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DE: Der Automobilsektor ist mitten in einer Disruption – das ist nicht Folge „dummer“ Politik

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Die Bedeutung Deutschlands, seiner Ansichten, Wünsche und auch seiner Märkte für den Planeten bewegt sich irgendwo in der Nähe der Nulllinie.

 

Das ist weder überraschend, noch besonders schlimm, denn im Gegenteil konnte dieses Land immer wieder im positiven doch eine gewisse Bedeutung erreichen, wenn es genau diese Ausgangslage akzeptierte. Erfolgreiche Zeiten hatten wir, als uns die eigentlich nicht existierende Bedeutung bewusst war und wir daraus abgeleitet hatten, weltweit irgendwas besser zu machen als die bisher besten. Das waren beispielsweise die Gedanken von Krupp & Co, die in einer Zeit entstanden sind, als die Industrialisierung der Welt durch die Briten dominiert wurde. Nachdem zwei Vollkatastrophen, eine unter maßgeblicher, eine unter führender Gestaltung Deutschlands den Planeten erschütterten, beide begleitet von dem Gedanken, die eigene Geltung ausweiten zu wollen, kam wieder eine erfolgreiche Phase, in der unter Anderem die hiesige Automobilindustrie vieles besser machte als die besten woanders.

 

Das ist bereits seit einigen Jahren vorbei. Nichts könnte das besser ausdrücken als das erste Chart, welches in der gelben Fläche die Wertentwicklung von Tesla ausdrückt. Die rote Linie ist der vielleicht noch besser aufgestellte oder zumindest Tesla herausfordernde chinesische BYD-Konzern. Die oben zitierte Nulllinie sind die Daten von VW, BMW und Daimler, ich kann mich nicht dafür entschuldigen, dass man diese Linien in dem Chart eigentlich nicht erkennen kann. Es sei versichert: Sie sind da – oder gewissermaßen auch nicht.

Noch vor zwei Jahren sagte mir ein Führungsmitarbeiter von VW, Tesla sei nur ein mittelständischer Hersteller mit Qualitätsproblemen in der Fertigung. Da war die Messe sogar schon lange gelesen. Diskutiert man über diese Börsenbewertung, hört man gerne, das sei alles nur nichtssagende Spekulation, Börse nun mal. Ich will nicht ausschließen, dass es an der Börse so etwas gibt, aber wenn dabei eine Billion Dollar zusammen kommt, sollte man nicht mehr nur von Idioten ausgehen, die mit nichts geringerem als ihrem oder von ihnen verantworteten Geld blind um sich werfen.

 

Dabei geht es gar nicht um Tesla. Man wird auch gerne als „Tesla-Fanboy“ diskqualifiziert, eine sehr gerne genutzte Unart, um Debatten zu verweigern. Was wir hier sehen, ist nichts anderes als eine Disruption und diese hier hat sich nicht nur sehr schnell entwickelt, sie kommt nun mit einer sprunghaften Geschwindigkeit in ihre Wirkphase. Dieser Prozess ist von seinem Ablauf sogar noch dynamischer als die Digitalisierung, wobei man ihn natürlich auch durchaus als Teil dieser bewerten kann – was mein Standpunkt ist. Wer in diesem Prozess unter die Räder kommt, das Wortspiel sei gestattet, wer ihn einfach nur irgendwie überlebt und wer ihn gestaltet, ist vollkommen offen. Selbst eine Tesla kann sehr schnell stolpern, das ist in der Digitalisierung oft passiert. Man erinnere sich an die sogenannte Dotcom-Krise, als viele Hypeunternehmen untergingen oder an Fälle wie Yahoo&Co, als sogar größere Internet-Unternehmen fast schon zusammen gefallen sind.

 

Das waren stets Phasen, in denen viele sich bestätigt fühlten, das sei doch alles nur Hype, noch längst nicht relevant, nur vorübergehend. Dabei waren die Trends längst nicht mehr zu stoppen und jedem untergegangenen Unternehmen folgten nur andere, die noch erfolgreicher waren. Dass dabei Entwicklungen wie Google, Amazon und Apple, um das chronologisch zu nennen, in aller Öffentlichkeit messbar, nachweisbar, sichtbar auf ihren Wegen waren und trotzdem ignoriert wurden, ist bis heute kaum nachvollziehbar.

 

Jetzt wiederholt sich das in der Automobilindustrie. Was es dazu an Ignoranz in unserer Gesellschaft und leider auch Industrie immer noch gibt, könnte die ignorante Haltung in der Digitalisierung in ein neues Kapitel überführen. Dieses hier ist leider für Deutschland wesentlich relevanter, denn die Tatsache, dass es in ganz Europa keinen relevanten Internetkonzern gibt, dass die ganze Plattformökonomie an uns vorbei gegangen, bei uns aber zugleich so wirksam, wie global ist, darf man vielleicht noch als verpasste Chance historischen Ausmaßes bezeichnen. Das hier aber betrifft unseren industriellen Kern, hier geht es nicht darum, ganz neue Dinge zu verpassen, hier sprechen wir von dem, was eine unserer wichtigsten ökonomischen Existenzgrundlagen ist.

