CH: Technology Outlook 2023 - 50% der Start-up-Gründer stammen aus dem Ausland

V.l.n.r: Wir werden wir in Zukunft leben? Paneldiskussion mit Benedikt Knüsel (ETH Zürich), Marco Salvi (Avenir Suisse), Judith Bellaiche (Swico), Mirko Kovac (Empa), Sirpa Tsimal (Switzerland Global Enterprise) und Matthias Michel (FDP). Bild: SATW
V.l.n.r: Wir werden wir in Zukunft leben? Paneldiskussion mit Benedikt Knüsel (ETH Zürich), Marco Salvi (Avenir Suisse), Judith Bellaiche (Swico), Mirko Kovac (Empa), Sirpa Tsimal (Switzerland Global Enterprise) und Matthias Michel (FDP). Bild: SATW

DMZ – ARBEITSWELT ¦ David Aebischer ¦                     V.l.n.r: Wir werden wir in Zukunft leben? Paneldiskussion mit Benedikt Knüsel (ETH Zürich), Marco Salvi (Avenir Suisse), Judith Bellaiche (Swico), Mirko Kovac (Empa), Sirpa Tsimal (Switzerland Global Enterprise) und Matthias Michel (FDP). Bild: SATW

 

Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) hat den neuen Technology Outlook 2023 vorgestellt. Dieser vereint die Erkenntnisse von 183 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Industrie, um einen Blick auf die zukünftige Entwicklung der Schweiz zu werfen.

 

Die Vernissage fand im Hauptgebäude der ETH Zürich statt und bot rund 300 Gästen die Gelegenheit, Einblicke in bevorstehende technologische Entwicklungen, Herausforderungen und Chancen für die Schweizer Gesellschaft zu gewinnen. Die Studie ist unter technology-outlook.ch verfügbar und präsentiert wegweisende Technologien, vielversprechende Industrieanwendungen sowie nationale und internationale Trends.

 

Gemäß Medienmitteilung führen neue Technologien oft zu drastischen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Daher ist es von großer Bedeutung, Orientierung zu bieten und sowohl die Bedeutung dieser Technologien für die Volkswirtschaft als auch ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft zu beleuchten. Claudia Schärer, die die Studie seit 2016 leitet, betont: "Der Technology Outlook wirft einen Blick auf die facettenreiche Technologiewelt von morgen, die uns fasziniert und inspiriert, aber auch Ängste wecken kann. An der Vernissage wurden mit den Schwerpunkten Gesundheit, Ernährung und Bauen Bereiche beleuchtet, die ein besonderes Innovations- und Transformationspotenzial haben."

 

Die unabhängige Studie hebt insbesondere in drei Bereichen gute Chancen für die Schweiz hervor: Interdisziplinarität, Hightech- und Nischenanwendungen sowie Wissensexport. Die Schweiz als Forschungs- und Wirtschaftsstandort profitiert von Ökosystemen, in denen Akteurinnen und Akteure aus verschiedenen Forschungsbereichen und Industrien zusammenkommen, und ist daher prädestiniert für interdisziplinäre Lösungen. Diese sind insbesondere bei der Entwicklung innovativer Technologien gefragt, die in verschiedenen Bereichen für höhere Effizienz, verbesserte Sicherheit und effektiveren Umweltschutz sorgen, erklärt die Studienleiterin.

 

"Bestimmte Technologien wie Bioplastik, der digitale Zwilling oder antimikrobielle Oberflächen bieten in Hightech- und Nischenmärkten interessante Geschäftsfelder für Unternehmen jeder Grösse. Zudem liegt es nahe, dass die Schweiz bei einigen dieser Technologien eine Vorreiterrolle übernimmt und Know-how exportiert, anstatt nur Produkte zu liefern. Dazu gehören Technologien wie Mobilitätskonzepte, Negativemissionstechnologien und personalisierte Ernährung", so Schärer.

