann man aus Dokumenten wie dem Bundeshaushalt oder den Erhebungen des Statistischen Bundesamts (siehe Charts) mal zur Kenntnis nehmen. Die genauen Zahlen sind etwas höher, da auch die Aufwendungen der Länder, die jedoch bereits überwiegend vom Bund erstattet werden und die der Kommunen hinzu kommen. Lässt man hier die Frage der Nachkommastellen wirklich mal außen vor, haben sich vor dem Ukraine-Krieg Eckwerte eingependelt, die ich ohne weitere Bewertung zunächst mal zusammenfassen möchte.

 

Demnach gibt Deutschland grob 30 Milliarden pro Jahr für die Folgen der, nennen wir sie mal „Flüchtlingskrise“ aus. Das sind grob etwas mehr als 3% unserer öffentlichen Haushalte. Der mit Abstand größte Posten davon sind knapp 10 Milliarden, die der Bund für sogenannte „Fluchtursachenbekämpfung“ ausgibt. Der Bundeshaushalt lässt leider wenig Einblick zu, was das ist. Klar wird nur, dass es sich um Aufwendungen für Maßnahmen in den wesentlichen Herkunftsländern der Flüchtlinge handelt. Mit dem, was rund um das Brandthema der hier bei uns gestrandeten Menschen passiert, hat das also nichts zu tun. Die unmittelbaren Leistungen für Flüchtlinge finden wir beim Statistischen Bundesamt. Das waren vor dem Ukraine-Krieg stets etwas mehr als 4 Milliarden, bei ca. 400.000 im Land befindlichen Empfängern. Das sind pro Person also ca. 10.000 EUR pro Jahr, manche Studien kommen hier auf 12.000 EUR, diese Nachkommastelle sei erwähnt.

 

Diese 4 Milliarden oder ca. 830 EUR pro Person und Monat umfassen ganz überwiegend Sachleistungen. Der größte Posten ist die Unterbringung, danach folgt neben den gerne empört diskutierten Gesundheitsleistungen ein Sammelsurium an Dienstleistungen, das sich, wenn Milliarden verteilt werden, sehr schnell bildet. Betreuung, Coaching, Integrationshilfe, Sprachschulung – es dürfte ein langer Katalog sein. Zu beachten ist hier der Geldfluss, denn diese Mittel fließen tatsächlich aus der Staatskasse an Immobilienbesitzer und diese vielen weiteren Dienstleister. Die tatsächlich an die Empfänger ausgezahlten Barleistungen werden von DESTATIS statistisch gar nicht mehr ausgewiesen.

 

Nebenbei bemerkt ist hier bereits ein Streitpunkt in den Studien. Denn in der Tat verbergen sich dahinter die vielen Einzelfälle, von denen wir – zurecht – lesen. Da wird so manches abbruchreife Hotel durch eine überforderte oder verfilzte Kommunalverwaltung einem unverdienten goldenen Herbst zugeführt und so mancher Dienstleister kassiert angenehme Stundenlöhne, um ohne jede Ergebniskontrolle welche Kenntnisse zur besseren Integration auch immer vermittelt. Nun kann man an der Stelle beliebig tief graben und sich weiter aufregen, das hat wie jede Detailfrage eine Berechtigung, man kann aber auch die Gesamtsumme zur Kenntnis nehmen und feststellen, dass bei 830 EUR pro Person das Volumen an Misswirtschaft keine unerfassbaren Größenordnungen haben dürfte.

 

Die weitaus spannendere Frage ist bereits, was mit den weiteren Mitteln passiert. Zieht man von den 30 Milliarden die genannten 10+4 ab, so verbleiben 16 Milliarden, also etwas mehr als die Hälfte. Auffällig ist dabei, dass wir durch den Ukraine-Krieg einen Anstieg der direkten Leistungen an Flüchtlinge auf 6,5 Milliarden sehen, also 2,5 mehr, die Gesamtsumme aber ändert sich gar nicht. Dieser Mehraufwand von 2,5 Milliarden scheint also in den Haushalten irgendwie sofort kompensierbar zu sein, eine gewisse „Flexibilität“ ist nicht zu verkennen.

 

Leider kann ich an der Stelle, wie die Studien zu dem Thema bestätigen, keine Aufklärung geben. Ein Großteil dieser Dunkelziffer von grob 50% der insgesamt in den Haushalten genannten Kosten entfällt sicher auf die Verwaltung. Der einzige offiziell bezifferte Teil davon ist der schlanke Betrag von einer Milliarde, die der Bund alleine für die Registrierung ausweist. Die Studien streiten an der Stelle über Verwaltungskosten zwischen 10% und 20% der Gesamtetats. Um das einzuordnen: Ob die Verwaltung also mehr, weniger oder recht genau so viel kostet, wie die unmittelbaren Leistungen an die Flüchtlinge ausmachen (von denen fast alles Sachleistungen sind) ist: Unklar!

