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Forschende des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der Universität Barcelona haben das merkwürdige Verhalten von Mikrogelen entschlüsselt. Bei ihren Messungen mit Neutronenstrahlen stießen sie an die Grenzen der Messtechnik und konnten das Verhalten der Mikrogele erklären. Die Ergebnisse eröffnen neue Anwendungsmöglichkeiten in der Materialforschung und Pharmazie.
Kolloide sind winzige Partikel oder Tröpfchen, die fein in einem Lösungsmittel verteilt sind. Ein Experiment vor 15 Jahren zeigte, dass weiche Partikel, sogenannte Mikrogele, schlagartig schrumpfen, wenn ihre Konzentration über eine bestimmte Schwelle erhöht wird. Dabei ziehen sich große Partikel auf die Größe ihrer kleineren Nachbarn zusammen, auch wenn sie keinen direkten Kontakt zueinander haben. Dieses Phänomen verwirrte die Forschenden, da sie sich fragten, wie ein Gelpartikel die Größe seines Nachbarn kennt, ohne ihn zu berühren. Gab es eine Art "Gedankenübertragung" bei Mikrogelen?
Eine im Jahr 2016 veröffentlichte Arbeit des Physikers Urs Gasser und seines Forschungsteams erklärte dieses Phänomen. Die Mikrogele bestehen aus langen Kohlenstoffketten, die an einem Ende eine schwache negative Ladung tragen. Diese Ketten bilden ein Knäuel, das Mikrogel, ähnlich einem Wollknäuel mit Schwamm-Eigenschaften. Innerhalb dieses dreidimensionalen Gewirrs existieren negative Ladungspunkte, die positiv geladene Ionen aus der Flüssigkeit anziehen. Diese Ionen ordnen sich um die negativen Ladungen herum an der Oberfläche des Mikrogels an und bilden eine positive geladene Wolke. Wenn sich die Mikrogele annähern, überlappen sich die Wolken und erhöhen den Druck in der Flüssigkeit. Dadurch werden die Mikrogel-Partikel zusammengedrückt, bis sich ein neues Gleichgewicht einstellt.
Damals konnte das Forschungsteam die Wolke der Gegenionen jedoch noch nicht experimentell nachweisen. Dieser Nachweis wurde nun von Urs Gasser, seinem Doktoranden Boyang Zhou und Alberto Fernandez-Nieves von der Universität Barcelona erbracht. Sie nutzten Neutronenstrahlen aus der Spallationsquelle SINQ am PSI und einen experimentellen Trick. Da die Gegenionen-Wolke im Kolloid so verdünnt ist, dass sie in den gestreuten Neutronen nicht sichtbar ist, subtrahierten die Forschenden die Bilder zweier Proben voneinander. Dabei blieben nur die Signale der Gegenionen übrig. Dieser scheinbar einfache Lösungsweg erforderte jedoch größte Sorgfalt bei der Vorbereitung der Kolloide, um die Ionenwolken sichtbar zu machen.
Die Erkenntnisse über das Verhalten weicher Mikrogele in Kolloiden ermöglichen maßgeschneiderte Anwendungen. In der Ölindustrie werden sie beispielsweise in unterirdische Lagerstätten gepumpt, um die Viskosität von Ölquellen anzupassen und die Förderung zu erleichtern. In Kosmetika sorgen sie für die gewünschte Konsistenz von Cremes. Es ist auch denkbar, smarte Mikrogele mit Medikamenten zu beladen, die beispielsweise auf Magensäure reagieren und das Medikament durch Schrumpfen freisetzen. Darüber hinaus könnten Mikrogele als Temperatursensoren oder zur Detektion von Druckänderungen oder Verunreinigungen eingesetzt werden.
Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Nature Communications" veröffentlicht und tragen zu einem besseren Verständnis von Kolloiden mit weichen Partikeln bei. Sie eröffnen neue Möglichkeiten für die Materialforschung und die Entwicklung von Anwendungen in verschiedenen Bereichen, einschließlich Pharmazie und Kosmetik.
Quelle:
Paul Scherrer Institut:
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