 

Der Technology Outlook der SATW zeichnet sich durch seine thematische Breite, seinen kurz- bis mittelfristigen Zeithorizont und seine freie Verfügbarkeit aus. Er unterscheidet sich auch durch seinen Fokus auf die Schweiz von ähnlichen Analysen. Die Studie basiert auf Interviews mit 183 Expertinnen und Experten von 89 Institutionen, darunter CSEM, EPFL, ETH Zürich, IBM, Migros Industrie, Mobility und Nestlé. Sie bewertet Technologietrends hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Forschungs- und Arbeitsplatz Schweiz und vergleicht die Entwicklungen im Land mit denen in anderen Ländern. Die aktuelle Ausgabe präsentiert insgesamt 32 Technologien und 22 Schweizer Industrie-Showcases sowie nationale und internationale Trends. Das Herzstück bildet die Quadrantendarstellung, die die volkswirtschaftliche Bedeutung und die Forschungskompetenz für jede Technologie sichtbar macht.

 

Welche Rolle spielen Wirtschaft und Politik?

Zum Abschluss der Veranstaltung diskutierten Judith Bellaiche (GLP, Swico), Mirko Kovac (Empa), Matthias Michel (FDP), Marco Salvi (Avenir Suisse) und Sirpa Tsimal (Switzerland Global Enterprises) gemeinsam mit Moderator Benedikt Knüsel (ETH Zürich) darüber, welchen Gestaltungsspielraum die Schweizer Gesellschaft in Bezug auf Technologien, ihren Einsatz und Innovation hat.

 

Mehrfach wurde betont, dass Kooperationen, insbesondere über Landesgrenzen hinweg, unerlässlich sind. Es wurde auch darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, das Potenzial der in der Schweiz lebenden Fachleute noch effizienter zu nutzen. Tatsache ist, dass 50 Prozent der Start-up-Gründerinnen und Gründer aus dem Ausland stammen, die Hälfte des Schweizer BIP auf Innovation zurückzuführen ist und hochqualifizierte Fachkräfte benötigt werden. Diese gilt es zu gewinnen und langfristig zu halten. Dafür braucht es adäquate Rahmenbedingungen, welche die Politik und Wirtschaft gemeinsam schaffen, denn der Wettbewerb um hochqualifizierte Fachleute ist global. Wenn die Schweiz zukunftsfähig und innovativ bleiben möchte, muss sie mitziehen. Und dafür braucht es das richtige Mindset sowie Wählerinnen und Wähler, die diese Bedingungen einfordern.

 

Um einen tieferen Einblick in die Schlüsselerkenntnisse des Technology Outlook 2023 und die Bedeutung der vorgestellten Technologien für die Schweiz zu erhalten, haben wir den Veranstaltern einige Fragen gestellt. Im Folgenden finden Sie unsere Fragen an Fr. Claudia Schärer, die diese Aspekte genauer beleuchten.

Dr. Claudia Schärer, Leiterin Foresight, Swiss Academy of Sciences (SATW) (Bild SATW)
Dr. Claudia Schärer, Leiterin Foresight, Swiss Academy of Sciences (SATW) (Bild SATW)

Welche Haupterkenntnisse oder bahnbrechenden Technologien wurden im neuen Technology Outlook der SATW hervorgehoben?

 

In der neuen Ausgabe liegt ein stärkerer Fokus auf den Materialien und Fertigungsverfahren. Dazu gehören beispielsweise die photonisch integrierten Schaltkreise (PICs), der CO2-arme Beton, faseroptische Sensoren, wärmeleitende elektrische Isolatoren und die additive Fertigung. Es sind alles sogenannte Enabler-Technologien, die unter anderem für den Umbau des Energiesystems und beim Erreichen der Klimaziele eine entscheidende Rolle spielen werden. In den Life Sciences werden viele Entwicklungen wie Druck von Organen, Bioinspiration, das Mikrobiom oder die synthetische Biologie thematisiert, die wichtige Bausteine auf dem Weg zur personalisierten Medizin sind. Und last but not least: Die digitalen Technologien bleiben unverändert wichtig und ziehen sich als Querschnittsthema durch alle anderen technologischen Entwicklungen. Im Technology Outlook liegt der Fokus darauf, wie KMU diese Technologien sinnvoll und gewinnbringend für sich einsetzen können.