 

Meine persönliche Wertung als Zwischenbemerkung an dieser Stelle: Ich sehe hier durchaus einen Punkt, der Empörung wert wäre – aber der findet in der öffentlichen Debatte leider nicht statt. Es ist wohl typisch, dass unsere prämoderne nondigitale Verwaltung so dysfunktional ist, dass bereits die Kosten für ihre Minder- und Fehlleistung nicht bekannt sind. Wer sich in der Praxis ein wenig mit Migration beschäftigt, weiß natürlich, dass die damit verbundene Bürokratie jenseits von Flüchtlingen bei allen Migrationsfragen die für unser Land immer häufiger feststellbare Kombination aus teuer und maximal hinderlich ist.

 

Das aber nur nebenbei, denn die bewertungsfreie Zusammenfassung lautet: Gut 3% unserer öffentlichen Haushalte, also 30 Milliarden werden laut Haushaltsführung für die „Flüchtlingskrise“ aufgewendet, ein Drittel davon, also 10 Milliarden für „irgendwas“ und „irgendwo“, gut die Hälfte für etwas, das in zahlreichen Studien erfolglos untersucht wird und jeweils so ca. ein Zehntel bis ein Fünftel für Verwaltung sowie direkte Leistungen an Flüchtlinge.

 

Der Streit über diese Daten ist damit natürlich nicht zu beenden, denn die Einordnung dieser Zahlen kann man sehr unterschiedlich vornehmen. So wird besagter Betrag von 10.000 bis 12.000 pro Jahr gerne verglichen mit deutschen Sozialhilfeempfängern, was man natürlich tun kann. Hier kommen sehr ähnliche Werte heraus, was auch nicht weiter überrascht. Wer also in Deutschland geboren ist und weshalb auch immer keine eigene Existenz aufbauen kann, erhält je nach Studie dasselbe oder auch – es seit erwähnt, dass die „Transparenz“ der prämodernen nondigitalen Verwaltung an der Stelle sehr ähnlich ist – bis zu einem Drittel mehr. Die eine Meinung lautet, dass das nicht überraschend, sondern zu erwarten ist, denn das dahinter stehende Versorgungsziel ist dasselbe: Ein Minimum zum Leben sicherstellen. Die andere Meinung lautet, der in Deutschland geborene sei nicht dem nach Deutschland geflüchteten gleichzustellen. Das ist Meinungssache, aber die Bewertung, das sei ein großer Anreiz nach Deutschland zu flüchten, ist schwer nachvollziehbar – und der Hinweis sei gestattet, dass die Freiheit, über diese Zuwendungen selbst zu entscheiden versus direkter und behördlich entschiedener Sachleistungen immer noch sehr groß ist.

 

Aus diesem Vergleich wird übrigens gerne abgeleitet, Flüchtlinge erhielten dieselben Leistungen unseres Sozialstaats wie die Deutschen. Äh, nein, das ist „leicht“ falsch eingeschätzt, denn die Summe aller Sozialetats in Deutschland liegt inzwischen jenseits von einer Billion und das ist der mit Abstand größte Etat in unserem Land. Hier, ich wiederhole das mit der Verwaltung ungern, gibt es natürlich ebenfalls eine sehr bunte Studienlage, wie viele Leistungsempfänger aus diesen Etats bedient werden, aber um das an der Stelle nicht in ein vermutlich noch tieferes Thema abgleiten zu lassen sei versichert: Es ist deutlich mehr als 830 EUR pro Monat und Empfänger. Zurecht natürlich, denn der Großteil dieser Empfänger hat dafür vorher Leistungen in welches Versorgungswerk auch immer eingezahlt. Wenngleich nämlich genau dieses Prinzip gerne angezweifelt wird, darf man auch zum deutschen Sozialstaat immer noch feststellen, dass der keine Wundertüte für ein prächtiges Leben ohne Gegenleistung ist.

 

Abschließend erlaube ich mir einen kurzen Meinungsbeitrag dazu. Zunächst mag man diskutieren, ob wir „so viele“ Menschen in Deutschland aufnehmen sollten, wie die Verteilung in Europa funktioniert oder nicht. Was sich bei einem Rest an menschlichen Werten nicht diskutieren lässt, ist eine angemessene Versorgung der hier nun mal wie auch immer gestrandeten. Die Art und Weise, wie das organisiert und verwaltet wird, auch die mangelnde Transparenz sowohl dieser Verfahren als auch der Kosten – das alles ist nicht akzeptabel. Dass wir dabei viel Geld verschwenden, steht für mich außer Frage, aber erheblich ist das nicht. Ob dabei eine angemessene Versorgung dieser Menschen geleistet wird, halte ich im Ergebnis für kaum zu bewerten und auch das ist nicht akzeptabel. Insofern gibt es auch für mich hier eine ganze Reihe empörungswürdiger Punkte, die aber nicht die allgemein diskutierten sind.