 

Nun liegen diese vielen Zahlen „plötzlich“ auf dem Tisch, die Trends lassen sich nicht mehr ignorieren, sie beschleunigen im Gegenteil sprunghaft. Die Botschaft ist klar: Die Zukunft des Automobils ist batterieelektrisch. Die technischen Kernkompetenzen lauten Software/KI und Batterietechnologie, übrigens nicht trennbar, denn Batterie ist mehr als Zelle und Batteriemanagement ist überwiegend Software. Außerdem zeichnet sich ab, dass das Geschäftsmodell der Zukunft „Plattform“ heißt, vom Auto über die Nutzung bis zum Ladenetz. Vielleicht tut hier noch viel mehr, denn da sind sie bereits, die Googles, die führend sind bei den autonomen Fahrzeugen, der Navigation, der Reisebegleitung, den digitalen Services rund um die Mobilität, die längst dabei sind, ein Betriebssystem für Autos zu entwickeln, die vielleicht sogar noch besser dastehen, als Tesla.

 

Das alles geht tief bis in die lange behauptete Kernkompetenz der deutschen Hersteller, die Produktion. E-Autos sind billiger herstellbar, viel weniger komplexere Produkte bezüglich der Hardware, höherer Automatisierungsgrad, höhere Margen. Die weiteren Kompetenzen, insbesondere Software, KI, Dienste, Ökosysteme – alles bestens skalierbar. Die neu entstehenden Geschäftsmodelle, alle wesentlich vielfältiger, bessere Margen, andere Balance der Ertragsstrukturen. Die weiteren Trends, Leistung von Batterien, Degression von Preisen, das alles ist längst nicht abgeschlossen. Die Schere zu Verbrennern wird weiter aufgehen, die Leistungs- und auch die Wettbewerbsvorteile von E-Autos zunehmen.

 

Bezüglich der essentiellen Kernkompetenzen liegen die deutschen Hersteller hier weit hinten. Hält aber viele in Politik und Gesellschaft nicht ab, alles weiter zu ignorieren. Das fängt mit neuen „Dolchstoßlegenden“ an, das sei Ergebnis einer wirtschaftsfeindlichen Politik. Lange war Merkel schuld, die den Diesel nicht gerettet hat, jetzt ist es der Habeck mit „seinem“ „Verbrennerverbot“. Was für ein Unfug, wenn der Politik ein Vorwurf zu machen ist, dann ist es ein genau gegenteiliger: Zu lange hat man sich zu technologienah und genau nicht technologieoffen vor den Karren der europäischen Industrie spannen lassen, die wohl die irrwitzige Idee hatte, man könne als europäische Industrie mit den eigenen Regierungen in der Tasche diese Entwicklungen am Weltmarkt wahlweise verhindern oder die eigenen Technologien durchsetzen. Wie maximal falsch diese Idee war, ist bei dem hilflosen Dieselbetrug sichtbar geworden. Da haben sich die kleinen, unbedeutenden USA nicht den Bestimmungen, die von europäischen Herstellern in die Normverfahren eingebracht wurden, überzeugen lassen und da half nur noch Betrug. In vielen Augen war auch da Merkel schuld.

 

Ebenso hilflos sind die vielen ignoranten Bewertungen, die sich gerade breit machen. Das geht von E-Fuels, über die vielen Nachteile des E-Autos bis zu den nationalen oder europäischen Zulassungszahlen. Sowohl Autoren in den Medien als auch Kommentatoren in Sozialen Medien werden nicht müde, wahlweise die Misserfolge von E-Autos oder die Vorteile des Diesels irgendwie wieder zu begründen. Von der Anzahl der Berichte sind die qualifizierten und schonungslosen Analysen leider immer noch die Ausnahme. Es muss wohl mal wieder maximal schmerzhaft krachen, bis wir unsere in erfolgreichen Zeiten aufgebaute Arroganz, die in der Krise dann nahtlos in Ignoranz übergeht, überwinden können.

 

Das wird passieren – und dann erst wird es wieder besser. Die meisten Hersteller sind nach meinem Eindruck gerade irgendwo beim Ende der Ignoranz und dem Beginn des Aufbruchs. Ich bin daher erstmals seit Jahrzehnter der Beobachtung dieses Bereichs mit dem Blickwinkel der Digitalisierung optimistisch, dass es nun wieder besser wird. In den Zahlen werden wir das für viele Jahre noch nicht sehen, aber das stört meinen Optimismus gar nicht. Die jetzt kommenden Daten wurden vor zehn Jahren verursacht, nun beginnt tatsächlich Phase, in der wir für bessere sorgen werden. Als Digitalisierungsexperte warne ich zugleich jetzt schon davor, sich nur an Tesla oder BYD zu orientieren, ich halte Google&Co für die größere Herausforderung.

 

Politik und Gesellschaft machen aber mehr Sorgen als die Industrie. Die Industrie verabschiedet sich gerade von der Ignoranz-Phase – leider auf brutale Weise. Was Politiker aber erzählen und wie viel denen folgen, lässt leider vermuten, dass die Ignoranz dort gerade erst beginnt. Wer sich Sorgen über unseren Standort macht, sollte mitwirken, für unsere Industrie ein weniger ignorantes Umfeld zu schaffen. Das könnte helfen, in dieser Disruption besser und schneller zu reagieren.

 

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