 

Wie hat sich die Anzahl der Expertinnen und Experten, die an dieser Ausgabe des Technology Outlook mitgewirkt haben, im Vergleich zu früheren Ausgaben entwickelt?

 

Die Anzahl der mitwirkenden Expertinnen  und Expertennimmt von Ausgabe zu Ausgabe zu: Waren es 2019 noch rund 40 Expertinnen und Experten, waren es 2021 bereits 70 und in der aktuellen Ausgabe 183. Dies widerspiegelt die Bemühungen, eine Technologie von mehreren Expertinnen und Experten beschreiben zu lassen, aber auch den verstärkten Einbezug aller Landesregionen und aller führenden Institutionen, um so Qualität und Aussagekraft zu erhöhen. Mit jeder Ausgabe steigt zudem die Bekanntheit der Publikation und damit auch das Interesse der Expertinnen und Experten mitzuwirken.

 

Welche Bedeutung hat die Interdisziplinarität für die technologische Entwicklung und Innovation in der Schweiz?

 

Um zukünftigen Herausforderungen wie der Energiewende und dem Klimawandel zu begegnen, ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen gefragt. Dies gelingt nur, wenn das Innovationsökosystem so ausgestaltet ist, dass diese Disziplinen räumlich «Nachbarinnen» sind: Ingenieurwissen muss auf Natur- und Geisteswissenschaften treffen, Grundlagenforschung auf angewandte Forschung. Dies ist in den Großräumen Zürich und Lausanne der Fall. Denn es gilt: Kurze Wege und der persönliche, unkomplizierte Austausch – auch beim Feierabendbier – fördern das Entstehen von Innovationen.

 

Inwiefern trägt die Schweiz zur weltweiten Technologieentwicklung bei, insbesondere im Bereich der Hightech- und Nischenanwendungen?

 

Präzision und Qualität prägen den Hightech- und Nischenmarkt den – und genau diese Eigenschaften sind die DNA der Schweizer Fertigung. Die Kundinnen und Kunden sind bereit, für hochwertige Nischenprodukte höhere Preise zu bezahlen, was für die Schweiz als Hochlohnland ein Vorteil ist. Swissness ist in diesem Fall nicht nur ein Verkaufsargument, sondern auch eine Treiberin der Innovation, um neue Hightech- und Nischenmärkte zu erschließen.

 

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik, um die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien in der Schweiz zu fördern? Welche politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind erforderlich, um die Innovationskraft der Schweiz zu erhalten und auszubauen?

 

Das Schlüsselwort ist Zusammenarbeit – zwischen den Disziplinen, aber auch zwischen der akademischen Forschung und der Wirtschaft. Dazu eignen sich beispielsweise Hightech-Zentren oder Innovationscampus, in denen Hochschulen und Wirtschaft gemeinsam forschen und entwickeln, die Heim für Unternehmen jeglicher Größe sind und in denen die Kosten für teure Infrastruktur geteilt werden können. Auch transdisziplinäre Forschungsprogramme, die Hochschulen, Firmen und Netzwerke einbeziehen und ganze Wertschöpfungsketten abbilden, fördern die Kollaboration innerhalb der Schweiz. Unterstützend wirken Förderangebote in der angewandten Forschung wie das BRIDGE-Programm von Innosuisse. Zudem sollte die Gesetzgebung, die bei disruptiven Innovationen häufig hinterherhinkt, so ausgestaltet werden, dass sie entstehende – oder bereits entstandene – Innovationen nicht hemmt, sondern in die richtigen Bahnen lenkt. Ein Hindernis für die zukünftige Innovationskraft der Schweiz ist die Einstufung der Schweiz als Drittstaat bei Horizon Europe: Es fehlen nicht nur Forschungsgelder, sondern auch internationale Kontakte und Kollaborationen.