 

Was die gesamte Situation für unsere innere Sicherheit sowie gesellschaftliche Entwicklung bedeutet, habe ich hier ganz bewusst ausgeblendet, denn das dehnt dieses ohnehin große Thema ins uferlose. Ebenso sollte klar sein, dass das Thema Migration mit den hier gestrandeten Flüchtlingen und deren Versorgung nur angedeutet ist. Bezogen auf unsere ökonomischen und auch gesellschaftlichen Interessen ist vor allem festzustellen, dass wir von den positiven Aspekten der Migration viel zu wenig profitieren. Schon immer waren Spitzenleistungen eines Landes ohne Immigration nie möglich. Die Entwicklung Preussens, des Ruhgebiets, der Aufstieg der USA, das so genannte „Wirtschaftswunder“ des Nachkriegsdeutschlands, es gibt keine nationale Erfolgsgeschichte ohne Immigration. In der jüngeren Vergangenheit wären unsere Technologiesektoren in allen Bereichen – Ingenieure, ITler etc. – ohne Immigration nicht möglich gewesen. Inzwischen können wir aber auch feststellen, dass viele weitere Branchen und Dienstleistungen ohne Immigration in Deutschland nicht mehr existieren können, von der Gastronomie bis zu nichts geringerem als unserem Gesundheits- und Pflegesystem geht ohne Immigration gar nichts mehr.

 

Vom Hightech-StartUp bis zum Pflegeheim – wenn es uns nicht gelingt, attraktiver für Immigranten zu werden, wenn wir nicht die weltweit in Bewegung befindlichen Experten und auch breiter aufgestellten Arbeitskräfte zu uns holen, werden unsere Demografie und auch die technologisch erzwungene Zunahme der Expertise-Anforderungen unseren Standort in einer Art belasten, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Der Immigrationsbedarf wird nämlich weiter wachsen. Zugleich beginnt ein anderer Prozess, denn Migration bedeutet auch Emigration und die deutet nach jüngeren Daten an, dass wir durch Rückständigkeit und fehlende Moderne von Staat und Gesellschaft nicht selbstverständlich davon ausgehen können, dass es nur darum geht, wer zu uns kommen möchte, sondern dass uns auch immer mehr Menschen verlassen. Ich hatte dazu kürzlich erst die Daten zu den Erfindungen von Immigranten und Emigranten präsentiert – von letzteren sehen wir immer mehr und auch das gehört zum Migrationsthema dazu.

 

Was nun Flüchtlingswellen betrifft, sei es aufgrund von Kriegen, politischen Verhältnissen, aufgrund von ökonomischen Ungleichgewichten oder – wird ja auch gerne verdrängt – wegen der sich dramatisch verändernden klimatischen Umweltbedingungen, so ist dieser Teil der Migrationsbewegungen insbesondere aus Asien und Afrika gerade erst in so etwas wie einer Aufwärmphase. Auch hier haben wir einen wissenschaftlich schon lange sehr präzise analysierten Prozess vor uns, der systematisch verdrängt wird. Dass einige Milliarden Menschen zu Migranten werden und diese Wucht insbesondere Europa herausfordern wird, dürfte zu einem „überraschenden“ Thema mehr werden. Schaut man sich die geopolitischen Stiefel, nicht zuletzt die militärischen an, die von China und Russland in den entsprechenden Regionen Asiens und der Subsahara aufgestellt werden, darf man von so mancher Überraschung ausgehen, die angesichts des operativen Desasters um die paar Hunderttausend noch „spannend“ werden dürfte.

 

Wer in diesem Kontext die 400.000 bei uns in dieser Art versorgten Menschen für viel hält, denkt, das sei mit 3% unserer Ausgaben dauerhaft zu handhaben und glaubt, man könne das durch „Grenzsicherung“ alles viel besser erledigen, darf natürlich bei der AfD von einer Alternative für unsere ökonomischen und sozialen Belange träumen oder einem Unions-Vorsitzenden gratulieren, der sich über Arzttermine sorgt.

 

Besser wäre es, die Themen, über die man sich aufregt, wenigstens quantifizieren zu können und die Themen, für die wir Persönlichkeiten brauchen, die der Größe der Aufgabe gewachsen sind, wenigstens zu erkennen. Migration ist ein gewaltiges Zukunftsthema, das Risiken beinhaltet, denen wir mit unserer heutigen Aufstellung nicht näherungsweise gewachsen sind und das zugleich Chancen bietet, die wir typischerweise kaum beachten und daher auch nicht nutzen. Jedes Land, das Zukunft haben will, muss zu einem aktiv gestalteten Einwanderungsland werden. In unserem politischen Spektrum finden sich weder an den linken, noch an den rechten Rändern die Antworten auf diese Gestaltung. Daher ist jede Politik, die sich diesen Rändern widmet oder nähert ein fataler Fehler!

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