 

Wie plant die Schweiz, hoch qualifizierte Fachkräfte anzuziehen und zu halten, um in der globalen Innovationslandschaft wettbewerbsfähig zu bleiben? Welche konkreten Schritte schlagen Sie vor, um sicherzustellen, dass das Potenzial der in der Schweiz lebenden Fachkräfte bestmöglich genutzt wird?

 

Für ausländische Fachkräfte sind transdisziplinäre Ökosysteme wie das Cluster in Zürich mit der ETH Zürich, der Universität Zürich, der ZHAW, dem Wyss Center, der Empa und zahlreichen Hightechfirmen aller Größen attraktiv – sowohl als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer aber auch als Firmengründerin und Firmengründer. Für letztere ist auch die exzellente Qualität der Hochschulausbildung und demnach das hohe fachliche Niveau der Schweizer Studienabgängerinnen und Studienabgänger ein Pluspunkt zugunsten der Schweiz. Damit dies so bleibt, braucht es moderne und attraktive Curricula, welche zur Ausbildung der gesuchten Fachkräfte beitragen. Das sollte auch Weiterbildungsangebote umfassen, die den Arbeitnehmenden erlauben, ihre Fähigkeiten an die sich ändernden Bedürfnisse anzupassen. Zudem braucht die Schweiz nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Zukunft im Labor sehen, sondern auch solche, die den Schritt ins Unternehmertum wagen; entsprechende Masterstudiengänge entstehen und sollten nach einer Testphase ausgeweitet werden.

 

Kooperationen sollten ermutigt, gefördert und gepflegt werden – sowohl im Ausland als auch in der Schweiz. Wichtig ist in dem Zusammenhang die Vollassoziierung an Horizon Europe, aber auch die Integration ausländischer Fachkräfte in die Schweizer Forschungslandschaft und die Erweiterung deren Netzwerke mit Schweizer Kontakten.

 

Wie können sowohl Männer als auch Frauen in der Schweizer Gesellschaft dazu beitragen, die Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft des Landes zu stärken?

 

Wichtig scheint mir, dass sich die Bevölkerung mit Technologien sowie den daraus resultierenden Möglichkeiten, Chancen und Risiken beschäftigt. Wie kann eine Technologie dazu beitragen, die zukünftigen Herausforderungen zu lösen? Was ist der Schweizer Beitrag? Diese Fragen sollte die Wissenschaft in einer allgemein verständlichen Sprache beantworten. Nur so kann Begeisterung und Stolz für den Forschungsplatz Schweiz entstehen – und nur so kann die Bevölkerung ein Mindset entwickeln, das sich auf Neues einlässt und Innovation unterstützt. Neugier, aber auch kritisches Denken sind demnach die Grundvoraussetzungen, um die Zukunftsfähigkeit zu stärken.

 

Über die SATW

 

Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften SATW ist das bedeutendste Expertennetzwerk im Bereich Technikwissenschaften in der Schweiz und im Kontakt mit den höchsten Schweizer Gremien für Wissenschaft, Politik und Industrie. Das Netzwerk besteht aus gewählten Einzelmitgliedern, Mitgliedsgesellschaften sowie Expertinnen und Experten. Die SATW identifiziert im Auftrag des Bundes industriell relevante technologische Entwicklungen und informiert Politik und Gesellschaft über deren Bedeutung und Konsequenzen. Als einzigartige Fachorganisation mit hoher Glaubwürdigkeit vermittelt sie unabhängige, objektive und gesamtheitliche Informationen über die Technik – als Grundlage für eine fundierte Meinungsbildung. Die SATW fördert auch das Technikinteresse und -verständnis in der Bevölkerung, insbesondere bei Jugendlichen. Sie ist politisch unabhängig und nicht kommerziell. www.satw.ch


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